Ich wohne mit zwei Mädchen zusammen und wenn ich morgens ganz viel Pech habe, muss ich beim Bad anstehen. Es ist zwar die kürzeste Schlange, in der ich den ganzen Tag stehen werde, aber mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auch die stressigste.
Kaum bin ich außer Haus, lauf ich noch schnell zum Spar um die Ecke, um mir Frühstück zu kaufen, wofür ich zuhause wegen des Anstellens ja keine Zeit mehr hatte. An der Kasse muss ich mich wieder anstellen. Es ist eine der längsten Schlangen des Tages und auch die ungemütlichste. Danach folgt die Schlange beim Bankomaten, die Schlange beim Klo und am Ende des Tages die Schlange im Club, die eigentlich eine endlose Sammlung an Schlangen ist—die beim Reingehen, die bei der Garderobe, die beim Klo, die bei der Bar und die beim Rausgehen.
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Die Briten haben 2013 herausgefunden, dass sie jährlich 92 Stunden—also fast vier ganze Tage—damit verbringen, in einer Schlange zu stehen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Dabei sind die doch eigentlich bekannt für ihr Queueing und dafür, dass sie die Sache mit dem Anstehen richtig gut drauf haben.
An einer Londoner Haltestelle beispielsweise huschen alle Passanten wortlos und diszipliniert in eine perfekt geordnete Linie, noch bevor man überhaupt mitkriegt, was überhaupt los ist. Auch wenn nur ein einziger Mann auf den Bus wartet, gilt das bereits als reguläre Warteschlange, in die man sich einzugliedern hat („This is a queue!”).
Die Schweden haben offenbar sogar die Angewohnheit, überall Nummernzettelchen zu ziehen, um eine strukturierte Abfolge zu schaffen. Es scheint, als wäre das Prinzip einer geordneten Warteschlange überall bekannt, nur bei uns nicht.
Das ist nun mal die österreichische Mentalität, die man hier deutlicher merkt als irgendwo sonst. Paradoxerweise herrscht ausgerechnet im Land der Hättiwari-Grantler das Gesetz des Stärkeren. In der unkoordinierten österreichischen Warteschlange trifft Wurschtigkeit auf Sozialdarwinismus.
Vor einem Schalter (eigentlich vor jedem Schalter) bilden sich wirre Menschentrauben ohne System, anschließend wird mit Ellenbogen gestoßen und gerammt und jeder ist sich immer selber der nächste. Wenn die Briten schon vier Tage im Jahr anstehen, wie viel Zeit verschwenden dann erst wir jährlich in Schlangen? Eine Woche? Zwei? Der Gedanke allein verdirbt mir schon wieder jegliche Lust auf den nächsten Spar-Besuch.
Ein bisschen britische Höflichkeit, ein bisschen schwedische Ordnung, ein bisschen weniger Selbstbedienungsmentalität, und alles wäre so viel besser. Wir würden uns so viel Zeit sparen, und Wien würde etwas mehr Tempo und Höflichkeit guttun. Nicht zuletzt weil man dann vielleicht auch nicht mehr vom Oberkellner mitten in der Bestellung angeraunzt wird.
In jeder anderen Großstadt funktioniert das. Ich möchte und will nicht verstehen, warum das hier so ein großes Problem sein muss. Wien, du machst seit der ganzen Geschichte mit der Lebensqualität gerne mal auf Weltmetropole, und du gibst dir ja auch wirklich Mühe—deine Einwohner verraten dich jedoch recht schnell.
Franz twittert manchmal auch genervt aus der Schlange: @FranzLicht