Der Teufel trägt Prada, The Social Network, The Wolf of Wall Street: Viele Hollywood-Filme der letzten paar Jahrzehnte scheinen ein extrem problematisches Verhältnis zur Arbeit zu verherrlichen. Natürlich ist es wichtig für deine Karriere, auch mal die Initiative zu ergreifen, aber allzu oft nutzen Vorgesetzte die guten Absichten ihrer Angestellten aus, weil die keine klaren Grenzen setzen. Das sagen Sara Capizzi und Stefano Macchi, Psychotherapeutin und Psychotherapeut am Klinischen Zentrum Spazio FormaMentis in Mailand.
Deswegen ist es so wichtig, Nein zu sagen – auch als überzeugter Teamplayer. Du wirst keine Karrieresprünge machen, nur weil du dich zum Spielball deiner Vorgesetzten machen lässt. Aber warum fällt es dir so schwer, zu deinem Boss Nein zu sagen? Vielleicht denkst du, dass dein Nein nicht akzeptiert wird und du deinen Job riskierst, wenn du dich weigerst, eine Aufgabe zu übernehmen? In Wahrheit ist aber ein tieferliegender psychischer Druck dafür verantwortlich, dass wir uns mehr aufhalsen, als gut für uns wäre.
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“Nein zu sagen, ist ein Weg, um deine Grenzen zu definieren und anderen sichtbar zu machen”, sagt Capizzi. “Um Nein sagen zu können, müssen wir allerdings unsere Bedürfnisse kennen und Verantwortung für unser Innenleben übernehmen. Wenn wir das tun, können wir nicht immer erwarten, dass die andere Person versteht, wie wir uns fühlen. Deswegen ist es nicht immer leicht, Nein zu sagen.”
Dazu kommt, dass notorische Neinsager bei der Arbeit häufig als egoistisch, unfreundlich, undankbar oder einfach unsympathisch gelten. Dabei sollten wir unsere Kolleginnen und Kollegen beneiden, die genau wissen, was sie leisten können und was nicht, und denen egal ist, was andere von ihnen denken. Die meisten Menschen sind nicht so selbstbewusst. “Vielleicht befürchtest du, dass es dich weniger beliebt macht oder einen Konflikt auslöst, wenn du Nein sagst”, erklärt Capizzi. “Vielleicht hast du Angst, dass die andere Person sonst von dir enttäuscht ist. Du versuchst deshalb, die Aufgabe zu erfüllen, um dich selbst wie ein guter Mensch zu fühlen. Koste es, was es wolle.”
Laut Macchi tritt dieser Instinkt zum People-Pleasing am Arbeitsplatz besonders hervor, weil wir so viel Zeit dort verbringen – bei Vollzeitbeschäftigung etwa 25 Prozent unserer Woche. In dieser Zeit knüpfen wir enge Beziehungen zu unseren Kolleginnen und Kollegen. “Es ist ein sehr menschliches Gefühl und kommt psychisch gesehen von unserem Bedürfnis nach sozialer Inklusion”, sagt Macchi. Abgesehen davon fühle es sich einfach gut an, Ja zu sagen und dafür belohnt zu werden. “Das hat mit der Freisetzung von Dopamin in unserem Gehirn zu tun”, sagt Capizzi.
Macchi ergänzt, dass die momentane Instabilität der Arbeitswelt Menschen auf zwei Arten dazu bringe, eher Ja zu sagen. Viele fühlen sich zu einem gewissen Grad ersetzbar, vor allem Menschen in Zeitarbeit. Aber auch die Angst vor weniger Rückhalt bringt viele dazu, sich mit den Kollegen besonders gut zu stellen, “um nicht zu riskieren, allein zu sein, ohne sich selbst dafür entschieden zu haben”, so Machhi.
Aber es kann gefährlich sein, ständig Ja zu Extraarbeit zu sagen. “Wenn es ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen des Unternehmens und den Ressourcen oder Bedürfnissen der Angestellten gibt, können Letztere Stress erfahren”, sagt Capizzi. Dieser Stress kann, wenn er sich anhäuft, zu Burnout führen – “einem Gefühl von Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Desinteresse, emotionaler Distanz zur Arbeit und letztlich einer Abnahme der Effizienz”, sagt Capizzi.
Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme, Abschottungstendenzen, Schlafprobleme, Appetitlosigkeit oder körperliche Symptome wie Migräne oder Verdauungsprobleme: All das können Anzeichen für ein Burnout sein.
“Besonders vom Burnout bedroht sind Menschen, die hohe Erwartungen an sich selbst haben, die perfektionistisch sind und dazu neigen, sich zu übernehmen”, so Capizzi. Häufig haben Menschen mit hohem Burnout-Risiko eine strenge Arbeitsmoral, werden aber gleichzeitig von Zweifeln und Unsicherheiten bezüglich ihrer Arbeit gequält.
Dass das auf lange Sicht nicht gutgehen kann, liegt auf der Hand. Umso wichtiger ist es, Nein zu sagen, weil uns das erlaubt, “bei der Arbeit unser Gefühl von Selbstbestimmtheit und Selbstwirksamkeit zu reaktivieren”, sagt Macchi. Abgesehen davon, kann es sogar hilfreich für das Unternehmen sein, wenn du sagst, was im Rahmen deiner Möglichkeiten liegt und was nicht. Auf diese Weise kann sich das Team entsprechend organisieren und alternative Lösungen finden, um seine Ziele zu erreichen.
“Nein zu sagen, kann mich in den Augen meiner Vorgesetzten sogar wie einen aktiven Mitarbeiter erscheinen lassen. Eine Person, die dazu fähig ist, ihre eigenen Bedürfnisse zu schützen und letztlich auch die des Unternehmens”, sagt Macchi. Du riskierst nicht nur deine eigene Gesundheit, sondern stresst möglicherweise auch deine Kollegen und störst ihren Workflow, wenn du dann doch Hilfe beim Beenden der Extra-Aufgabe brauchst.
Wenn du allerdings jahrelang zu allem Ja gesagt hast, kann dir das erste Nein umso schwerer fallen. “Schalte einen Gang zurück und frag dich, was dich dazu bringt, immer Ja zu sagen”, sagt Macchi. Versuche, dich ehrlich mit dir auseinanderzusetzen, deine Grenzen zu verstehen und das, was dir wirklich wichtig ist. Dann solltest du darüber nachdenken und wirklich akzeptieren, dass für dich ein Nein auch eine Option ist. Erst dann kannst du dir konkrete Strategien für die Arbeit überlegen.
Wenn du Nein sagen willst, aber die Konsequenzen fürchtest oder es einfach nicht gewohnt bist, Grenzen zu setzen, solltest du “dich fragen, was die schlimmste Konsequenz deines Neins sein könnte”, sagt Capizzi, “oder ob dir das Ja wirklich einen Vorteil bringt”.
Zu guter Letzt erfordert es Übung, direkt und ehrlich mit dir zu sein. Aber es lohnt sich. Wenn du nicht lernst, für dich einzustehen, kannst du nicht von anderen erwarten, dass sie verstehen und respektieren, was du möchtest.