Warum dieser Noma-Koch von Sauerteig besessen ist

Rasmus Kristensen og surdej på Noma. Foto: Sarah Buthmann

Rasmus Kristensen. Alle Fotos von Sarah Buthmann
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Dänisch bei MUNCHIES DK

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Es grenzt vielleicht an Blasphemie, einen Artikel über das Noma zu schreiben und nur über das Brot zu reden – über so etwas so Alltägliches und Profanes, wo dieses Restaurant doch die Grundfeste der kulinarischen Welt erschüttert hat und die ganze Welt nach Kopenhagen pilgert, um die neue nordische Küche zu erleben.

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Doch wer denkt, dass Brot im Noma nur eine Nebenrolle spielt, der irrt. Das widerspräche der Visionvon René Redzepi und seines Restaurants, die ihn auch 13 Jahre nachdem er in der Strandgade 93 in Christianshavn eröffnet hat, immer noch antreibt. Und das würde man auch nur denken, wenn man Rasmus Kristensen nicht kennt. Er kümmert sich im besten Restaurant der Welt um das Brot.

„Ich finde Brot echt cool, einfach weil es nerdig ist”, meint Rasmus. „Ich habe hier im Noma die Verantwortung für das Brot. Das ist das erste, was René jeden Tag probiert. Brot ist ehrlich gesagt auch das einzige Produkt, das jeden Tag anders ist. Beim Brot kommt es eben voll und ganz darauf an, wer es macht.”

In den letzten zwei Jahren hat Rasmus am Geschmack und der Zubereitung seines Brots gefeilt, aber es wird immer noch mit einem Sauerteig gemacht, der mindestens 10 Jahre alt ist.

Rasmus Kristensen og surdej på Noma. Foto: Sarah Buthmann

„Der Sauerteig muss mit in die neue Location”, meint Rasmus. „Er muss einfach. Ich fange nicht noch mal von vorne an, das wäre ein Desaster. Als wir mit dem Noma in Australien waren, habe ich einen Teil meines Sauerteigs im Studio aufbewahrt, einer der Köche hat darauf aufgepasst. Ein bisschen was vom Teig ist ans Kadeau gegangen und einen Teil habe ich eingefroren. Sogar meine Ex-Freundin musste auf einen Teil aufpassen.”

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Aber könnte man ihn nicht einfach nach Mexiko mitnehmen? „Klar, aber es ist wenig sinnvoll, ihn da zu benutzen. Wir machen Tacos.”

Wie Rasmus meint, hat er das Brot in den letzten zwei Jahren einer Generalüberholung unterzogen. „Zwischen dem Brot, wie es jetzt ist, und dem von früher liegen Welten.” Er hat das Rezept angepasst, verschiedene Getreidesorten ausprobiert, die Temperaturen in der Küche gemessen und das Noma hat neue Öfen gekauft.

Rasmus Kristensen og surdej på Noma. Foto: Sarah Buthmann

Der Weg vom einem Klecks Sauerteig bis hin zur Scheibe Brot, wie sie im Noma serviert wird, sieht ungefähr so aus: Gegen 13 Uhr vermischt Rasmus einen Teil des Sauerteigs mit Wasser und etwas seiner Mehlmischung, die aus Ölandweizen- und Ölandvollkornmehl von der Kornby-Mühle und einer alten Getreidesorte namens sort nøgenbyg (wörtlich: „nackte schwarze Gerste”) besteht. „Wenn ich die mache, riecht alles nach Stall, als ob man auf einem Bauernhof ist”, erzählt er.

Das Kneten dauert eine Stunde in der Küchenmaschine, danach ruht der Teig ein paar Stunden in einem Plastikbehälter. „Der Teig hat immer ein Thermometer im Arsch stecken”, meint er noch. „Damit die Temperatur auch immer um die 26 Grad liegt.” Alle halbe Stunde wird der Teig „gefaltet” und dann gegen 16 Uhr in Körbe gelegt. Gegen 20.30 Uhr wird er dann über Nacht gekühlt, sodass er am nächsten Morgen um zehn bereit für den Ofen ist.

Jeden Tag, wenn er den Teig macht, nimmt Rasmus 25 Gramm Sauerteig ab. Wenn er ihn dann zur richtigen Zeit mit Mehl und Wasser füttert, hat er genug, um den Brotteig für den nächsten Tag zu machen. „So entstehen aus einem Esslöffel Sauerteig 19 Brote, von denen jeder der 130 Gäste eine Scheibe bekommt. Es ist verrückt. Bei dem Gedanken bekomme ich immer noch fast einen Steifen. Das ist wahre Magie.”

Rasmus Kristensen på Noma. Foto: Sarah Buthmann

Sauerteig mit Wasser und Mehl zu füttern hört sich vielleicht nicht nach großer Zauberei an, aber genau darin liegt der Schlüssel zu einem ausgewogenen Geschmack beim Brot, erklärt Rasmus. Man arbeitet mit einem lebenden Organismus, deshalb ist nicht nur das Rezept, sondern vor allem Intuition wichtig. Indem man den Sauerteig jeden Tag zur gleichen Zeit füttert und das Wasser immer die gleiche Temperatur hat, kann man die Fermentation und den Säuregrad konstant halten. Und man sollte nie, niemals der Versuchung erliegen und Hefe hinzufügen.

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„Das ist, als würde man eine Handgranate in den Teig werfen”, sagt Rasmus. „Da wird so viel Energie in so kurzer Zeit verbraucht, dass das Brot nicht mithalten kann. Hefe macht das Backen natürlich einfach. Und billig. Dein Brot geht immer auf, weil Hefe so viel Energie hat. Je weniger Hefe, desto schwerer ist es zu backen. Und je mehr Wasser man hinzugibt, desto besser schmeckt es und desto schwieriger ist es zu backen, weil der Teig flüssiger wird.” Und besonders am Geschmack hat Rasmus intensiv gearbeitet. Im Noma versucht er, die Essigsäure im Brot zu reduzieren – die ist für den leicht bitteren Geschmack von Roggenbrot verantwortlich. Gleichzeitig will er mehr Milchsäure, die für einen weicheren, fast schon cremigen Geschmack sorgt.

Wenn das Restaurant geschlossen hat, nimmt Rasmus den Teig mit nach Hause und füttert ihn. „Ich muss. Ansonsten ist er bis Montag aus dem Gleichgewicht. Ich habe schon probiert, ihn Samstagabend kühl zu stellen, aber dann entwickelt sich immer noch mehr Essigsäure, sodass er montags noch saurer wäre.”

Rasmus Kristensen og surdej på Noma. Foto: Sarah Buthmann

Eine Zeit lang hat er an seinen freien Tagen in der Batting Bakery in Ordrup geübt, die vielleicht nicht unbedingt auf dem kulinarischen Radar liegt, aber von der Rasmus glaubt, dass sie das beste Brot Dänemarks macht. („Wenn du das beste, nerdigste Brot Dänemarks probieren willst, dann geh zu Batting.”) Vor dem Noma hatte er keine Erfahrung mit Sauerteigbrot. Er ist durch seine Dessert-Erfahrung –unter anderem durch dasStammershalle in Bornholm und dem WD~50 in New York – zum Noma gekommen. Hier arbeitet er jetzt an Desserts und am Brot.

Brot ist mittlerweile seine Obsession geworden. Es geht ihm dabei nicht nur um die paar glückliche Gäste, die im Noma essen dürfen, sondern darum, eine Esskultur zu hinterfragen, in der industriell hergestelltes Brot etwas zerstört hat, was einst jahrhundertelang eine unserer wichtigsten Energiequellen war. Eine Kultur, in der die Leute einfach schnell auf glutenfreie Alternativen umsteigen.

„Glutenintoleranz ist eine Erfindung”, meint er. „Gluten wurde zum Sündenbock erklärt, aber Gluten ist eigentlich ein Eiweiß und überhaupt nicht das Problem. Das wirkliche Problem sind industriell verarbeitetes Mehl und industriell hergestelltes Brot. Unsere Körper können das Brot, so wie es heute hergestellt wird, nicht verarbeiten. Wir bekommen überhaupt keine Nährstoffe.”

Das Problem sind chemische Verbindungen, die die ganzen Vitamine und Mineralien im Getreide binden. Bei Brot aus Hefeteig, erklärt Rasmus, werden die Säurebindungen nicht aufgelöst, sodass wir die Nährstoffe aus dem Brot nicht aufnehmen können und unsere Verdauungsorgane versuchen, diese Bindungen aufzubrechen. Dabei entsteht Kalk, was dann zu Verstopfung und zur Ausscheidung von Abfallstoffen über die Haut führt.

Rasmus Kristensen og surdej på Noma. Foto: Sarah Buthmann

Sauerteig ist die Rettung, meint er. „Wenn der pH-Wert von Brot unter vier sinkt, kommt die Säure des Sauerteigs, löst die Verbindungen auf und wandelt sie in Milch- und Essigsäure um. Die können von unserem Körper verarbeitet werden. So können wir die Nährstoffe leichter aufnehmen. Alles dank magischer Fermentation.”

Noch kann man nicht erahnen, wie das Brot aussehen wird, wenn das Noma in neuer Form wieder auftaucht. Rasmus will alles dafür tun, dass der Sauerteig überlebt. Bis dahin gibt es das Brot bis zum „letzten Mahl” in der Strandgade 93 – jeder Gast bekommt eine Scheibe serviert mit Butter aus Røros in Norwegen, die drei Tage fermentiert wurde, und perfekt zur Säure des Sauerteigs passt.

Rasmus Kristensen og surdej på Noma. Foto: Sarah Buthmann

„Bei mir gibt es keine Bärlauchbutter”, sagt Rasmus. „Die schmeckt bestimmt, aber ich würde dich zusammenschlagen, wenn du das auf mein Brot schmierst. Damit ruinierst du es.”

Und das wäre wirklich Blasphemie.