In der Oktoberausgabe des Wiener Stadtmagazins das Biber hat die Handelskette Spar ein Inserat geschalten, das jetzt zu einem „Aufschrei” auf Facebook geführt hat. Betitelt war das Inserat mit „Halal-Fleisch … weil Genuss keine Grenzen kennt!”—ein Thema, bei dem es wohl von vornherein klar gewesen sein dürfte, dass es Menschen in Österreich gibt, die so etwas als politische Bühne gegen Einwanderung, Asyl und den „großen Austausch” instrumentalisieren.
Neben diesen Menschen gibt es dann auch noch jene Akteure, die unter dem Deckmantel des Tierschutzes zu einem Rundumschlag gegen die bösen Muslime ausholen.
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Den derzeitigen Shitstorm ins Rollen gebracht hat der Betreiber der Website FMpolitics, indem er eine Collage des Spar-Inserats via Facebook verbreitete. Nachgelegt hat er dann noch mit einem polarisierenden Artikel am 2. Dezember in der „ Austropress” , in dem er Spar vorwirft, dass die Rechtfertigung des Unternehmens „fachlich und juristisch falsch” sei. Der Betreiber meint, nach seinem „Studium der strengen muslimischen Halal-Vorschriften” gänzlich ausschließen zu können, dass „eine Halal-Schlachtung eine ganz normale Schlachtung im Beisein eines muslimischen Würdenträgers” sei.
Damit hat er unrecht. Tatsächlich hat Spar bei der Produktion von Halal-Rindfleisch nichts anderes gemacht, als nach muslimischem Brauch während der Schlachtung ein Gebet zu sprechen.
Generell ist vorab zu sagen, dass die islamischen Speisevorschriften keinen ganz klar festgelegten Regeln folgen und in der Praxis oft viele Fragen aufwerfen. So gibt es auch unterschiedliche Auslegungen des Halal-Begriffs. In Österreich gibt es aber strikte Regeln. Auch für Halal-Schlachtungen.
Grundsätzlich geht es bei dieser Form von Schlachtung darum, dass nach islamischer Vorschrift nur Tiere gegessen werden dürfen, die vor der Zubereitung (zu der auch die rituelle Schlachtung gehört) noch nicht verendet waren. Mit dem Schächten soll das möglichst rückstandslose Ausbluten des Tieres gewährleistet werden, da es nach Koran-Sure 5, Vers 3 Muslimen verboten ist, Blut zu essen.
Traditionell wird bei der Schlachtung nach Halal-Vorschrift das Tier mit einem einzigen Schnitt an der Halsunterseite getötet, bei dem große Blutgefäße, sowie die Luft- und Speiseröhre durchtrennt werden. Zudem wird während der Schlachtung ein Gebet gesprochen.
Der Begriff Halal beschreibt also eigentlich nur, dass das Tier zum Zeitpunkt der Schlachtung noch am Leben sein muss. Das mag man verwerflich finden. Allerdings ist das auch in herkömmlichen europäischen Schlachthöfen nicht anders. Generell bedeutet der Begriff „Schlachtung” nämlich nichts anderes, als das vollständige Ausbluten eines Tieres. Den Unterschied zwischen einer europäischen Schlachtung und der Halal-Schlachtung macht also hauptsächlich das Gebet, das währenddessen gesprochen wird. So und nicht anders hat auch Spar in einer Stellungnahme argumentiert.
Der Vorwurf, die Tiere wären bei einer Halal-Schlachtung bis zum tödlichen Schnitt bei vollem Bewusstsein, ist ebenfalls falsch. Auch, wenn es in vielen muslimischen Ländern in der Praxis tatsächlich noch immer so ist, dass Tiere vor der Schlachtung nicht betäubt werden, steht eine Betäubung nicht im Konflikt mit den Halal-Vorschriften, wie bereits mehrfach von Gelehrten der islamischen Rechtswissenschaft Fiqh erklärt wurde. Auch im aktuellen Fall betont die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich diesen Punkt erneut.
In Österreich schreibt zudem das Tierschutzgesetz vor, dass Schlachttiere wirksam zu betäuben sind. Es können zwar Ausnahmegenehmigungen für religiöse Schächtungen ohne Betäubung ausgestellt werden—jedoch nur dann, wenn nach dem Schnitt sofort ein sogenanntes Post-Cut-Stunning eingesetzt wird; also ein sofortiges Betäuben des Schlachttieres nach dem tödlichen Stich oder Schnitt. Diese Art der Schächtung darf jedoch nur in einem dafür zertifizierten Schlachthof unter Beisein eines Tierarztes stattfinden und ist in Österreich selten. Über diese religiösen Ausnahmegenehmigungen kann man natürlich diskutieren und wahrscheinlich wäre es sinnvoll, generell religiöse Ausnahmeregelungen aus Gesetzestexten zu streichen. Dann bliebe uns viel erspart.
Die Aufregung ist also, vorsichtig gesagt, umsonst und außerdem nicht neu. Schon 2013 gab es einen kleinen Shitstorm gegen die Rewe-Gruppe wegen Halal-Angeboten. Die Rewe-Gruppe reagierte damals jedoch besonnener als Spar: Sie veröffentlichte und kritisierte rassistische Kommentare zu den Halal-Angeboten. Bei Billa, Merkur und Co. gibt es weiterhin Halal-Fleisch.
Dass Spar vor einigen wenigen Wichtigtuern im Internet in die Knie geht, mutet vor diesem Hintergrund seltsam an. Man würde meinen, eine Supermarktkette wie Spar hat eine Marketingstrategie und ein durchdachtes Markteinführungskonzept für Produkte, bei denen man von einer derartigen Kontroverse ausgehen kann. Entsprechend merkwürdig wirkt es, wenn ein Konzern, bei dem man Kontrollmechanismen und durchdachtes Handeln erwartet, plötzlich vor einem wütenden (und nicht mal sonderlich großen) Onlinemob kapituliert, der noch dazu leicht widerlegbare Pseudofakten verbreitet.
Mit der Rücknahme des Halal-Angebots schneidet sich Spar wohl, naja, ins eigene Fleisch. Jetzt machen nämlich nicht nur die Halal-Gegner mobil—es formiert sich auch eine neue Gegen-Front, die Spar boykottieren will, weil sich die Supermarktkette, wie Regisseur und Schriftsteller David Schalko schreibt, „von Nazis unter Druck setzen lässt”.
Natürlich ist es im sozialen Netz oft schwierig, seine eigene Position vor dem Hintergrund eines drohenden Shitstorms korrekt einzuschätzen. Aber nicht jeder Scheiß, mit dem einzelne Rechte das Netz stürmen, ist gleich ein Shitstorm. Von einem Unternehmen, das alles andere als ein Greißler am Eck ist, erwarten auch die Kunden etwas mehr Überlegtheit und Standfestigkeit.
Paul auf Twitter: @gewitterland