Während ich das hier schreibe, steht in meinem Twitter-Feed, Rachel Dolezal wäre die menschliche Version von The Dress. In der vergangenen Woche wurde Dolezal von ihren Eltern als weiß „geoutet”, nachdem sie Jahre lang vorgab, einen afroamerikanischen Vater zu haben und somit eine schwarze Frau zu sein. Ihrer äußerlichen Erscheinung hatte sie mit dunklem Make-up und einem Afro nachgeholfen. Kindheitsfotos zeigen sie jetzt als weißes Mädchen mit langen, blonden Haaren. Von ihrer Position als Präsidentin der lokalen Abteilung der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) in Spokane, Washington, ist sie mittlerweile zurückgetreten.
Das wirklich Absurde an dieser ganzen Geschichte sind aber die positiven Kommentare, die ihr anfangs auf sozialen Netzwerken entgegengebracht wurden. Dort hieß es, Rachel solle sich ihre Identität selbst aussuchen dürfen und wenn sie eine schwarze Frau sein möchte, dann solle man ihre Entscheidung akzeptieren. Die Hashtags „#wrongskin” und „#transracial” werden meistens drangehängt. Und plötzlich reden alle von „Transethnizität” (so kann man transracial wohl am ehesten übersetzen) und ziehen Parallelen zu Caitlyn Jenner, deren Transsexualität erst kürzlich medial gefeiert und weitgehend akzeptiert wurde. Das Problem damit ist nur, dass dieser Vergleich einfach nur Bullshit ist.
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Klar, das positive Echo, das Caitlyn erfahren hat, war großartig und ein hat ein klares Zeichen gesetzt. Die Toleranz, die von fast allen Seiten kam, war irgendwie rührend und man hat sich mit ihr gefreut. Dass jedoch Rachel Dolezal, die im Grunde genommen nichts anderes gemacht hat als Blackfacing, mit Caitlyn verglichen wird und von manchen Seiten sogar ähnlichen Zuspruch erfährt, erschließt sich mir nicht so ganz. Lasst mich erklären.
Eine Frau im Körper eines Mannes ist seit ihrer verdammten Geburt eben das: eine Frau im Körper eines Mannes. Sie hat es sich nicht ausgesucht—es ist nichts, das man aufgrund von persönlichen Vorlieben irgendwann im Laufe seines Lebens entwickelt. Dein Körper und deine Seele passen nicht zueinander. Das passiert nicht einfach so aus einer Laune heraus. Eine Studie der Boston University hat erst kürzlich auf neuroanatomische Unterschiede Transsexueller gegenüber Menschen ohne Transidentität hingewiesen.
Wenn du eine Frau bist—wenn das das ist, was dein Kopf dir sagt—dann bist du eine Frau. Das hat nichts damit zu tun, gerne Kleider zu tragen oder sich als Frau zu bezeichnen, sondern damit, eine zu sein, egal welche körperlichen Voraussetzungen man dazu hat. Sich dazu zu bekennen erfordert erst mal viel Mut, und einfacher wird es danach auch nicht. Transgender-Menschen müssen tagtäglich mit Arbeits- und Obdachlosigkeit, gesellschaftlicher Unterdrückung und gewalttätigen Übergriffen kämpfen. Erst Anfang dieses Jahres wurde in Wien eine transsexuelle Frau ermordet.
Kommentare wie „Vielleicht sollten wir Verständnis für Rachel Dolezal aufbringen, wenn sie sich nun mal als schwarze Frau fühlt, dann sollten wir das akzeptieren, so wie auch bei Caitlyn” sind eigentlich schön—ich will mich ja nicht über zu viel Toleranz beschweren—trotzdem sind das ganz einfach zwei grundverschiedene Dinge, die da zusammengebracht werden. Transsexualität und die damit verbundenen Schwierigkeiten mit „Transethnizität” gleichzustellen empfinde ich fast schon als eine Beleidigung der Transgender-Community gegenüber.
Was soll das überhaupt heißen, „sich als schwarze Frau fühlen”? Hat die Antwort mit Stereotypen zu tun, von denen Weiße glauben, sie würden die Black Culture ausmachen? Oder geht es darum, von Geburt an mit Rassismus aufgrund der eigenen Hautfarbe konfrontiert zu sein? Beide möglichen Antworten werfen nicht gerade ein gutes Licht auf Rachel Dolezal.
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Die 16-jährige Amandla Stenberg, das kleine Mädchen aus dem ersten Hunger Games-Film, bringt das ziemlich gut auf den Punkt. In einem Video redet sie darüber, wie Katy Perry plötzlich Cornrows hatte oder Miley Cyrus twerkt und das alles irgendwie rassistisch ist. Und während es eigentlich nichts Neues ist, dass schwarze Kultur mittlerweile zu Popkultur geworden ist, stellt sie am Ende doch eine ziemlich starke Frage: Was wäre, wenn Amerika schwarze Menschen so sehr lieben würde wie schwarze Kultur?
Rachel Dolezal wuchs mit afroamerikanischen Adoptivgeschwistern auf, war schwarzer Kultur also immer irgendwie ausgesetzt und hat somit auch eine starke Affinität dazu entwickelt. So stark, dass sie sich selbst irgendwann als schwarze Frau sah. Diese Identität ist eine, die sich sich selbst ausgesucht hat. Wahrscheinlich aufgrund der Faszination gegenüber schwarzer Kultur, die sie ja offensichtlich hat. Transidentität hingegen ist keine Wahl, die man treffen kann.
Dolezal ist Lehrbeauftragte für Afrika-Studien an der Eastern Washington University, Mitglied des Polizei-Ombudsrates in Spokane und offenbar wirklich engagiert in der schwarzen Community. Das alles hätte sie jedoch auch als weiße Frau machen können und legitimiert die ganze Sache somit noch immer nicht.
Caitlyn Jenner hat sich dazu entschieden, ihre Wahrheit zu leben. Rachel Dolezal hat sich für eine Lüge entschieden.
In den vergangenen Tagen wurden Vorfälle bekannt, in denen Dolezal sich als Opfer von rassistisch motivierten Hassverbrechen darstellte. Haltbar waren diese Vorwürfe nie, sie stellen Dolezal allenfalls ein bisschen überempfindlich dar—einen Nachbarn, der laut Polizeibericht einfach nur auf der Suche nach einem Hundesitter war, hatte Rachel auf Facebook als Einbrecher beschrieben, der ihren Sohn zu Tode erschreckt hatte: „This is scary.” Der Sohn selbst sagt, niemand hätte ihn erschreckt, auch die Polizei hätte er nicht gerufen.
Caitlyn Jenner hat sich—wie alle Transsexuellen—nicht dazu entschieden, eine Frau zu sein. Sie hat sich dazu entschieden, ihre Wahrheit zu leben. Rachel Dolezal hat sich für eine Lüge entschieden. Wollen wir jetzt ernsthaft darüber nachdenken, ob sie vielleicht tatsächlich eine Afroamerikanerin im Körper einer privilegierten weißen Frau ist? Reißt euch zusammen.
Dolezals Motivation werde ich wohl bis zu ihrem ersten großen, emotionalen TV-Interview nach dem in der (Oprah?) nicht nachvollziehen können, aber immerhin hat sie stets zu Gunsten der schwarzen Community gehandelt und sich für deren Rechte eingesetzt. Das ist für mich vielleicht die einzige Möglichkeit, so etwas wie Empathie für sie aufzubauen. Ein kurzes Gespräch in der Today Show lieferte nicht gerade Erklärungen. Womöglich urteile ich hier auch zu schnell, ohne ihre wahren Beweggründe zu kennen. Sie jedoch mit Caitlyn Jenner zu vergleichen ist im Prinzip nichts anderes, als zu behaupten, Transsexuelle würden sich auch nur verkleiden und die Leute um sie herum zu täuschen. Und das ist der eigentliche Fehler an dieser ganzen Geschichte.
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