Neue Saison, neue Ausgangssituation. Dieses Motto dürfte wohl bei keinem Klub mehr passen als bei 1860 München: Nach dem Zwangsabstieg warten statt dem 1. FC Kaiserlautern, Dynamo Dresden oder dem 1. FC Nürnberg nun der FC Pipinsried, der VfR Garching oder der SV Schalding-Heining auf die Sechziger. Und statt Asien-Reise oder US-Tour mussten die stolzen Löwen gestern schon am ersten Spieltag beim FC Memmingen ran. Doch die schmachvollen letzten Wochen ließen Fans und Mannschaft scheinbar völlig kalt und in Begleitung von Tausenden Fans schoss sich das Team von Coach Daniel Bierofka zum 4:1-Auftaktsieg.
“Alles neu war es ja nicht. Ob du jetzt nach Sandhausen oder Memmingen fährst, das ist ziemlich ähnlich”, erzählt der lachende Löwenfan Michael “Mixen” Wiethaus, der als Vierjähriger noch in der Bayernliga seine ersten Stadionerlebnisse als Löwe sammelte und auch in Memmingen vor Ort war. “Und seit Jahren fahren viele normale Fans und Leute aus der Ultraszene ja auch zur zweiten Mannschaft, die hier in der Regionalliga zu Hause war. Wir fahren mit der Bahn auf Land, das sind unsere Wurzeln.”
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Ein wohl bekannter “Horror” sollte die Münchner aber schon am ersten Spieltag wieder einholen: Die Arena. Zwar wurden aus den über 60.000 Fans im Relegationsspiel gegen Jahn Regensburg in der Allianz Arena nur 5.000 Zuschauer, doch der restlos ausverkaufte Sportplatz in Memmingen schimpfte sich “Memminger Arena”. Die Löwen machten das Auswärtsspiel trotzdem zum Heimspiel und waren zahlen- und stimmungsmäßig in der klaren Überzahl. “Sogar der Zeugwart vom FC Memmingen ist Löwen-Fan und lief gestern die ganze Zeit im Sechzig-Trikot herum”, erzählt Mixen schmunzelnd.
“Es war eine geile Auswärtsfahrt, denn alle hatten richtig Bock, dass es jetzt endlich losgeht”, ist das Fazit von Mixen. “Nach dem Spiel haben wir sogar am Sandkasten auf dem Sportplatz noch spontan einen Weitsprung-Wettbewerb veranstaltet. Das hatte eher Volksfestcharakter.”
Entgegen vieler Befürchtungen von Verbandsseite und Polizei blieb alles friedlich. “Das Stadion war ausverkauft, der FC Memmingen hat extra noch einige Bierstände aufgebaut und viel verkauft. Und es blieb alles friedlich.” Die Polizei berichtete am Abend nur von “einer verursachten Schmiererei in der Toilette des Bahnhofs, sowie drei verbalen Beleidigungen”. Das war’s. Bei dieser friedlichen Regionalliga-Idylle bedankt sich auch mal die Polizei. “Ein großes Lob für das friedliche Verhalten und die gute Stimmung, welche die 1860er Fans im Stadion verbreitet haben”, erklärte Eberhard Bethke, Einsatzleiter der Polizeiinspektion Memmingen, nach dem Spiel.
Dabei hatte sich die Polizei auf viel mehr vorbereitet. “Die Polizeipräsens war massiv”, erzählt Mixen. “Also der Polizeihubschrauber war schon übertrieben.” Die bayerische Polizei wollte nach den Sitzschalen-Fiasko der Sechziger in der Relegation und wohl auch nach den Polizei-Schlagzeilen beim G20-Treffen in Hamburg auf Nummer sicher gehen. So kamen neben der Bereitschaftspolizei aus Dachau auch das dort ansässige Unterstützungskommando, Pferde der Reiterstaffel aus München, einige Diensthunde, umfangreiche Kräfte der Polizeiinspektion Memmingen und eben auch ein über Memmingen kreisender Polizeihubschrauber zum Regionalliga-Spiel. Damit es solche friedlichen Auftritte auch in Zukunft gibt, forderten Löwen-Fans wie der Weiß-Blaue Blog mit Aufrufen im Internet auch neben dem Platz “positive Schlagzeilen” zu produzieren. “Wir spielen wieder in unserem Grünwalder Stadion und können von vorne anfangen. Es wäre dumm jetzt durch Gewalt, Pyro oder negative Schlagzeilen das alles wieder in Gefahr zu bringen”, weiß auch Mixen.
Der blutjungen Löwenmannschaft um die Routiniers Sascha Mölders, Timo Gebhardt und Jan Mauersberger war das egal. Sie ließen die Löwen-Fans wieder träumen. “Die hatten alle richtig Bock, das war ein erfrischender Auftritt. Dennoch wird es sehr schwer mit dem Aufstieg”, fasst Mixen zusammen. Am Ende des Spiels feierten die Sechziger standesgemäß: “Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey”, tönte es. Dass die anderen Teams alle erst heute spielen, wurden nach dem Frust der letzten Jahre gerne vergessen.