Warum gibt es auf österreichischen Festivals keine Pop-Acts?

Festivals sind prinzipiell eines der schönsten Dinge am Sommer und ich freue mich wirklich für jeden einzelnen von euch, dass ihr auch dieses Jahr wieder die Möglichkeit bekommt, eure Lieblingsmännerband oder euren Lieblingssong von Robin Schulz im Rahmen einer mehrtägigen OpenAir-Veranstaltung mit Camping- und Vollrausch-Möglichkeit zu erleben. Ich unterstütze eure Euphorie von ganzem Herzen und lasse mich nur allzu gern davon anstecken. Gott weiß, ich habe die besten Abende meines Lebens damit verbracht, “In The End” von Linkin Park in den Frequency-Nachthimmel zu grölen – nie zuvor habe ich mich so lebendig und zugleich innerlich tot gefühlt.

Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich würde der Musik wegen aufs Frequency fahren – meine Musik ist Pop und meine Musik hat auf Festivals nix verloren. Das habe ich mit den Jahren zumindest so gelernt und mich irgendwann auch damit abgefunden. Damit, dass es trotz der absurd hohen Dichte an Festivals in Österreich keines gibt, auf dem ich zu “4ever” von The Veronicas in einen Moshpit fetzen kann.

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Aber warum sollen wir die stickigen Zelte, das warme Dosenbier, den Achselhöhlen-Mief, die Dixie-Klo-Schlangen und generell das ganze “Flair” (Hallo Mama!) ausgerechnet den Leuten überlassen, die glauben, Popmusik wäre immanent minderwertig? Warum so tun, als würden wir bei Katy Perry nicht mindestens genau so viel Spaß haben wie bei Die Antwoord? Stellt euch nur “Firework” in einem viel zu überzogenen, von Pyrotechnik geschwängertem Festival-Kontext vor! Oder stellt euch Rihanna vor, stellt euch Miley vor – mein Punkt ist: Wir verdienen mehr als ein arschwässriges Banjo-Set von Mumford & Sons als österreichisches Festival-Highlight.

Das strenge Non-Pop-Regiment, das auf unseren Festivals herrscht, ist jetzt weder Überraschung noch Geheimnis – allerdings scheint es nur noch im deutschsprachigen Raum wirklich zu gelten.

Foto via flickr | Philip Nelson | CC BY 2.0

Das größte schottische Musikfestival T in the Park beginnt bereits in den 90ern immer mal wieder Acts wie Texas, All Saints oder Kylie Minogue zwischen Muse, Travis und Placebo auf die Hauptbühne zu streuen. 2004, als das irische Oxegen Festival noch unter Witnness geführt wird, heißen die Headliner auf der Main Stage Coldplay, Damien Rice und Sugababes. Und eines der bekanntesten Festivals Europas, das Glastonbury, stellt 2011 seinen ersten weiblichen Headliner seit 20 Jahren – und darüberhinaus auch den wahrscheinlich größten Popstar aller Zeiten ever: Beyoncé.

Erst seit der Geburtsstunde von Beyoncé als Festival-Headliner scheint irgendwie klar zu werden, dass Pop und Dixieklos nun mal nicht in Widerspruch zueinander stehen müssen. 2013 wird sie schließlich auch aufs britische V Festival gebucht, 2014 folgen ihr dorthin Justin Timberlake, 2016 Rihanna und Justin Bieber.

2017 soll Beyoncé abermals Geschichte schreiben und das mindestens so riesengroße wie renommierte Coachella in Kalifornien headlinen – bisher sind dort, wenn überhaupt, nur Popstars von Madonna-Kaliber aufgetreten, und selbst die war 2006 nur Supporting Act, obwohl sie zu der Zeit mit “Confessions” die Welt regierte. Aber egal – Beyoncé muss schwangerschaftsbedingt absagen, folgerichtig springt Lady Gaga für sie ein und steht somit triumphierend in der selben Schriftgröße am Plakat wie Radiohead und Kendrick Lamar. Für ein jahrelang unterdrücktes Pop-Herz wie das meinige ein kleiner Durchbruch.

Der Headliner-Slot für Lady Gaga bei Coachella ist die endgültige Bestätigung dafür, dass Pop auf Festivals angekommen ist – zumindest international. Das Frequency holte zuletzt im Jahr 2015 mit Charli XCX und Ellie Goulding zwei Acts nach Österreich, die damals ungefähr im selben “Alternative Pop”-Teich schwammen, aus dem fünf Jahre zuvor bereits Marina & the Diamonds oder La Roux gefischt und für FQ-tauglich befunden wurden.

Und während Charli XCX heute höchstens noch ihren kleinen Zeh im FM4-Indie-Wasser abkühlen kann, ist Ellie Goulding inzwischen zum ausgewachsenen Mainstream-Popstar mutiert, der sich ein Produzententeam mit Katy Perry und Taylor Swift teilt. Und während kommerzieller Erfolg eine Band wie Mumford & Sons vom Nachmittags-Act zum Headliner macht, wird jemand wie Ellie Goudling wohl nicht mehr aufs Frequency eingeladen werden.

“Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass sich Shows von Acts wie AC/DC und Metallica einfach extrem gut verkaufen, Kylie Minogue hingegen nicht mal die Stadthalle vollkriegt.”

Internationale Popstars im Festival-Rahmen bekommt man in Österreich allerhöchstens auf der Ö3-Bühne am Donauinselfest zu sehen – aber auch hier hat man sich in den letzten Jahren verstärkt darum bemüht, eine “breitere Zielgruppe” zu bedienen. So fanden sich Anfang der Nuller Jahre etwa noch die Sugababes, die No Angels, Shaggy oder Melanie C im LineUp, später jedoch wurden Girlbands und Pop-Shows gegen Bügelmusik von Silbermond, Reamonn oder Milow eingetauscht. Mittlerweile werden nur noch vereinzelt ein paar leistbare Newcomer wie Dua Lipa (2016) oder Alma (2017) auf die Donauinsel gebucht – und wenn man Glück hat, werden vielleicht Nostalgie-Geschütze in Form von Anastacia und Natalie Imbruglia aufgefahren.

Silvio Huber ist Head of Booking bei Arcadia Live in Wien und hat eine ganze Reihe an Erklärungen für den fehlenden Mainstream-Pop auf heimischen Festivals parat: “Es ist eine Mischung aus vielen Faktoren, die hier Einfluss haben.” Zunächst mal sei die starke Alternative-Ausprägung auf unseren Festivals einfach – wie das immer so schön heißt – historisch gewachsen. Dann spiele natürlich auch das Festivalgänger-Publikum eine Rolle: “Sicherlich gibt es hier eine Schnittmenge, aber Katy Perry-Besucher gehören vermutlich nicht zu den Dauercampern am Frequency.”

Ein weiterer ausschlaggebender Punkt seien aber auch die Budgets, die allein aufgrund der österreichischen Festivalgrößen im Vergleich zu etwa Glastonbury eher niedrig ausfallen. Darüberhinaus habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Shows von Acts wie AC/DC und Metallica einfach extrem gut verkaufen, Kylie Minogue hingegen nicht mal die Stadthalle vollkriegt und deshalb gar nicht mehr kommt – genauso wie Beyoncé, Britney, JLo, Taylor Swift, Ariana Grande oder Janet Jackson, die allesamt während ihren letzten Welttourneen einen Bogen um Österreich zu machen wussten. Noch nicht mal der sicherste Happel-Ausverkauf aller Zeiten – Adele – hatte Wien am Tourplan.


Am Electric Love Festival verschwimmen die Grenzen zwischen Pop und Elektronik:


Ist Österreich also einfach ein Pophasser-Land? Nein, dann wären die Stadthallen-Konzerte der Justins Bieber wie Timberlake wohl kaum ausverkauft gewesen, One Direction hätten nicht das Ernst-Happel-Stadion gefüllt und Ed Sheeran würde uns vermutlich auch erspart bleiben. Nein, Österreich hasst allerhöchstens ein paar weibliche Popstars über 30.

Ein bisschen kriegt man den Eindruck, es wäre gar vielleicht gar nicht so sehr die Musikrichtung, sondern eher das Geschlecht, das hier den Unterschied macht. Halsey hat mal in einem Interview gesagt, sobald man als Frau einen Pop-Song aufnimmt, wird man überall als unseriöse Popsängerin gesehen. Popmusik wäre sozusagen der Todeskuss für weibliche Künstlerinnen – wohingegen Typen wie Drake im Grunde genommen nichts anderes machen als Pop und dennoch ernst genommen werden.

Die Burschen von Galantis sind so was wie bessere, schwedische Chainsmokers und haben in der Vergangenheit schon für Kylie, Madonna, JLo und Britney produziert – dementsprechend poppig klingt auch ihre eigene Musik. Galantis spielen dieses Jahr am Frequency, Kylie wird das wohl nie.

Wo Kylie allerdings schon war, Galantis dafür aber nicht, ist das Line-up vom deutschen Melt! Festival 2015. Zugegebenermaßen zwischen Jamie-xx, Bilderbuch und alt-J wirkte sie da ein bisschen wie ein Fremdkörper, aber ein guter Fremdkörper. Es sind Booking-Babysteps, die naturgemäß erst mal viel Gegenwind erfahren werden – in erster Linie von Leuten, die wegen einem Pop-Headliner wie Katy Perry um die Qualität ihres geliebten Glastonbury fürchten.

Foto via flickr | Nadie Miller | CC BY 2.0

Laut Silvio Huber ist Österreich da einfach noch sehr österreichisch: “Wie wir ja wissen, passiert hier alles einige Jahre später. Somit wird ein gewisser Trend, wie der in Glastonbury, vermutlich früher oder später auch bei uns stattfinden.”

Dass zumindest vereinzelte Pop-Headliner irgendwann tatsächlich auch bei uns ein Ding werden könnten, beweisen aktuell die ungarischen Nachbarn vom Sziget Festival. Die bedienten jahrelang die altbewährte Frequency-Klientel, teilten sich oftmals sogar die Headliner – bis man 2015 plötzlich Robbie Williams und damit den erfolgreichsten männlichen Popstar Europas im LineUp hatte. Ein Haupt-Act, der wahrscheinlich eher auf der Ö3 Greatest Hits als auf der FM4 Soundselection landen würde, das war neu für das ungarische Frequency – schien aber zu funktionieren: 2016 holte man schließlich Rihanna und Sia, dieses Jahr spielt Pink eines ihrer ersten Konzerte seit Jahren am Sziget.

Der gefühlt einzige Act am diesjährigen Frequency, der irgendwie als Popstar durchgeht, ist Anne-Marie aus England – die hat bis jetzt zwei mittelgute Singles, ein erfolgreiches Clean Bandit-Featuring und kein Album vorzuweisen. Und irgendwie wünsche ich mir jetzt, dass Anne-Marie kommerziell richtig groß wird und in ein paar Jahren trotzdem Headliner sein darf. Ein paar Popstar-Sträusel haben noch keinen Festival-Kuchen verdorben.

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