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Warum die NASA einen historischen Schatz für immer vernichtete

Ein Schrotthändler aus Pittsburgh staunte nicht schlecht, als er im Keller eines verstorbenen Ingenieurs auf 325 Magnetbandspulen und zwei gigantische Computer stieß. Noch überraschter war er, als er auf den halb vermoderten Gegenständen die Aufschrift “Eigentum der NASA” entdeckte. Der ehrliche Schrotthändler fackelte nicht lange und informierte die Raumfahrtbehörde über seinen ungewöhnlichen Fund. Die NASA nahm den Tipp dankend entgegen und sammelte die Bänder, die Teils aus der Zeit der ersten Mondlandung stammen, ein. Trotzdem werden wir wohl nie erfahren, welche geheimen Schätze sich auf den Bändern befanden – denn nach eingehender Untersuchung wurden die 40 Jahre alten Aufnahmen von der NASA vernichtet.

Von den Magnetbändern und ihrer Untersuchung durch die NASA erfuhr Motherboard durch einen NASA-Bericht, der auf unsere Anfrage hin freigegeben wurde. Auch Ars Technica berichtete am Freitag über die Dokumente. Der Name des verstorbenen Besitzers, der das Geheimnis der Bänder nun wohl mit ins Grab nahm, wurde im Bericht geschwärzt.

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Die Suche nach den verlorenen Weltraum-Missionen

Aus dem Bericht geht hervor, dass Mitarbeiter des Goddard Raumfahrtzentrums der NASA fünf Monate lang versuchten, herauszufinden, was sich auf den Datenträgern befand. Einige der Bänder waren beschriftet, beispielsweise mit Pioneer 8 oder Pioneer 9, Missionen aus den 1960er Jahren zur Erforschung des Weltraumwetters. Andere Aufnahmen schienen von den Missionen Pioneer 10 und Pioneer 11 zu stammen, die uns in den 1970er Jahren die ersten detaillierten Aufnahmen von Jupiter und Saturn bescherten. Der Großteil der Datenträger trug jedoch kein Etikett.

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Gemeinsam mit Wissenschaftlern durchsuchten die NASA-Archivare das gefundene Material nach Anzeichen auf wertvolle oder verloren gegangene Aufzeichnungen. Und das aus gutem Grund: Erst 2006 gestand die NASA ein, dass sie aus Versehen 45 Kassetten mit den Originalaufnahmen der Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin von 1969 überspielt hatte.

Der Apollo 11-Faux Pas ist kein Einzelfall: In den 1960er und 1970er Jahren zerstörte, überspielte oder veräußerte die NASA Tausende von Datenbändern. Aus heutiger Sicht ein katastrophaler und leichtsinniger Schritt, da dadurch erhebliche Lücken in der Archivierung bestimmter Weltraummissionen klaffen.


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Ein weiteres Negativbeispiel für die wenig nachhaltige Vorgehensweise der NASA sind die verlorenen Mitschnitte der Pioneer 10 Mission. Um die Aufnahmen zu archivieren, sollten alle alten MDRs Ende der 1970er Jahren auf optische CDs kopiert werden. Die alten MDRs wurden anschließend veräußert oder gelöscht. Als die NASA jedoch einige Jahre später die Daten sichten wollte, um eine mögliche Anomalie in der Umgebung des Jupiters zu untersuchen, mussten die Forscher mit Schrecken feststellen, dass neun Tage der Pioneer 10 Mission fehlten – scheinbar war einfach vergessen worden, diese Daten auf CD zu transferieren.

Experten gehen heute davon aus, dass für 18 wissenschaftliche Missionen zwischen 1968 und 1987 gar kein Material zur Archivierung an die NASA übermittelt wurde. Im Fall der Pioneer 10 und Pioneer 11 Missionen geht die NASA davon aus, dass gerade mal 30 bis 59 Prozent der Daten im Goddard-Datenzentrum archiviert wurden. Kein Wunder also, dass die NASA großes Interesse an dem Kellerfund hatte.

Warum die Magnetbänder trotzdem vernichtet wurden

Verloren geglaubte Aufnahmen der Apollo 11 oder Pioneer-Missionen konnte die NASA auf den Bändern leider nicht entdecken. Außerdem ist unklar, ob es sich bei den Daten um Originale oder Sicherheitskopien handelte. Ungefähr 215 der Bänder waren unbeschriftet, und die NASA glaubt, dass sie möglicherweise leer waren – denn bevor alte Aufnahmen der NASA gelöscht wurden, wurden oft auch die Labels entfernt. Doch auch bei den beschrifteten Bändern könnte es sich um “Kopien von Kopien von Kopien handeln”, wie der ehemalige NASA-Biologe Keith Cowing gegenüber Motherboard erklärte.

“Eigentum der NASA” ist deutlich auf den Computern zu lesen, die im Keller des Verstorbenen entdeckt wurden.
Aufnahmen der Minicomputer aus den 1960er Jahren, die im Keller des Verstorbenen entdeckt wurden.
Aufnahmen der Minicomputer aus den 1960er Jahren, die im Keller des Verstorbenen entdeckt wurden.
Dieser Computer aus den 1960er Jahren wurde im Keller des Verstorbenen entdeckt.

Viele Details aus der NASA-Untersuchung sind bislang unklar. Motherboard konnte jedoch verifizieren, dass die Datenbänder inzwischen zerstört wurden. “Alle Magnetbandspulen wurden von unserem Recycling-Unternehmen UNICOR am 2. September 2016 abgeholt. Wir haben die Bestätigung darüber erhalten, dass alle Aufnahmen am 6. September 2016 zerstört wurden”, erklärte ein Mitarbeiter von Goddard.

Die Vernichtung der über 300 Bänder geschah gemäß der NASA-Vorschriften, die die “Identifizierung und Entsorgung von möglichen Artefakten” regelt – das ist die einfache Erklärung. Es gibt aber auch noch weitere mögliche Gründe: Vielleicht war die Datenverarbeitung der NASA auch einfach zu aufwändig. Die Aufbereitung der Daten wäre “sehr teuer” gewesen, bestätigte eine NASA-Archivarin, die die Bänder untersuchte. Außerdem waren die Bänder sehr modrig und somit gab es keine Garantie, dass überhaupt irgendwelche Daten hätten gerettet werden können.

Das bestätigte auch ein NASA-Sprecher gegenüber Motherboard: “Wir kamen zu dem Schluss, dass die Magnetbänder wahrscheinlich schon vor ihrer ursprünglichen Veräußerung gelöscht worden waren. Außerdem waren die Bänder extrem von Schimmel befallen. In Anbetracht dieser Faktoren, kamen wir zu dem Schluss dass die Magnetbänder keinen tatsächlichen Wert für die NASA hatten.”

Ein E-Mail-Austausch zwischen NASA-Mitarbeitern über die verlorenen Aufnahmen der Pioneer 11 Mission.

An den beiden Computern im Keller, die laut NASA-Bericht so schwer waren, dass sie wahrscheinlich mit einem Kran transportiert wurden, zeigte die NASA gar kein Interesse.

Wie der Verstorbene überhaupt so viele NASA-Aufnahmen horten konnte

Auch wenn die Sammlung, die in Pennsylvania entdeckt wurde, ungewöhnlich groß war, so ist es leichter, an alte NASA-Materialien zu kommen, als man vielleicht denken mag.

Vor allem in den 1970er und 1980er Jahren wurden viele überflüssige Objekte von der NASA einfach versteigert. Dafür gab es verschiedene Gründe: Die Technik war inzwischen veraltet, Fördergelder gestrichen worden oder es gab einfach nicht genug Platz, um den ganzen Space-Krempel aufzuheben. Einige der ausrangierten Gegenstände leben bis heute in privaten Sammlungen weiter – andere landeten auf dem Schrottplatz.

“In den letzten Jahren haben wir viele der Gegenstände auf eBay oder bei Auktionen wiedergefunden. Einige Sammler handeln auch privat mit den Objekten, wenn sie nicht versteigert werden können”, erklärt uns der Raumfahrt-Sammler David Meerman Scott.

Für viele mögen die Magnetbänder aus Pennsylvania nur Schrott gewesen sein – doch Funde wie dieser könnten noch heute wichtige Informationen über historische Weltraummissionen liefern, die ansonsten für immer verloren sind.