Warum können Frauen beim Fortgehen nicht “Nein” sagen, wenn sie nichts von Männern wollen?

Ausgehen, Menschen kennenlernen und Flirten sollte etwas sein, das uns eigentlich mit positiven Erinnerungen zurücklässt. Doch nicht selten kommt es vor, dass man enttäuscht ins Taxi oder die Nacht-U-Bahn steigt. Vielleicht, weil man zu viel getrunken hat und die Folgen des Verhaltens untragbar findet. Vielleicht, weil man nicht bei der Person landen konnte, bei der man landen wollte. Oder, weil man sich selbst zu etwas gezwungen hat, worauf man eigentlich gar keine Lust hatte. Vielleicht hat man zu lange mit einem Menschen geredet, mit dem man eigentlich gar nicht reden wollte. Oder schlimmer: Vielleicht hat man mit jemandem geschmust, mit dem man eigentlich nicht so recht schmusen wollte.

Wer in den letzten paar Monaten nicht ganz hinter dem Mond gelebt hat, der hat vermutlich auch die rasante Diskussion rund um das Thema der sexuellen Belästigung mitbekommen. Eine Geschichte, die hohe Wellen geschlagen hat: Im Medium Babe erschien die Geschichte von “Grace” und ihrer Horror-Nacht mit dem Schauspieler und Comedian Aziz Ansari. Sie hatte ein Date mit Ansari und ist anschließend mit zu ihm gefahren. Er ist ihr – so steht es in dem Artikel – dann aber zu schnell zur Sache gegangen und obwohl sie das so nicht gewollt hatte und dies auch “non-verbal” kommunizierte, ließ er nicht locker. Im Gegenteil: Sie ließ ihn gewähren – sogar soweit, dass sie ihm einen geblasen hatte.

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In den (sozialen) Medien wurde ihre Geschichte sehr scharf kritisiert. Zum Teil, weil sie einseitig erzählt war. Zum Teil auch wegen der Grenzen, die sie ihm laut einigen Journalistinnen und Journalisten oder Twitternutzern, hätte aufzeigen sollen. Es wurde kritisiert, dass sie ihr “Nein” nicht wirklich kommuniziert hätte und warum sie überhaupt mit ihm nach Hause gefahren sei, wenn sie wisse, dass sie nichts von ihm wolle. Und auch ich war sauer auf Grace. Ich habe mir auch gedacht: “Warum gehst du dann nicht einfach?” Bis mir dann eingefallen ist, dass auch ich Sachen gemacht habe, obwohl ich sie nicht machen wollte. Warum bin ich nicht einfach aufgestanden und gegangen?

Was läuft hier falsch?

Frauen kommen immer wieder in solche Situationen. Wir flirten mit einem Mann und die Sache läuft weiter, manchmal für unseren Geschmack etwas zu weit – auch wenn wir von uns aus mit dem Typen nachhause gefahren sind. Aber das ist ja auch irgendwie der Punkt. Denn egal mit welchem Vorhaben man mit einer Person mit nach Hause geht, man hat noch immer das Recht, sich jederzeit dagegen zu entscheiden. Aber warum ist das oft so schwierig? Wieso ist es oft nicht einfach, ein “Nein” zu meinen und dafür einzustehen?

Ursula Kussyk von der Frauenberatung Wien erklärt es uns: “Du glaubst, du bist im falschen Film, das sagen auch unsere Klientinnen – wie ein Albtraum, du bist aus der Realität gefallen, du bist eben nicht mehr Herrin deiner Sinne, so dass du sagst: ‘Jetzt überlege ich, was ich tun könnte’. Das ist nicht mehr möglich. Du wirst da mitgerissen und bist nicht mehr fähig, irgendwie vernünftig zu handeln und zu denken. Das muss eben schon vorher passieren.” Frau Kussyk spricht damit ein großes Problem an: Was wir in diesen Situationen wollen und was nicht, wissen wir, aber danach zu handeln, fällt uns schwer.

“Egal mit welchem Vorhaben man mit einer Person mit nachhause geht, hat man noch immer das Recht, sich jederzeit dagegen zu entscheiden.”

“Da gab’s mal einen Typen, der voll geil auf mich war und er hat mich immer wieder angebraten, wenn wir uns gesehen haben und irgendwann haben wir auch geschmust. Ich hab mir auch immer sehr schwer getan, ihn abzublocken.”, erzählt mir die 27-jährige Bianca*.

“An einem Abend ging das Ganze dann über’s Schmusen hinaus, es passierte alles sehr schnell und im Prinzip hatte er mich auch schon komplett ausgezogen gehabt. Da habe ich ihn aber immer wieder abgebremst, weil ich auch meine Tage hatte. Er wollte auch die ganze Zeit, dass ich ihm einen Blowjob gebe – was ich dann auch einfach gemacht habe, ich weiß auch im Nachhinein betrachtet gar nicht mehr, warum ich das getan hab. Er wollte natürlich unbedingt ficken, ich musste ihn echt immer wieder bremsen. Aber er war so übermütig, dass er mir einfach mein Tampon rausgerissen hat … Ich musste ihn wirklich kraftvoll wegdrücken, weil er schon beinahe drinnen gewesen wäre. Er war sehr sauer, hat sich angezogen und ist einfach weggegangen. Er hat dann den ganzen Abend nicht mehr mit mir geredet – das war alles auf einer Homeparty. Das ist eigentlich abgefuckt.”

Aber wieso hat Bianca es so weit kommen lassen? Ich kenne Bianca recht gut. Sie ist eine sehr selbstbewusste und starke Frau, die alles andere als auf den Mund gefallen ist. “Auch bei sehr selbstbewussten Frauen, die eine sehr starke Persönlichkeit haben, wirkt natürlich diese typisch weibliche Sozialisation. Bei fast allen Frauen sitzt die ganz tief drinnen und erschließt sich auch in Situationen nicht immer rational.”, erklärt Ursula Kussyk. “Wegen der man entgegen besseren Wissens oder entgegen der Vernunft, die man normalerweise hat, eben so reagiert, dass man sich auch selbst im Nachhinein oft denkt: Was war denn mit mir los?”

Was kann man tun, um sich selbst aus dieser Dynamik zu retten?

Da wären wieder bei dem Punkt “Wissen, was wir wollen”: Frau Kussyk empfiehlt, dass wir uns solche Ausnahmesituationen ausmalen sollten und uns dabei vorstellen, was wir tun könnten, wenn wir etwas nicht tun wollen und es nicht schaffen, uns von dieser Dynamik loszureißen. Wir sollten in Selbstverteidigungskurse gehen, um uns auf physischer und vor allem psychischer Ebene so weit zu bringen, dass wir uns besser zu wehren wissen.

“Es gehört einfach mehr diskutiert und zwar nicht nur, was Frauen nicht wollen – wo man ‘Nein’ sagen soll oder muss – sondern auch mehr zu überlegen, was wir eigentlich wollen”, erzählt mir Ursula Kussyk. Was helfe, sei mit Freundinnen zu reden und zu reflektieren, damit es vielleicht somit der Frau, mit der man das bespricht, erspart bleibt, in so eine Situation zu kommen. Durchs Reden kann man auch draufkommen, dass es da blinde Flecken gibt – weshalb es auch gut ist, dass solche Sachen öffentlich diskutiert werden, weil es eben einen Anstoß geben kann. Man sollte sich auch mit männlichen Freunden darüber austauschen, um Awareness zu schaffen.

Lena* ist 26 und hat mit einem Mann geschlafen, nur um wieder ihre Ruhe haben zu können: “Ich hatte mit dem Typen schon paar Mal etwas und eigentlich stand er auf der Abschussliste. Aber er hat nicht locker gelassen, also habe ich halt einem Filmabend zugestimmt. Eh voll dumm.” Damit er endlich geht, hat sie dann irgendwann aufgegeben: “Ich war echt immer sehr abweisend, aber das hat ihn kalt gelassen”.

Ich tue mir mit der Frage schwer, ob Männer einfach wirklich nicht genug Sensibilität haben, um zu erkennen, wann eine Grenze überschritten worden ist. Frau Kussyk erklärt mir, dass manche Männer generell unter Druck stehen und glauben, sich oft beweisen zu müssen und sobald ein Wille da ist, nehmen sie dann vielleicht die andere Person auch gar nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt wahr: “Aber es ist nicht so, dass der Mann als Einzelwesen im Gegensatz zur Frau von seinen Trieben überschwemmt wird und nicht mehr denken kann”.


Der japanische Künstler Megumi Igarashi wurde wegen seiner Vagina-Kunst verhaftet:


Auch wenn es unangenehm ist: Lerne, in der Situation abweisend zu sein

Es ist OK, wenn du einem Typen nicht das gibst, was er will. Und es ist auch OK, wenn du ihn anschnauzt, weil er nicht locker lässt. Auch Ursula Kussyk weiß, dass in uns Frauen aus Irrglauben leider oft dieses “Pflichtbewusstsein” verankert ist: “Diese Rolle der Xanthippe ist ja sehr verpönt, aber manchmal muss man in sie gehen, weil sonst eine Situation nicht beendet werden kann. Das fällt uns total schwer und wir schämen uns auch dafür”.

Wenn dein Gegenüber dann auch noch gekränkt ist oder ausfällig wird, dann vermutlich nur, weil er sich als Ganzes abgewiesen fühlt. Er versteht vielleicht in dieser Sekunde nicht, dass du nur die jetzige Situation ablehnst. Es ist natürlich oft nicht leicht, eine Person abzuweisen. Aber im Endeffekt ist es für dich und dein Wohlbefinden um einiges besser. So gesehen bekommt auch die Bezeichnung “The Walk Of Shame” einen unglaublich bitteren Nachgeschmack.

Und das Wichtigste: Nimm es nicht so einfach auf die leichte Schulter

Es soll nämlich nicht wieder passieren und lass auch nicht deinen Zustand zu dem Zeitpunkt die Entschuldigung dafür sein, dass du “zu schwach” warst, um der einen Person die Leviten zu lesen. Oft passiert alles sehr schnell und genau so schnell will man es wieder vergessen, aber genau hier drückt dann der Schuh: Manche Frauen haben es viel zu schnell und viel zu leichtfertig wieder vergessen. Denn es passiert ja nicht nur beim Fortgehen, sondern auch in gesunden und weniger gesunden Beziehungen – oft geben wir klein bei, obwohl wir gerade keine Lust haben. Manchmal verzeihen wir sogar gröbere Akte.

Wie im Fall der 24-jährigen Nina.* Ihr Ex-Freund hatte sie einmal mit Gewalt zu Sex gezwungen: “Bei anderen Typen hätte ich es ja nie soweit kommen lassen, aber warum habe ich das bei ihm zugelassen? Ich hätte mich ja auch richtig heftig wehren können”, sagt sie mir. Auch wenn Beziehungen zu Ende gehen, schlafen viele Frauen noch mit ihren Partnern, obwohl sie das alles andere als anturnt. Die Abgebrühtheit dieser Grauzone gegenüber ist leider zu natürlich geworden und in der Tat ein unausgesprochenes Problem. Natürlich ist es sehr traurig, dass wir Frauen diesen Guide überhaupt erst brauchen. Wichtig ist dabei aber schon zu wissen, dass Männer hier nicht aus der Verantwortung genommen werden, denn da müsste man ja eigentlich ansetzen, damit es dieses Nein gar nicht erst bräuchte.

Dass unsere Unsicherheit zu einem Problem wird, obwohl sie eigentlich ein Teil unserer natürlichen Entwicklung bleiben sollte. Dass wir es uns eher angeeignet haben, abgebrüht zu sein und es einfach schlechten Sex nennen. Wir stehen da noch ganz offensichtlich auch erst am Anfang, wenn es nicht einmal Männer überreißen, die sich eigentlich sehr für uns Frauen einsetzen und eigentlich auch ihre Sensibilität darauf gestärkt geglaubt haben. Siehe Ansari.

Deshalb merken wir uns jetzt lieber das hier: Unser Körper gehört nur uns und wir sind niemandem etwas schuldig – komme, was wolle. Und wir merken uns ab jetzt auch nicht nur das “Nein”, sondern wir trainieren uns auch das “Tschüss” an.

* Name von der Redaktion geändert.

Sollte dir so etwas vor kurzer, aber auch langer Zeit passiert sein, worüber du vielleicht reden möchtest: Ein Anruf bei der Frauenberatung unter der Nummer 01 523 22 22 kostet nichts und ist anonym. Du kannst auch eine Mail an notruf@frauenberatung.at schreiben. Expertinnen helfen dir rund um die Uhr und bieten dir rechtliche, sozialarbeiterische und psychologische Hilfestellungen – ohne Anzeige zu erstatten. Solltest du eine Anzeige erstatten wollen, helfen sie dir und begleiten deinen Weg.

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