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Als Kindergärtnerin fühlte ich mich oft wie ein Oktopus, der 1000 Dinge gleichzeitig bewerkstelligen soll. 25 Kinder die meiste Zeit alleine zu betreuen, bedeutet nicht nur Stress, sondern auch, dass Bildungsarbeit fast nicht möglich ist. Die “Förderung jedes einzelnen Kindes”, wie es so schön heißt, fand oft nur in Form eines Sesselkreises statt, bei dem alleine schon das Aufstellen der Stühle eine pädagogische Meisterleistung war. Sessel fliegen, Kinder weinen, irgendwo wird nicht aufgeräumt, zwei streiten, einer hat in die Hose gemacht, vier haben doch noch Hunger, obwohl das Frühstück längst vorbei ist und irgendwo läutet das Telefon.
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Diese Situationen würden sich mit mehr Unterstützung in der Gruppe vermeiden lassen. Doch das Kindergartengesetz in Wien sieht nur eine Assistentin mit 20 Wochenstunden vor, die sie auch im Reinigungs- und Küchendienst verbringt. Wenn sie krank oder auf Urlaub ist, gibt es keine Vertretung. Zusätzlich zur Verantwortung, die man alleine trägt, hatte ich Schwierigkeiten mit fünf Stunden Vorbereitungszeit pro Woche.
Das ist meiner Erfahrung nach einfach zu wenig Zeit, um Bildungsangebote, Ausflüge und Feste zu planen, Material einzukaufen und Elterngespräche zu führen. Schulferien bleiben nur noch aus der eigenen Schulzeit in Erinnerung—und fünf Wochen Urlaub im Jahr müssen reichen, um genug Energie für die nächsten Wochen und Monate zu tanken, die man wieder alleine mit 25 Kindern in der Gruppe verbringt.
Nach vier Jahren beschloss ich also, meinen Job im Kindergarten zu kündigen. Nicht nur, dass mir die Arbeitsbedingungen zu schaffen machten; ich hatte auch jede Motivation verloren, mich diesem Chaos von Tag zu Tag wieder zu stellen. Viele meiner Kolleginnen kündigten ebenfalls, fingen ein Studium an oder verließen den Wiener Raum und begannen in Niederösterreich zu arbeiten—denn nur ein paar Kilometer weiter sind die Gehälter höher und zusätzlich zu einer fixen Assistentin in der Gruppe, sind die Kindergärten in den Schulferien geschlossen.
Der gesetzliche Fleckerlteppich rund um das Kindergartengesetz in Österreich ist daran schuld, dass sich viele ungerecht behandelt fühlen—so wie ich. Die Vorbereitungszeit, Assistentinnenstunden pro Woche, die Gehälter und die Öffnungszeiten der Kindergärten sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
In der Steiermark muss beispielsweise während der ganzen Öffnungszeit eine zweite Person in der Gruppe anwesend sein. In Wien ist das nicht der Fall.
Alleine in der Hauptstadt fehlen derzeit 600 Kindergartenpädagoginnen. Das bedeutet für diejenigen, die gerade im Beruf stehen, nicht nur Stress aufgrund des Personalmangels. Es sollte auch langsam die Politik dazu veranlassen, über ein einheitliches, bundesweites Kindergartengesetz nachzudenken. Die Kindergartenpädagoginnen und Assistentinnen gingen deswegen auch schon auf die Straße, aber solange die Eltern an Werktagen immer noch bequem in die Arbeit gehen können, weil ihre Kinder ja trotzdem im Kindergarten betreut werden, gehen Wochenend-Demos der Kindergärtnerinnen medial leider unter.
Heidemarie Lex-Nalis ist Pädagogin, Soziologin und Mitglied der Plattform Educare, einer Arbeitsgemeinschaft, die sich für die Reform der elementaren Bildung einsetzt.
Ein Protest oder ein Streik könnten nicht so schnell durchgesetzt werden, meint sie. Durch die vielen unterschiedlichen Träger der Kindergärten in Österreich seien viele Gewerkschaften am Werk: “Es gibt keine gemeinsame Stimme für die Kindergärtnerinnen in Österreich”, so Lex-Nalis.
“Man kann nicht Pädagoginnen zwischen 14 und 19 ausbilden.”
Dabei wäre genau die dringend nötig. Als ich 2008 meinen ersten Lohn bekam, betrug dieser 1500 Euro. Mit den Dienstjahren stieg zwar das Gehalt und es hat sich diesbezüglich auch einiges getan, aber gemeinsam mit dem täglichen Stress im Kindergarten, der nicht einmal eine Mittagspause zuließ, verlor ich über die Jahre jede Freude am Beruf.
Heute sieht der Kollektivvertrag für Kindergärtnerinnen in Wien im ersten Dienstjahr 2100 Euro brutto vor; im Burgenland verdient man aktuell am wenigsten.
Heidemarie Lex-Nalis kritisiert die Ausbildungsform der Kindergartenpädagoginnen. Sie sei neben den Arbeitsbedingungen schuld daran, dass viele Kindergärtnerinnen nach ein paar Jahren einen anderen Berufsweg einschlagen. “Mit 19 ist man nach dem Schulabschluss noch nicht in der Lage, den Berufsanforderungen gerecht zu werden. Man kann nicht Pädagoginnen zwischen 14 und 19 ausbilden.” Die Plattform Educare fordert deshalb die Ausbildung der Kindergartenpädagoginnen auf Hochschulebene.
Daniel Kosak, Pressesprecher des österreichischen Gemeindebundes, hat große Bedenken, wenn es um die Ausbildung der Kindergärtnerinnen auf akademischen Niveau geht: “Der Schultyp der Bakip ginge verloren und es ist immerhin auch eine Finanzierungsfrage”, so Kosak. “Öffentlich Bedienstete mit akademischen Grad würden mit steigenden Dienstjahren sehr viel verdienen.” Für die Kindergartenleiterinnen hingegen sei eine höhere Ausbildung durchaus sinnvoll, meint er. “Pädagoginnen aus den ländlichen Regionen würden nicht studieren wollen. Für sie würde sich der Arbeitsmarkt schließen”, sagt Kosak.
Es handelt sich also, wie so oft, um ein Finanzierungsproblem—und das obwohl die Bildungsarbeit im Kindergartenalter so wichtig ist. Das ist anscheinend noch nicht in der Politik angekommen, denn der Kindergarten wird ganz anders geregelt als das Schulwesen. Die Lehrer und Lehrerinnen haben außerdem eine starke Gewerkschaft hinter sich, die über Gehälter und Vorbereitungszeiten diskutiert.
Dass viele nicht wissen, wie viel Bildungsarbeit im Kindergarten eigentich stattfindet, bemerkte ich spätestens, wenn ich von Leuten Sätze zu hören bekam wie: “Du spielst und bastelst eh nur den ganzen Tag” oder “Ist sicher schön, mit den Kindern zu singen und im Garten zu sein”. Natürlich ärgerten mich diese Kommentare. Ich argumentierte, dass es mehr brauchte, als “Happy Birthday” auf der Gitarre spielen und ein Flugzeug aus Papier falten zu können. Wenn ich mich über das niedrige Gehalt beschwerte, wurde mir oft von Leuten gesagt, dass es am “Frauenberuf” oder “Sozialberuf” liege und gerade das ärgert mich sehr.
Nicht nur meine Nerven litten über die Jahre, sondern auch mein Immunsystem. Der eine oder andere Krankenstand ist unvermeidbar, wenn man sich zwischen 10 verschnupften Kindern in der Bau-Ecke wälzt. Sind Kolleginnen krank oder auf Urlaub, bedeutet das zusätzlichen Stress für das ganze Kindergarten-Team. Überstunden sind an der Tagesordnung und Pädagoginnen werden als sogenannte “Springerinnen” eingesetzt, die oft noch niemand kennt.
Kinder haben in jedem Bundesland das gleiche Recht auf eine gute Betreuung und eine Kindergärtnerin, die sich nicht überfordert durch den Tag wurschtelt.
“Die Arbeitsbedingungen der Kindergartenpädagoginnen sollen nicht nur österreichweit vereinheitlicht, sondern auch verbessert werden”, so Lex-Nalis. Kosak und Lex-Nalis sind sich darüber einig, dass für dieses Vorhaben eine Menge Geld in die Hand genommen und die Länder ihre Kompetenzen bezüglich des Kindergartengesetzes abgeben müssten. Ich persönlich sehe da wenig Hoffnung, dass diese beiden Dinge in den nächsten Jahren umgesetzt werden könnten.
Rückblickend gab es natürlich auch schöne Momente. Jeden Morgen freuten sich 25 kleine Menschen darüber, dass ich “endlich” da war. Sie haben in jedem Bundesland das gleiche Recht auf eine gute Betreuung und eine Kindergärtnerin, die sich nicht überfordert durch den Tag wurschtelt.
Eine ganz andere Bitte hab ich noch an jeden Menschen, der diesen Artikel da draußen liest: Auch, wenn es wahrscheinlich nur nett gemeint ist, sind wir keine Tanten. Vermutlich soll der Begriff den Kindern Vertrauen signalisieren. Aber das geht auch ohne so zu tun, als wäre ich die Schwester deiner Mutter. Das würdest du nicht wollen, glaub mir.
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