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rechte Gewalt

Warum es Quatsch ist, dass vor allem der Osten ein Problem mit rechter Gewalt hat

Und in welcher Großstadt in Nordrhein-Westfalen rechte Gewalttäter am meisten Flüchtlinge angreifen.

Neonazis bei einer Demonstration in Essen im April 2016 | Foto: Felix Huesmann, aus dem Artikel "Die 90er haben angerufen und wollen ihre Neonazis zurück"

Rechte Hooligans protestieren auf Demos. Bürgerwehren patrouillieren durch die Straßen. Flüchtlingsunterkünfte stehen in Flammen. Die Opfer sind Geflüchtete, Wächter vor Flüchtlingsheimen und freiwillige Helfer. Wenn wir das hören, denken wir an Clausnitz, Freital oder Heidenau. Und das ist ein Fehler. Denn all diese Vorfälle passierten in Köln, Düsseldorf, Arnsberg und Münster. Städte im Westen des Landes, die man eher mit Karneval, Luxus-Einkaufsmeilen, Universitäten oder dem hübschen Weihnachtsmarkt verbindet.

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Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW hat diese Straftaten in Nordrhein-Westfalen nun ausgewertet.

Der Anlass: Am 1. Februar stelle die Linke-Fraktion im Bundestag eine kleine Anfrage – 16 Fragen zur Stimmungslage in der Flüchtlingsthematik. Die Antwort der Bundesregierung zeigte, dass die Anzahl der Übergriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterstützer im Vergleich zu 2015 noch gestiegen waren – und eben nicht nur im Osten. 499 Übergriffe wurden alleine in NRW dokumentiert. Bundesweit sind es über 3.500. Und die tatsächliche Zahl sei noch höher, so die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus.

"In NRW blicken wir oft auf Sachsen und andere östliche Bundesländer, dabei finden viele rechtsextreme Straftaten hier vor unserer Haustür statt", sagt Heiko Klare von der Mobilen Beratung in Münster zu VICE. "Wir nehmen sie nur weniger wahr als im Osten." Die Mitarbeiter der Mobilen Beratung versuchten herauszufinden, wie viele Straftaten gegen Flüchtlinge es in NRW tatsächlich gab. Sie kontaktierten Polizisten, Anwohner, Beratungsstellen, werteten Medienberichte und öffentliche Statistiken aus. Sie kommen auf 600 bis 700 Straftaten in NRW allein im Jahr 2016. Das sind zwei Überfälle an jedem Tag.

Die mutmaßlichen Täter, so die Erkenntnis, sind nicht nur organisierte Neonazis. "Darunter sind Anwohner oder Menschen, die im Fußballverein neben einer geplanten Flüchtlingsunterkunft spielen." Bei den Brandanschlägen auf damals unbewohnte Flüchtlingsunterkünfte im Münsteraner Stadtteil Hiltrup im April und Juni 2016 stellte sich heraus: Die Täter teilen zwar das Gedankengut von Rechtsextremen, waren aber in keiner Organisation Mitglied. "Die Alltäglichkeit der Straftaten ist besonders alarmierend", so Klare.

Besonders Köln wurde zu einem Zentrum für rechtsextreme Straftaten. 2015 verübte ein Attentäter einen Mordversuch auf die damalige Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker. Die Begründung: ihre Flüchtlingspolitik. Danach herrschte Entsetzen, und es gab weniger rechte Straftaten in Köln. Seit der Silvesternacht 2016 dreht sich die Entwicklung: 93 Straftaten gab es im vergangenen Jahr allein in Köln, darunter Sachbeschädigung, Beleidigung, Volksverhetzung. 'Bürgerwehren' kontrollieren die Straßen.

"Wir stellen eine Verrohung der Gesellschaft fest", sagt Klare. "Das ist aber bundesländerübergreifend der Fall. Was man bei Familienfeiern oder beim Sonntagscafé sagt, hat sich nach rechts verschoben. Die Menschen sprechen ihre Position offen und mit Namen aus. Das fand so vor einigen Monaten noch nicht statt."

Die Zahlen sind eine Warnung, Rechtsextremismus nicht weiter nur mit dem Osten zu verbinden. Und zugleich zeigen sie: Kriminelle Energie kann auch in unseren Nachbarn stecken. Folge Melanie auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.