Warum diese Köchin ihren Michelin-Stern zurückgibt und von nun an nur noch mit Frauen arbeitet

Am 12. Dezember letzten Jahres hat Michelin seinen berühmten Restaurantführer für 2017 vorgestellt. Viele Top-Köche haben sich in einem kleinen Raum zusammengefunden, um zu erfahren, ob sie einen Stern bekommen oder verloren haben oder ob sie weiter ohne Stern bleiben.

Gleichzeitig gibt es Köche, die einst auch in diesem Raum waren, sich jetzt aber lieber von dem roten Büchlein distanzieren, das seit fast einem Jahrhundert die besten Restaurants der Welt auflistet. Besonders oft scheintdas bei flämischen Köchen der Fall zu sein.Vor ein paar Jahren hat Jo Bussels Michelin in einer E-Mail gebeten, dass sie ihm unter keinen Umständen einen Stern geben sollten. Kurz danach hat Christophe Van den Berghe einen Stern abgelehnt und zwei Jahre später gab Frederick Dhooge seinen Stern zurück. Und auch Jason Blanckaert, einer der Köpfe der Flemish Foodies, hat sein Leben als Sternekoch an den Nagel gehängt, um Projekte zu starten, die zugänglicher sind. In einem Interview hat mir Koch Vincent Florizoone außerdem verraten, dass Michelin ihn niemals kontaktieren sollte, denn das würde sein Restaurant eher vergiften als bereichern.

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Letzte Woche hat die einzige Sterneköchin aus Flandern, Karen Keygnaert, angekündigt, dass sie ihren Michelin-Stern zurückgeben wird. Sie eröffnet ein neues Restaurant, in dem nur Frauen arbeiten und ihren Stern nimmt sie nicht mit. Ich habe sie angerufen, um herauszufinden, warum sie ihren Stern zurückgegeben hat und wie es ist, mit einem reinen Frauen-Team zusammenzuarbeiten.

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Foto mit freundlicher Genehmigung von Karen Keygnaert (Foto von Robbe Decloedt)

MUNCHIES: Hi Karen. Wie lange hat dein Restaurant A’Qui schon einen Stern?Karen Keygnaert: Fünf Jahre mittlerweile. Zwei Jahre nach der Eröffnung habe ich ihn bekommen.

Warum eröffnest du im März dein neues Restaurant ohne Stern? Noch vor zehn Jahren war ein Michelin-Stern ein Segen. Doch bei der derzeitigen wirtschaftlichen Lage ist es eher ein Fluch. Die Leute besuchen nur noch bei besonderen Anlässen ein Sternerestaurant, um lang und ausgiebig essen zu gehen. Doch die Personalkosten sind so sehr gestiegen, dass es unbezahlbar ist. Außerdem kommen die Gäste mit anderen Erwartungen: Sie erwarten bestimmte Produkte, Hummer oder Lamm, doch es fällt ihnen schwer zu akzeptieren, dass bei steigenden Einkaufspreisen auch der Preis für ein Menü steigt.

Die Leute gehen mittlerweile anders essen: Es soll locker und schnell sein, ein schneller Happen zwischendurch. Bei einem Stern wird die Hemmschwelle höher, man geht nicht mehr so einfach dort essen. In meinem neuen Restaurant gibt es das gleiche Essen, doch die Art und Weise, wie wir es anbieten, ändert sich. Es gibt weiter qualitatives Essen, aber nicht als festes Menü, sodass die Leute selbst entscheiden können, wie teuer es wird oder wie lange es dauert. Und auch das ganze Drumherum wird es nicht mehr geben.

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Was genau meinst du? Bei einem Stern wird ein riesiger Zirkus gemacht, der überholt ist. Sobald ein Eselsohr in der Speisekarte ist oder eine Falte in der Tischdecke, sagen die Leute schnell: „So sollte es aber in einem Sternerestaurant nicht sein.” Der Garderobenservice, die Kleidung der Kellner, ihre weißen Handschuhe, wenn sie das Tafelsilber eindecken. Mir persönlich ist das nicht wichtig, wenn ich essen gehe. Warum also sollte ich so ein Restaurant weiter betreiben? Dabei hat man auch als Koch nicht mehr die Freiheit, das zu tun, was man möchte.

Im Sommer rief eine Kundin an, die fragte, ob ihr Mann auch in Shorts kommen könnte, weil er einen Unfall hatte. Wer bin ich denn, dass ich das verbiete? Solche Anrufe will ich nicht mehr haben. Die Gäste sollen nicht kommen, weil der Koch einen Stern hat, sondern weil es ein gemütlicher Laden ist. Sie sollen kommen, wie es ihnen gefällt, um bei gutem Essen eine schöne Zeit zu haben. Mein Restaurant soll ein Laden sein, in den ich auch selbst gerne gehen würde. Deshalb wird es auch Cantine Copine heißen, man soll das Gefühl haben, dass man einfach bei seinem besten Freund zum Essen vorbeigeht. Eine ungezwungene Atmosphäre, man weiß sozusagen, wo der Kühlschrank steht. So ein Konzept wird keinen Stern bekommen.

Außerhalb Europas bekommen aber Street-Food-Stände und Sushi-Bars Michelin-Sterne? Ja, aber hier hat der Guide Michelin immer noch etwas Traditionelles. Deshalb war es letzten November auch so komisch hier: Es gibt eine ganze Generation neuer Köche, die einfach anders denken. Sie machen ihr eigenes Ding, komplett anders, aber damit würden sie keinen Stern bekommen. Köche, die ein Konzept entwickelt haben, das auf einen Stern ausgerichtet ist, bekommen ihn eher.

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Wie gibt man eigentlich einen Michelin-Stern zurück? Man bekommt den Stern von Michelin und kann ihn eigentlich nicht zurückgeben. Eine sehr abgeschottete, absolut undurchsichtige Einrichtung. Man kann nicht mal nachfragen. Man hat kein Recht auf eine Antwort, sie sind unantastbar.

Einmal habe ich versucht, sie zu kontaktieren, eine echte Mammutaufgabe. Man kann per Post einen Brief an den „Leiter des Guide Michelin” schicken, niemand weiß so richtig, wer das ist, und dann muss man einfach hoffen, dass er auf dem richtigen Tisch landet. Ich habe nie eine Antwort bekommen. Um deinen Stern loszuwerden, bleibt dir nur, das Formular nicht auszufüllen, wenn man wieder einen bekommen soll. Das ist so schade, die ursprüngliche Idee des Guide Michelin war echt fantastisch: Zu ihren Reifen haben sie einen Restaurantführer an die Kunden gegeben, sodass man beim Reisen Restaurants finden konnte. Jetzt haben die Menschen andere Möglichkeiten, Lokale zu finden. Der Guide Michelin hat sich einfach nicht weiterentwickelt.

Ich habe gelesen, dass du in deinem neuen Restaurant mit einem reinen Frauen-Team arbeiten möchtest. Warum? Zufällig sind in meinem Team gerade nur Frauen, zwei in der Küche, eine im Service. Die drei nehme ich mit.

Ist es besser, nur mit Frauen zu arbeiten? Man merkt schon, dass kein Testosteron mehr da ist. Es ist viel ruhiger und es gibt weniger Konkurrenzdenken. Ich persönlich finde das angenehmer. Ich kann das ganze Durcheinander nicht ertragen und auch auf das Macho-Gehabe kann ich verzichten.

War es schwer, als Frau ein Männer-Team zu führen? Das hängt vom Charakter der Jungs und ihrem Alter ab. Je älter, desto ehrgzeiger sind sie und desto schwerer fällt es ihnen, mich als Autoritätsperson zu akzeptieren. Ich hatte einmal einen sehr dominanten und arroganten Koch. Er war doppelt so groß wie ich und ich hätte keine Chance gegen ihn gehabt, schon gar nicht in einer Küche mit so vielen großen Messern. Ich musste ihn feuern.

Wieso gibt es so wenige Köchinnen? Ich glaube, dass Frauen ihren Ehrgeiz anders austragen als Männer. Männer stehen gern im Vordergrund und es ist immer noch so, dass sich Frauen mehr um die Familie kümmern müssen als Männer. Das ist nur schwer mit einem Job in der Gastronomie vereinbar. Bei mir ist es anders als bei anderen Frauen, weil ich mich nicht um einen Familienhaushalt kümmern muss. Außerdem ist es ja nicht so, dass in meiner Küche nur Frauen arbeiten sollen. Das war ein Zufall. Bei neuem Personal achte ich auch nicht auf das Geschlecht, sondern auf die Persönlichkeit und ihre Fähigkeiten.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Niederländisch bei MUNCHIES NL.