Warum der Geist von Fred Durst plötzlich die Clubmusik von heute heimsucht

Header: Illustration von Ben Ruby.

Als die junge kanadische DJ Bambii im Januar in Toronto als Support für Princess Nokia spielte, haute sie dem ausverkauften Saal plötzlich ein unerwartetes Juwel eines Songs um die Ohren. Bis dahin hatte sie ihr Set vor allem mit Sean Paul, Soca und etwas Drake gefüllt, aber dieser eine Track erwischte mich mehr als kalt. Zwischen den ganzen karibischen Hymnen und Mainstream-HipHop-Edits flüsterte plötzlich eine allzu bekannte Stimme aus den Boxen: “Let the bodies hit the floor. Let the bodies hit the floor …”

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Es war natürlich der Anfang von Drowning Pools Nu-Metal-hit “Bodies” und ich wurde umgehend und zu meiner eigenen Verwunderung zurück in die frühen 2000er versetzt. Wie viele Momente in großartigen DJ-Sets schockte es mich damit, dass ich etwas Bekanntes in einem total ungewohnten Kontext hörte. Doch an dieser Songwahl war etwas anders. Ich fühlte mich wieder wie ein pickeliger, MAD Magazin-lesender 16-Jähriger. Bambiis geschickter Einsatz des Songs, der wenige Jahre nach seiner Veröffentlichung 2001 in Guantanamo zur Folter eingesetzt wurde, war nur das neueste Beispiel für eine DJ, die testosterongeladenen Alt-Rock und Nu-Metal für einen speziellen Twist in ihren Sets einsetzte. Mehr denn je schien diese Praxis allerdings die kritische Masse zu erreichen.

Bei einer nostalgisch angelegten Boiler-Room-Veranstaltung im New Yorker Museum of Modern Art spielte Rapper und Produzent Le1f “In the End” von Linkin Park in seinem Set – einen weiteren Begleiter meiner angsterfüllten Teenagerjahre. Und bei einem PC Music Showcase beim SXSW 2015 droppte die in London lebende DJ und Produzentin Spinee ihre hochgepitchte Bubblegum-Rave-Pop-Version der totgehörten Pop-Goth-Hymne “Bring Me to Life”. Spencer Kornhaber vom The Atlantic schrieb darüber: “Wir sind hier bei diesem Festival, das den hippsten Musikbewegungen gewidmet ist, an dem Abend mit dem Musikkollektiv, über das im letzten Jahr wohl am meisten gebloggt wurde, und es wird gerade der wahrscheinlich uncoolste Song der Welt zum Maßstab gemacht.”

Diese Neuinterpretationen beschränkten sich aber nicht nur auf die Tanzfläche. Im Dezember 2015 lud der in Miami lebende DJ und Produzent Total Freedom (aka Ashland Mines) den Track “DOWN ACTIONS, LOW KEY CHILDISH AF” bei SoundCloud hoch. Es ist eine frenetische Überarbeitung, die die Gesangsspur von Kelelas “All The Way Down” mit Baile Funk und der Klaviermelodie von “In The End” kombinierte. Auch wenn es nicht das erste Mal war, dass Mines derartig gegensätzliches Material miteinander verband, sammelte der Track schnell tausende Plays. Seine Fade-to-Mind-Kollegin Asmara – besser bekannt als eine Hälfte des Electroduos Nguzunuguzu – baute in ihrem Nu-Metal-lastigen Dazed-Mix neben Songs von System of a Down, Korn und P.O.D. ebenfalls “In the End” ein.

Im FACT-Mix des Londoner DJs und Produzenten Endgame war eine weitere Single von Linkin Park zu finden – die Überarbeitung des sich langsam aufbauenden, aggressiven “Crawling” durch Age Reforms Lotic. Das “Bring Me to Life”-Bootleg des Qween-Beat-Produzenten Skyshaker überführte die mit einem Grammy Award ausgezeichnete Single von Evanescence in dunklere, beatlastigere Gefilde. All diesen Produktionen war gemein, dass sie auf dem Papier eigentlich das totale Durcheinander sein müssten, effekthascherische Mashups, die weniger als die Summer ihrer Teile sind. Doch dadurch, dass diese Produzenten sich die rohe emotionale Verletzlichkeit dieser Tracks zu Nutze machen und ihnen Rückgrat verleihen, erschaffen sie Musik, die gleichzeitig nach gestern und heute klingt. Diese Überarbeitungen werden von ihren Erschaffern wie Pokémon-Karten getauscht und haben auf der ganzen Welt ein nostalgisches Publikum aus einflussreichen Personen und Fans gefunden.

Rund 15 Jahre bevor die Evanescence-Sängerin Amy Lee R’n’B-Ikone Aaliyah als Acapella-Sängerin der Wahl für SoundCloud-Produzenten ablösen sollte, hörte ich als Teenager im ländlichen Nova Scotia fragwürdigen Alternative Rock und Nu-Metal. Ich arbeitete mich zwar auch durch die Plattensammlung meines Vaters, doch Sachen wie Three Days Grace, Puddle of Mudd und der Daredevil-Soundtrack, auf dem sowohl “Bring Me to Life” als auch “The Man Without Fear” von Drowning Pool und Rob Zombie zu finden waren, standen ebenfalls in meinem Schrank. Ganz oben auf dem Stapel lag jedoch eine gebrannte CD von Linkin Parks 2000er-Debütalbum Hybrid Theory und dessen Nachfolger Meteora, der Vierfach-Platin gewann – die Tracklist war mit Edding darauf gekritzelt.

Ich konnte mich zwar nicht mit Chester Benningtons Texten über jugendlichen Drogenmissbrauch und die Scheidung seiner Eltern identifizieren, doch als jemand, der Probleme hatte, Freunde zu finden, fand ich bei den Themen über gescheiterte Beziehungen und Einsamkeit Anschluss. Tracks wie “Faint” und “Somewhere I Belong” waren fester Bestandteil meiner Playlist für den Waldlauf, im örtlichen Radio oder bei Highschool-Festen waren sie allerdings nicht zu hören. Das düstere “In the End” eignete sich besser, um es alleine im Schlafzimmer zu hören, und ich hätte es verwirrend gefunden, mir diesen Track zusammen mit anderen anzuhören. Damals wusste ich nicht, dass diese Gruppen, die ich verehrte, es von Anfang an darauf abgesehen hatten, Genres zu kombinieren.

“Ich bin hauptsächlich mit HipHop aufgewachsen, aber dann fingen wir an, Künstler wie The Prodigy, Aphex Twin, Squarepusher, DJ Shadow und die Jungle-/Drum’n’Bass- und Bass-Sachen, die zu der Zeit angesagt waren, zu hören”, so Mike Shinoda, Gitarrist, Keyboarder und Sänger bei Linkin Park, gegenüber Noisey über die Anfänge der Band. “Ich mochte auch Depeche Mode, Ministry, Nine Inch Nails, Deftones und Industrial-Musik. Es war von Anfang an auch unser Ziel, all dieses Zeug zu vermischen, darum auch der Albumtitel Hybrid Theory.”

Auch wenn die sechsköpfige Band aus Kalifornien mit Künstlern aus beiden Welten kollaborieren sollte – wie 2004 mit Jay Z für die Mashup-EP Collision Course und 2013 mit Steve Aoki für “A Light That Never Comes” – waren sie alles andere als cool. In einem Review ihres Debütalbums schrieb Matt Diehl im  Rolling Stone: “Bennington und Shinoda driften oft in kitschige, standardisiert formulierte aggressive Texte ab.” William Ruhlmann von AllMusic beschrieb sie als “Neuankömmlinge eines bereits ausgelutschten Musikstils”. Musikjournalisten hielten Linkin Park also nicht für bahnbrechend oder angesagt, von tausenden Kids weltweit, die sich in ihrem offiziellen Fanclub Linkin Park Underground zusammenfanden, wurden sie jedoch geliebt.

Wie sind wir also hier gelandet? Warum wurde diese ehemals “uncoole” Musik bei Grenzen sprengenden Electro-Produzenten von heute so angesagt? Manche Künstler haben sich dem Ganzen mit einem ironischen Ansatz genähert. Nimm zum Beispiel Maxos LOGO Magazine-Mix, in dem der Produzent aus Brooklyn acht Songs des Nu-Metal-Enfant-Terribles Limp Bizkit zu hyperaktiven 20 Minuten vermischt. In seinen Händen werden die machomäßigen, teils misogynen Textevon Sänger Fred Durst mit 16-Bit-Klängen und leichtem Piano-Jazz abgeschwächt. Die Tracks haben alle Namen mit Essensbezug (“Bake Stuff”, „Rollin’ Pin”, “I Did It All For The Cookie” usw.). Ein ähnlich unbeschwerter Umgang mit dem Ausgangsmaterial ist im 23-minütigen Mix “‘Hell On Planet Earth, We Are The Masters’ Says Ministry Of Souls” von Spinee, Lil Data und DJ Warlord zu hören, in dem “Call Me When You’re Sober“, Evanescences Trennungsballade von 2006, diverse Heliumschübe versetzt werden.

“Diese Faszination scheint mehr ein kollektiver Insiderwitz zu sein als eine bewusste Wiederentdeckung”, behauptet Maxo. “Die meisten Produzenten dieser Generation sind mit dieser Musik aufgewachsen und ich bin sicher, selbst wenn die Thematik nicht relevant wäre, würde sich unsere Wertschätzung nicht ändern.”

Aber ob die Absichten nun ironisch sind oder nicht, der Effekt ist der gleiche, wenn du einen solchen Song hörst, während der Dancefloor kocht. Gabriel Szatan, Senior Programmer beim Boiler Room London und Radiomoderator, sagt, dass er zwar nicht Unmengen an Alt-Rock- und Nu-Metal-Songs bei den von ihm organisierten Events zu hören bekommt, sich manche Szenen diese Musik allerdings für einen Blitzableiter-Effekt zu eigen gemacht hätten. “Insgesamt ist es nicht so präsent”, sagt er. “Doch der derzeitige Trend von seltsamen Überraschungen und aggressiven abseitigen Hooks – besonders bei innovativen Leuten wie Staycore, NON, Total Freedom usw. – bedeutet, dass es von Zeit zu Zeit passiert. Ich würde allerdings sagen, es ist einfacher, es in einer Mix-Serie zu verwenden als in einem vollgepackten Boiler Room, es sei denn, du hast das absolut richtige Publikum.”

Ob es “Aquecimento Do Evanescence” des New Yorker Produzenten LSDXOXOist, bei dem schwindeliger Baile Funk auf “Bring Me to Life” trifft, das rasante “Call Me When You’re Sober” des Chicagoer Footwork-Stars DJ Nate oder die Hochgeschwindigkeitsübung “Let the Bodies Hit the Floor” des Clubveteranen DJ Sega aus Philadelphia, letztendlich dreht sich alles um den Dopaminrausch, bekannte Songs in einem neuen Kontext zu hören. “Dein Gehirn denkt sich: ‘Ah, ich erinnere mich daran’, und all die Erinnerungen kommen zurück”, erklärt Szatan weiter. “Während deine Gliedmaßen wie von selbst wild umherfliegen.”

Laut Endgame, dessen zackiger Industrial-Track “NXN” (von seiner 2016er-EP  Savage) sich auf das Lead-Gitarren-Intro von Korns “Falling Away From Me” bezieht, weisen die Genres eine überraschende Zahl an Gemeinsamkeiten auf. “Ihre Funktion ist im Prinzip die gleiche, du sollst dich selbst verlieren, eine Art Transzendenz”, so der Mitbegründer das Bala-Club-Kollektivs. “Besonders bei Nu-Metal sind es, denke ich, die Balance aus Leichtigkeit und Dunkelheit mit durchdringenden Melodien und einem harten Bass.”

Szatan stimmt dem zu und sieht ein Publikum, das wieder nach Theatralik lechzt, als einen möglichen Grund für die neue Popularität. “Vielleicht bedeutet das große Revival von geradlinigem House und Tech in den letzten paar Jahren auch, dass Leute wieder mehr das Verlangen nach Drama haben?”, fragt er. “Die Narben von Abreiß-Dubstep sind noch ein wenig zu frisch, also warum nicht Nu-Metal?”

Endgame fügt hinzu, dass die “Ästhetik und emotionale/brutale Energie” von Jonathan Davis und Co – dazu gehört auch das Artwork ihres dritten Albums Follow the Leader von Spawn-Erschaffer Todd McFarlane – einen großen Einfluss auf die Mitglieder seines Kollektivs hatte. Sie tragen vielleicht keine Gesichtsbemalung oder schreiben Buchstaben verkehrt herum, lassen sich aber trotzdem direkt durch oft verunglimpfte Bands inspirieren. Der Dazed-Mix von Bala Clubs Kamixlo beginnt mit Uli K und Malibus knappem und mechanisiertem Cover des Songs “Always” der Memphis-Rocker Saliva, das auf dem liebeskranken Schrecken des Originals aufbaut. Die pulverisierende Überarbeitung von Slipknots “Psychosocial” durch Toxe aus Schweden ist hingegen genauso brachial wie das Original.

Als ich älter wurde, ließ ich die jungendliche Angst meiner 100 CDs umfassenden Mappe aus Alt-Rock und Nu-Metal weitgehend hinter mir. In der gefühlvollen Brutalität von Acts wie Toxe oder Total Freedom habe ich jedoch so etwas wie eine Entsprechung gefunden. Ihre dunkle Theatralik und einfache Darstellung komplexer Emotionen ähnelt der von Korn und Konsorten, also ist es kein Wunder, dass sie einen Weg gefunden haben, diese Musik in ihren eigenen Sets und Produktionen zu rekontextualisieren.

Diese amerikanischen Bands – von denen viele auch heute noch Alben veröffentlichen – waren weitestgehend männlich und weiß und so ist es aufregend zu hören, wie sie neu interpretiert werden und für eine neue Generation dieselbe Rolle erfüllen wie sie es einst für mich taten. Ich konnte mich ungemein mit der Geschichte hinter dem “Psychosocial”-Remix identifizieren, die die 19-jährige Toxe erzählte. “Das ist mein Abschlusssong”, sagte sie 2016 in einem Interview mit The FADER. “Während ich die letzten Highschool-Monate hinter mich brachte, habe ich nachts Slipknot geremixt, um meine Frustration rauszulassen.”

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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