„Warum strafst du mich so, Herr? Ich habe immer alles getan, was in der Bibel steht. Sogar den Mist, der an anderer Stelle widerrufen wird.” – Ned Flanders, Die Simpsons
Mir persönlich geht es mit RTL ähnlich wie dem streng religiösen Flanders in diesem Simpsons-Zitat. Ich habe mir nie einfach bloß die Knaller und Selbstläufer aus dem RTL-Programm rausgepickt. Also nicht nur das frühe Wer wird Millionär, das mittlere Dschungelcamp und die paar geilen Staffeln von Bauer sucht Frau gefeiert, nein, ich habe jeden noch so fragwürdigen Flop mitgenommen—und mir selbst irgendwas Interessantes zusammengereimt. Ich war ein Gläubiger der ersten Stunden. Diese Zeiten sind nun aber vorbei. Seit dem Start von Ich bin ein Star, lasst mich wieder rein bin ich die längste Zeit die Bitch von solchen Formaten gewesen.
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Wobei die Autoaggression, mit der der Kölner Sender seine einstige Gallionsfigur demontiert, schon auf einen selbst abfärbt: Man hasst sich dafür—trotz aller Zweifel—doch irgendwie insgeheim gehofft zu haben, diese Sommer-Show wäre vielleicht eine gute Idee, ja, basiere möglicherweise gar auf einer solchen. Was für ein Idiot man war!
Die Show überhaupt
Wer bis jetzt noch nichts von dieser insgesamt neuntägigen Trash-TV-Sommergrippe gesehen hat, mag sich glücklich schätzen und stelle sich bitte Folgendes vor: Es gibt die Original-Erkennungsmusik aus dem Dschungel, animierte Einspieler, Sonja Zietlow und Daniel Hartwich und als Gast sogar Doktor Bob. Dazu wird jedes Mal eine vergangene Staffel rekapituliert. Vertreten findet sie sich durch drei Ex-Teilnehmer, die Schnipsel von damals kommentieren (Prinzip Die ultimative Chartshow). Parallel zu diesem Studio-„Event” sieht man noch die dreigeteilte Aufzeichnung einer Challenge, die die Rückfallkandidaten zu bewältigen hatten. Höhepunkt der Show am Samstag war so zum Beispiel: Willi Herren klettert eine Leiter hoch. Unabhängig von dem alibimäßigen Ausgang der Aufgabe entscheidet der Zuschauer per Telefon, wer seine Chance auf den Platz im nächsten Dschungelcamp wahrt. Fertig.
Der größte Denkfehler der Sendung
Das Dschungelcamp ist nicht wegen der C-Promis, sondern trotz ihnen ein Hit geworden. Ihre Interaktion unter den Versuchsbedingungen von Dauerbeobachtung, Camping und Nahrungsmittelentzug machte die Figuren auf einmal interessant, ließ sie zu den Menschen hinter ihren minderbemittelten Images werden. Die Sendung versucht jetzt aber, ohne diese Brechung zu funktionieren—und bringt einfach Carsten Spengemann, Barbara Engel oder Peter Bond die Bühne. Kann natürlich gar nicht zünden.
Mitleid mit RTL
Das ungute Walter-Freiwald-Dschungelcamp 2015 machte deutlich, was sich seit dem Alltime-High 2011 (Sarah Knappik, Jay Khan, Peer Kusmagk, Mathieu Carrière) immer mehr abgezeichnet hatte: Die Show ist auserzählt und verliert drastisch an Reiz und News-Wert. Gut täte dem Format eine mehrjährige Pause, wie es sie Mitte der Nuller zwischen Staffel 2 und 3 gab. Doch Programmchefs von großen Sendeanstalten werden nicht an langfristiger Strategie und zurechnungsfähiger Markenpflege gemessen, sondern alleinig an der kurzfristigen Quote. Anders ist nicht zu erklären, dass die Antwort auf die verlorene Begehrlichkeit der Sendung tatsächlich lautet: Mehr davon!
#Ibeslmwr (an dem Hashtag hätte man auch noch arbeiten können) wirkt ein wenig, wie wenn jemand mit diagnostiziertem Burnout einen Nebenjob verordnet bekommt. Wer so eine Therapie aufstellt, kann bloß erschreckend ignorant sein—oder er wünscht sich insgeheim, dass der Patient so schneller von allen Leiden erlöst wird. Beides: Gruselige Vorstellungen.
Warum ist Trash-TV so verdammt langweilig geworden?
Mitleid mit den Moderatoren
Zu den Hochzeiten des Formats fand man es gern auch mal gemein, wie Sonja Zietlow mit Bach oder Hartwich ins Camp einfiel und gescriptete Häme über die campenden Opfer kübelte. Im Sommer 2015 erkennt man nun hinter ihrem vereisten Gesicht deutlich eine Mischung aus Weltekel und Selbstmitleid. Mit Verlaub ist ihre Fallhöhe ja auch größer als die von Naddel, Eike Immel oder Costa Cordalis—und die damit einhergehende Abstiegsangst dementsprechend realer. Halt durch, Sonja! Es kann nicht immer Sommer sein.
Mitleid mit der Quote
Schon der Start am Freitag war mit 3 Millionen Zuschauern kein Knaller. Allerdings verschreckte die Auftaktsendung sogar noch ein Drittel ihrer Zuschauer. Samstag konnten nämlich bereits nur 2 Millionen gemessen werden. (Zum Vergleich: Die Muttersendung schafft im Höchstwert mitunter über acht Millionen)
Mitleid mit einem selbst
Normalerweise, wenn ich im Club selbstgefällig durchblicken lasse, dass ich TV-Kritiken schreibe, werde ich hart bewundert. OK, viele zeigen diese Bewunderung durch Ablehnung, Ekel oder Aggression—aber immer spüre ich, die Aussage verfehlt nicht ihre Wirkung. Die Leute denken zumindest: „Der bekommt Geld dafür, dass er fernsieht? Lasst uns den feinen Herrn nachher auf dem Nachhauseweg abziehen!”
Doch diesmal gilt das alles nicht. Das Bedauern der Leute ist tatsächlich echt. Niemand guckt diese Dschungel-Show, nicht einmal heimlich. Nicht mal gegen Geld. In der TV-Gruppe, die ich auf Facebook mitbetreibe, befindet sich niemand im Thread zu Ich bin ein Star, lasst mich wieder rein. Dagegen bekommt diese bekloppte Nackt-Show mit Penissen (Adam such Eva) richtig Traffic. Off Topic: Die ist auch gar nicht so übel …
Naddel, die Amy Winehouse des Trashs
Fest steht, wenn die stets verwirrt und überfordert wirkende Bohlen-Ex irgendwann vor ihrer Zeit verstürbe (was nicht geschehen möge), wird es sicher keine posthume „Gänsehaut-Doku” geben wie jetzt bei Amy. Aber vielleicht wird es dem ein oder anderen Sendungsmacher dann doch ein wenig peinlich sein, die Frau mit den ungesund weißen Zähnen so schutzlos durch all die 1000 eiervogeligen Müllformate geschickt zu haben, statt sie vor sich selbst zu schützen. Das lehrt uns zumindest Ich bin ein Star, lasst mich wieder rein: Wer über Naddel lacht, begeht auch Fahrerflucht.
Wie kaputt muss dein Leben sein, wenn du in einem Willi-Herren-Fanclub bist?
Eine weitere Erkenntnis vermittelt der Sommer-Dschungel noch: Es gibt tatsächlich Leute, die nicht nur besoffen nach einem Eimer Mallorca-Schorle mal bei Willi Herrens Facebook-Seite auf „Gefällt mir” geklickt haben, sondern die jenen sogar im Real Life lautstark supporten. So gesehen und gehört beim Publikum von Ich bin ein Star, lasst ich wieder rein. Eine Doku, die diese Leute im Alltag verfolgt—das wäre mal ein freshes RTL-Format.
Noisey: Früher war alles schlechter—außer Stefan Raab, der war besser.
Ein Mann, den man bereits vergisst, während man ihn noch sieht oder von ihm liest: Eike Immel
Unnützes Wissen aus der Hölle: Der ehemalige Nationaltorhüter mit Schulden und ohne Freundin hat a) noch nie eine Dose mit einem Dosenöffner geöffnet, b) noch nie selbst Wäsche gewaschen und kann c) nicht schwimmen.
Trash-TV ist wie Pizza – auch schlecht noch gut?
Eigentlich schon. Aber in diesem Fall gilt: Leider nein, leider gar nicht.