Warum ich mit 23 schon zu alt fürs Frequency bin

Ein Scheißhaus vom Frequency 2015 . Foto von Christopher Glanzl

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Alle Geschichten zum Frequency 2016 findet ihr hier—und bei unseren Kollegen von Noisey.

Vor zehn Jahren bin ich zum ersten Mal aufs FM4 Frequency gefahren. Lasst es auch auf der Zunge zergehen: Vor zehn Jahren. Damals war ich offensichtlich 13 Jahre alt und meinem unschuldigen, süßen Teenie-Ich noch nicht klar, dass auf dem Frequency hauptsächlich gesoffen wird. Es war mir damals auch herzlich egal, weil ich einfach nur Die Ärzte, The Killers und die Babyshambles sehen wollte, von denen letztere am Ende abgesagt haben, weil Pete Doherty “einen Flug verpasst hat”. Es hat allerdings nicht lange gedauert, bis mich die Realität einholte und ich das Frequency in all seinem alkoholischen Facettenreichtum verstanden habe.

Die nächsten Male habe ich dann meine Zeit nämlich nicht mehr damit verbracht, den ganzen Nachmittag in der ersten Reihe der Mainstage zu stehen und einen Weltrekord im Lulu-Zurückhalten aufzustellen, um den Headliner aus nächster Nähe zu sehen. Ich habe das gemacht, was alle machen: Drei Tage hintereinander in drei Pullis eingewickelt völlig zerstört in einem aufgeheizten Zelt aufwachen, zum Aufstehen schon ein paar Vodka Brause aus dem Sackerl trinken, mich wundern, warum ein Edding-Penis auf meiner Wage prangt, mir beim Frühstücksstand eine Eierspeis aus dem Tetrapak holen, Bier trinken, noch mehr Bier trinken, Spritzer trinken und ein bisschen Bands anschauen.

Mir hat dieses völlig abartige Chaos am Campingplatz gefallen und ich fand, dass es irgendwie zu einem Festival dazugehört. Irgendwann kam die Erleuchtung: Nein, tut es nicht. Zumindest nicht zwangsweise. Es geht so viel schöner und besser. Und dann wusste ich: Ich war zu alt für diesen Scheiß.

Die Menschen

Ich weiß, das klingt jetzt wie etwas, das erzkonservative Katholiken über gemäßigte Katholiken sagen würden, aber: Die Menschen am Frequency sind einfach völlig wahnsinnig. Man kann an keiner Gruppe Besoffener vorbeigehen, ohne von den Typen nass gespritzt, dumm angemacht oder angerempelt zu werden. Redet man zurück, heißt es, man verstehe keinen Spaß oder sei sowieso hässlich. Die Menschen am Frequency geben (und brauchen) keine Ruhe. Sie lassen in den paar Tagen alles raus, was sich über den Rest des Jahres angestaut hat. Sie malen sich gegenseitig mit Edding an, fesseln sich an Bäume, scheißen ihren Freunden vors Zelt und rütteln an vollgeschissenen Dixi-Klos, bis einer weint. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist wie ein Crossover aus Mad Max und The Purge. Welcher Mensch sollte sich sowas freiwillig antun? Ich jedenfalls nicht mehr.

Ich fühle mich diesem Ausmaß an tagelanger Eskalation, auf das ich mich vor einigen Jahren noch monatelang gefreut habe, nicht mehr gewachsen. Und, was fast noch schlimmer ist: Ich befürchte, ich würde gegenüber der nächsten Generation an nervtötenden Frequency-Neulingen selbst zur verärgerten Oma mutieren, die alle zurechtweist, weil man Spaß einfach nicht mehr so gerne mag. Und ich würde kläglich scheitern.

Das Frequency ist ein einziger Wettbewerb der Rauschkinder: Jeder versucht, in den wenigen Tagen so “verrückt” wie möglich zu sein, um die beste, legendärste, ekelhafteste Geschichte bis zum nächsten Frequency zu liefern. Und “verrückt” ist dabei zirka auf dieselbe Art verrückt, wie der “freche” Haarschnitt bei eurem Friseur wirklich frech ist. Habt euren “Spaß”, aber lasst mich damit in Ruhe. Und nur so nebenbei: Morphsuits waren schon 2009 scheiße.

Der Campingplatz

Vor zwei Jahren habe ich mir das erste Mal ein Zimmer in St. Pölten genommen und von da an das Frequency mit anderen Augen gesehen. Ich bin nachmittags auf dem Gelände angekommen, frisch geduscht, ausgeschlafen, mit frisierten Haaren und einem halbwegs akzeptablen Frühstück im Bauch. Und ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben alt gefühlt—mit damals 21. Natürlich musste ich ein bisschen mit meinem inneren Frequency-Girl kämpfen, und mir selbst sagen, dass es OK ist, sich gegen ein Leben im Schlamm zu entscheiden und ich deswegen nicht weniger cool bin. Aber der Komfort war letzten Endes stärker als der soziale Druck, unter dem ich stand, wenn ich jemandem gestanden hatte, dass ich nicht campe und mit einem verächtlichen Blick gestraft wurde.

Ich ertrage es seelisch nicht mehr, in einem scheiß Zelt zu wohnen, auf einem Campingplatz, von dem mein eigenes, weiches Bett nicht einmal eine Zug-Stunde entfernt ist. Ich will von niemandem geweckt werden, der gegen mein Zelt pisst oder darauf fällt. Ich will nicht neben meinen schlammigen Gummistiefeln aufwachen. Ein Festival ist nun mal trotz aller Vorteile scheiß anstrengend und mein Schlaf ist mir heilig. Na und? Ich bin eine Oma und stolz drauf. Während ihr euch eine Stunde anstellt, um in ein Klo mit Spülung zu scheißen oder euch zum Merkur schleppt, um im markteigenen Restaurant ein kurzes Nickerchen zu machen, schaue ich in meinem Bett eine Serie und trinke frischen Kaffee. Wer ist jetzt der Idiot?

Noisey: So überlebst du als Über-25-Jähriger das Frequency

Die Musik

Seien wir ehrlich. Das Frequency hat jedes Jahr eine Handvoll toller Acts zu bieten. Letztes Jahr war das Kendrick Lamar, dieses Jahr ist das Die Antwoord. Der Rest besteht zum Großteil aus völlig austauschbaren Platzhalter-Bands. Sieht man sich das Line-up an, weiß man nicht mehr genau, von welchem Jahr und welchem Festival es eigentlich stammt—und der beste Anhaltspunkt, um es doch herauszufinden, ist, indem man einfach die vergangenen Line-ups des Sziget-Festivals durchschaut und sich die größten Acts wegdenkt.

Ich kann nicht noch einmal zu Deichkind abgehen und so tun, als wäre “Remmidemmi” immer noch der totale Partyknaller. Wie oft will Paul Kalkbrenner mit “Sky and Sand” dem Frequency noch einen unvergesslichen Moment bescheren? Und aus welchem Loch sind eigentlich die Sportfreunde Stiller gekrochen, die mit jedem ihrer Lieder versuchen, an das “Kompliment”-Prinzip anzuknüpfen und nur noch völlig willkürlich erscheinende Liebesgeständnisse aneinanderreihen?

Und was hat das alles überhaupt noch mit FM4 zu tun? Das Frequency ist zu einem sich jährlich wiederholenden Zeltfest mit dem jährlich gleichen Dorf-DJ geworden. Dieser DJ erweitert seine Spotify-Playlist zwar netterweise immer wieder um ein paar aktuelle Songs, die wirklich bahnbrechenden Neuerungen bleiben aber aus. Ich habe diese Playlist leider schon viel zu oft gehört. Mit 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, und vielleicht auch noch mit 20 hat sie mir gefallen. Aber auch impulsive Menschen kennen Grenzen.

Das leibliche Wohl

Eine Sache muss man dem Frequency in dieser Hinsicht zugute halten: Handbrot. Aber abgesehen davon—und von ein paar noch recht jungen Ständen, die auch Wraps anbieten—ist das Festivalgelände noch nicht ganz im 21. Jahrhundert angekommen, sondern steckt immer noch in der Fast-Food-Ära. Einer zugegebenermaßen sehr leckeren Fast-Food-Ära, aber wenn sich die Menschen auf dem Frequency ohnehin schon fast zu Tode saufen, warum kann man ihnen von Gastro-Seite nicht wenigstens ein bisschen unter die Arme greifen? Warum gibt es dort kein Frühstück, das die Körper der Besucher auf die Alkohol-Massen vorbereitet? Wollen junge, hippe Menschen keine Avocado-Brote und Joghurt?

Davon abgesehen: Auf dem Frequency kann man so gut wie nirgends chillen. Und mit chillen meine ich nicht, in der prallen Sonne zu sitzen und zu saufen. Ich rede von einem kleinen Nachmittags-Nap oder einfach einer Stunde im Schatten. Die schattigen Plätze sind extrem begrenzt, Hängematten gibt es eher wenige. Und sagt jetzt nicht, man könne sich eh ins Zelt legen und ein bisschen entspannen. Seid ihr schon mal nachmittags in einem Zelt gelegen, ohne nach 5 Minuten von einer kuscheligen Decke aus Eigenschweiß überzogen zu sein und von Ameisen und Bröseln in jede Pore gefickt zu werden? Eben.

Fazit

Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit seid ihr gerade dabei, mein Facebook-Profil zu suchen, um mir in meinen “Message Request”-Ordner eine Nachricht zu hinterlassen, dass ich die langweiligste Person des Planeten und außerdem noch unterfickt bin und ihr sehr froh seid, wenn sich Menschen wie ich vom Frequency fernhalten. Und wisst ihr was? Ich werde trotzdem wieder hingehen. Ich werde nicht dort übernachten und ich werde mich über alles beschweren, was ich in diesem Artikel aufgezählt habe (oder zumindest innerlich den Kopf darüber schütteln). Weil es das ist, was Pensionistinnen wie ich nun mal machen. Vielleicht werde ich bei Deichkind sogar ein bisschen mitwippen. Aber nur sehr, sehr grantig und widerwillig.

Verena auf Twitter: @verenabgnr