Im Juni 2013 zeigt das Model Gina-Lisa Lohfink zwei Männer an, sie vergewaltigt zu haben. Die beiden hatten kurz vorher ein Video veröffentlicht, in dem man sie beim Sex mit einer passiv wirkenden Lohfink sieht, die mehrere Male deutlich “Hör auf” sagt. Lohfink erklärt später, sie könne sich an die Szene nicht erinnern. Und sie äußert den Verdacht, dass ihr jemand “was ins Glas getan” haben müsse. “Anders kann ich mir das nicht erklären”, sagt sie zum zum Stern. “Ich hab schon zweimal K.o.-Tropfen gekriegt, mit 18 und mit 23, das fühlte sich genauso an wie damals.”
Als die Polizei Wochen danach die Ermittlungen gegen die beiden Männer aufnimmt, ist es viel zu spät, um Rückstände von K.o.-Tropfen in Lohfinks Körper festzustellen. Stattdessen beruft das Gericht einen Gutachter, der anhand des Videos beurteilen soll, ob das Model unter Drogen stand oder nicht. Der Gutachter stellt in einem elfseitigen Gutachten schließlich fest, dass das “aktive” Verhalten Lohfinks keinen Hinweis darauf zulasse, dass sie K.o.-Tropfen bekommen habe. Die Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Verfahren wegen Falschaussage gegen Lohfink.
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Die Entscheidung hat weitreichende Empörung ausgelöst. Tatsache ist aber, dass sogenannte “K.o.-Tropfen” die Strafverfolgung vor nie gekannte Herausforderungen stellen—vor allem wenn es um schreckliche Verbrechen wie Vergewaltigungen geht. Als K.o.-Tropfen eingesetzt werden vor allem GHB und das nah verwandte GBL. Die Drogen sorgen bei geringer Dosis für Euphorie und Enthemmung und werden deshalb auch gerne als Partydroge genommen. Bei größere Dosen wirken sie jedoch betäubend und verursachen erheblichen Gedächtnisverlust. Die Droge sorgt also nicht nur dafür, dass Opfer sich während der Tat nicht wehren können—sie können sich danach oft nicht einmal daran erinnern.
Das ist auch der Grund, warum bis heute so wenige nachweisbare Fälle von Vergewaltigung mithilfe von K.o.-Tropfen gibt, glaubt Monika Bulin. Die Notrufberaterin hat während ihrer Arbeit beim Frauennotruf in Aachen so viele Fälle gesammelt, dass sie eine Kampagne zur K.o.-Tropfen-Prävention ins Leben gerufen hat. “In jeder Schulklasse, in der ich über das Thema spreche, gibt es zwei oder drei Mädchen, die schon mit K.o.-Tropfen zu tun hatten oder jemanden kennen, dem so etwas passiert ist.” Uns hat sie erklärt, was man tun kann, wenn man glaubt, zum Opfer geworden zu sein.
VICE: Warum kommt es so selten zu Verurteilungen im Zusammenhang mit K.o.-Tropfen?
Monika Bulin: Zum eine ist die Nachweisbarkeit von GHB bzw. GBL sehr gering. Im Blut ist das ca. sechs bis sieben Stunden nachweisbar, im Urin bis zu zwölf. Innerhalb dieses kleinen Zeitfensters kommen die wenigsten Betroffenen zur Polizei, zum Arzt oder ins Krankenhaus. Und wenn, werden sie häufig nicht als mögliches KO-Tropfen-Opfer behandelt, sondern eher so als Alkohol-Leiche. Da vergeht natürlich kostbare Zeit.
Das heißt, man muss eigentlich sofort handeln—obwohl man noch massiv desorientiert ist?
Ja, man ist eigentlich gar nicht in der Lage, zu reagieren. Die andere Schwierigkeit ist, dass die Betroffenen aufgrund der massiven Erinnerungslücken selbst gar nicht in der Lage sind, das so klar darzustellen, dass es für eine Anzeige reicht. Oft kommt dann Scham und Zweifel dazu, ob das wirklich so passiert sein kann. Und Schuldgefühle: Habe ich nicht doch zuviel getrunken, habe ich nicht doch eine Mitschuld?
Merken die Umstehenden nicht, dass man nicht mehr ganz klar ist?
Das Problem bei diesen Substanzen ist, dass die Betroffenen scheinbar noch aktiv am Geschehen teilnehmen. Die machen auf Außenstehende vielleicht einen besoffenen oder verwirrten Eindruck, aber die können in der Regel noch gehen und stehen. Sie selber kriegen in dem Zustand aber schon gar nichts mehr mit, die haben Erinnerungslücken zwischen zwei und vier Stunden.
Unbeteiligten Beobachtern kommt das Verhalten vorher oft auch ein bisschen schräg vor, weil die Betroffenen selber in der Tat sehr oft mit einem stark sexualisierten Verhalten auffallen. Das macht eine Beweisführung schwierig. Nicht unmöglich, aber schwierig.
Woher weiß man am nächsten Tag, dass man K.o.-Tropfen bekommen haben könnte?
Man sollte sich diese Fragen stellen: Hat man Erinnerungsstörungen? Hat man auch vor dem Filmriss unerklärliche Anzeichen an sich wahrgenommen—zum Beispiel Reg- oder Willenlosigkeit? Oft gibt es einen direkten Filmriss, man stand an der Bar, und zack, man war weg. Aber bei einigen kündigt sich das auch an, durch Schwindel oder das Gefühl, in Watte gepackt zu sein.
Dann muss man sich fragen: Hat man Zweifel, dass diese Gefühle durch Alkohol hervorgerufen worden sein können? Und natürlich: Hätte jemand die Gelegenheit gehabt, einem etwas in die Getränke oder ins Essen zu tun? Hat man einen veränderten Geschmack wahrgenommen? Leidet man im Nachhinein an starker Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel?
Was kann man machen, wenn das zutrifft?
Am besten sofort ein Krankenhaus aufsuchen und sich Blut abnehmen und Urin sicherstellen lassen. In vielen großen Städten gibt mittlerweile die Möglichkeit einer anonymen Beweissicherung, dann werden die Proben entnommen und eingelagert—dazu muss man noch keine Anzeige erstatten. Dann hat man erstmal Zeit, in Ruhe nachzudenken. Als nächstes sollte man sich Hilfe bei einer Beratungsstelle holen.