Döner, Dirndl, Deutschlandfahne – Ein Bericht von der Neonazi-Demo in Rosenheim

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Döner, Dirndl, Deutschlandfahne – Ein Bericht von der Neonazi-Demo in Rosenheim

Umgeboxt, ausgebuht und durchgeschwitzt: Kein Wunder, dass die Neonazis sich nach dieser Demo mit Döner stärken mussten.

Eigentlich ist in bayrischen Rosenheim nicht viel los. Die Menschen sind eher genügsam, pflegen die bayrische Tradition und genießen die Vorzüge der Alpen. Auch scheint es die Rosenheimer eher weniger zu interessieren, dass ihre Stadt als einer der bekanntesten Drogenumschlagplätze des Freistaats gilt. Das absolute Highlight für die Rosenheimer ist das alljährliche „Herbstfest". Bei der zweiwöchigen Rosenheimer Version der Münchner Wiesn spielt die Stadt vollkommen verrückt—da darf dann schon mal in die Lederhosen gepisst und auf den Bürgersteig gekotzt werden. Herbstfest, das bedeutet endloser „Oans-Zwoa-Gsuffa"-Singsang, Ausnahmezustand und Starkbier, bis die Kehle brennt. Viele nehmen sich sogar extra Urlaub für die zweiwöchige Gerstensaft-Orgie im weißblauen Voralpenland.

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Alles normal, alles easy, wenn da nur das Wörtchen „eigentlich" nicht wäre. Denn die eigentliche Ruhe ist bereits seit Monaten dahin. Grund hierfür ist der Bahnhof der kleinen Stadt. Dieser gilt als Nadelöhr und Drehkreuz zweier großer Flüchtlingsströme: die Flüchtlingsroute vom Balkan und die vom Brenner in Italien. Tag für Tag kommen hier Hunderte verzweifelte Menschen an und werden in Rosenheim, der ersten größeren Stadt nach der österreichischen Grenze, aufgenommen und registriert.

Viele der Geflüchteten kommen danach in Unterkünfte in der Stadt oder in den umliegenden Gemeinden. Dieser Umstand trifft nicht überall auf Akzeptanz. Denn manch ein besorgter Bayer sieht sich durch die neuerdings vorherrschende Flüchtlingsproblematik in seiner Freiheit beraubt. Der Freiheit, nach Herzenslust mit dem verstoffwechselten Rosenheimer Festbier die städtische Infrastruktur zu verschönern.

So auch eine Delegation der neu formierten Partei Die Rechte, die kurzerhand eine Kundgebung und Demonstration gegen die „Asylflut" veranstaltet hat. Und zwar direkt am ersten, den Rosenheimern so heiligen Tag ihres traditionellen Herbstfestes. Aber obwohl das vom zotteligen Aktivisten bis zum gestandenen Bierwirt eigentlich jeder in der Stadt eine beschissene Idee fand, konnte man die Rechten nicht davon abhalten. Dagegen demonstrieren konnte man allerdings schon.

Die Hitze ist bereits um 10.00 Uhr vormittags brütend, als sich die ersten der schließlich insgesamt 60 Rechtsradikalen am Rosenheimer Bahnhofsplatz versammeln. Die Wetterprognose meint es für den ersten „Wiesn-Tag" des Rosenheimer Herbstfests ziemlich gut. Strahlender Sonnenschein und satte 34 Grad. Gekommen sind Mitglieder von der „Rechten" (die sonst nur in Dortmund ähnlich aktiv ist), von der NPD, und Reste der ehemaligen DVU. Ihr Versammlungsort liegt ironischerweise direkt vor einem Döner-Imbiss, dessen Mitarbeiter etwas verdutzt aus dem Fenster blickt.

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Nachdem der feierlich bayrische Festzug durch die Stadt marschiert ist, beziehen die ersten USK-Beamten und sogar eine Reiterstaffel der Polizei (die im Laufe des Tages die gesamte Stadt vollkacken wird) Stellung vor dem Rosenheimer Bahnhof. Auf einem abgesperrten Areal des Bahnhofs finden sich nach und nach auch die ersten Gegendemonstranten des Bündnisses „Rosenheim Nazifrei" ein, die bald zu einer Größe von circa 1.000 Menschen anschwillt. Eine kleine Auswahl der wirklich sehr bunten Gegendemonstranten:

Als die Rechten schließlich mit anderthalbstündiger Verspätung ihre Kundgebung eröffnen, werden sie mit lauten Pfiffen und Diffamierungen von den zahlenmäßig weit überlegenen Gegendemonstranten begrüßt. „Mia san Bayern, was seid's ihr?", tönt es aus Hunderten Kehlen der GegendemonstrantInnen.

Dabei haben die Rechten heute wirklich alles versucht, um besonders bayrisch zu wirken: Neben Deutschlandtrikots und szenetypischen Runen-Shirts sieht man auch einige in bayrischer Tracht: Lederhosen und Haferschuhe, Dirndl und Hut. Allerdings scheint das die Rosenheimer nur noch wütender zu machen.

Diese Unverschämtheit lassen die traditionsbewussten Bayern also nicht auf sich sitzen. „Ziagts de Nazis de Lederhosen aus", schreien die Gegendemonstranten wutentbrannt. Das bringt sogar ein paar von den in ihren schwarzen Schutzanzügen schwitzend in der Sonne schmachtenden PolizistInnen zum Lächeln.

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Ob es am Spruch, an der Sonne oder an der Langeweile lag: Als der erste Redner, Philipp Hasselbach, bekannter Neonazi und Rädelsführer diverser brauner Kameradschaften, mit seiner Rede beginnt, muss die Polizei kurz geschlafen haben. Denn plötzlich rennt ein Metal-Kutte tragender Langhaariger auf den Neonazi zu und reißt ihn ohne Vorwarnung um. Irgendwie hatte er es über die Absperrungen geschafft. Nach einer kleinen Rangelei zwischen Polizei, dem Angreifer und dem überraschten Hasselbach entspannt sich die Lage wieder.

Hasselbach richtet sich Scheitel und Hemd zurecht und macht einfach weiter. „Wir sind zukunftsorientiert", versichert er. In erster Linie geht es dem Parteifunktionär um „das Ende des Sozialtourismus." Anstelle neuer Flüchtlingsheime fordert er eine „zentrale Abschiebestelle". Unter Pfiffen und schier nicht endenden Beleidigungen schließt Hasselbach seine Rede mit den Worten ab, dass man sich „in ein paar Jahren noch sehr wohl an ihn erinnern werde."

Die Lederhosen-Che-Guevaras auf der anderen Seite der Absperrungen lassen daraufhin faule Eier auf die Nazis regnen. Actio est reactio. Wobei „actio" sowie „reactio" deutlich auf Seiten des Linksbündnisses „Rosenheim Nazifrei" zu finden sind. Erfolgreich blockieren circa 100 DemonstrantInnen die Straßen der geplanten Marschroute der Rechten. Es folgen Sitzblockaden, kleinere Rangeleien und große Empörung, als ein paar USKler versuchen, die Blockade der GegendemonstrantInnen zu „lockern". Ein paar Bierdosen fliegen, zwei Personen werden abgeführt.

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Das wird den ganzen Tag so gehen. Als gegen Ende auch noch die Alternativroute von den Gegendemonstranten abgeriegelt wird, sind die Rechten vollkommen eingekesselt. Weder ein Marsch noch eine größere Kundgebung sind möglich. Mit gesenkten Häuptern marschieren sie wieder zurück zum Bahnhof, wo sie noch eine Spontankundgebung abhalten.

Zum Trost kaufen sich ein paar der Rechten erst mal einen Döner und mampfen diesen genüsslich während der Rede von Peter Meidl, dem Kreisverbandsvorsitzenden von Die Rechte.

Meidl gibt dann auch richtig Gas, um seinen döneressenden Kameraden Mut zu machen. Wild mit den Armen in der Luft umher gestikulierend, schreit er dermaßen laut ins Mikro, dass die Boxen knacksend übersteuern. „Wir werden hier von den Asylanten erobert", plärrt er mit hochrotem Kopf wütend ins Mikro. Die Aktion ist so dermaßen peinlich, dass selbst ein paar der Rechten lachen müssen und sich mit dem Gesicht von Meidl abwenden.

And they call it Nazi love…

Gegen 17.00 Uhr ist die Demo offiziell beendet. Die Neonazis packen ihren Kram zusammen und hauen ab. Auch die Gegendemonstranten treten den Heimweg an. Auf der Wiese im Stadtpark liegen bereits die ersten Bierleichen vom Herbstfest im Schatten der Bäume. Torkelnd ziehen die Menschen in Tracht durch die Straßen. Die Normalität in Rosenheim ist wiederhergestellt.