Die Entscheidung, meinen Plastikmüll zu reduzieren, hat vor allem einen Grund: Papageitaucher. Winzige, putzige Papageitaucher mit ihren hellorangenen Schnäbeln und kleinen rundlichen Körpern – so süß und pummelig, dass ich sie wie Kuscheltiere drücken möchte.
Die Epiphanie kam, nachdem ich die süßen Vögel im Urlaub auf den Farne-Inseln vor Northumberland im Nordosten Englands gesehen hatte. Abgesehen von Mitarbeitern der Naturschutzorganisation National Trust sind die kargen Inseln von Menschen unbewohnt. Umso wohler fühlen sich die Papageitaucher, die dort von April bis Juli in großer Zahl brüten.
Wieder zu Hause will ich mehr über die knuffigen Tiere wissen. Einer der ersten Artikel, über die ich stolpere, berichtet über den dramatischen Rückgang der Papageitaucher-Population auf den Shetland-Inseln in den letzten Jahren. Einer der Gründe: der wachsende Plastikmüll an den Stränden. Über eine Million Seevögel stirbt jedes Jahr durch Plastik. Wenn sich nichts ändert, haben 2050 99 Prozent aller Seevögel Plastik in ihren Mägen. Mein Blick fällt auf die 500-Gramm-Plastikschale Weintrauben neben meinem Laptop, ich denke an die Papageitaucher und fühle mich wie ein Monster.
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Niemand verursacht in Europa mehr Verpackungsmüll als die Deutschen: Pro Jahr und Kopf sind es 220,5 Kilo pro Kopf, und damit dem EU-Durchschnitt von 167,3 Kilo weit voraus. Weniger als die Hälfte des darin enthaltenen Plastiks werden recycelt, der Großteil zur Energiegewinnung verbrannt. Die hochgiftigen Rückstände landen in alten Salzbergwerken. Und auch deutscher Müll landet in Flüssen und Meeren. Außerdem exportiert Deutschland Verpackungsmüll, der in den Ankunftsländern nicht unbedingt mustergütig entsorgt wird. China hat jetzt den Import von Plastikmüll dieses Jahr gestoppt, um die Umwelt und die Gesundheit der eigenen Bevölkerung zu schützen. Expertinnen sind sich einig, dass die Lösung nicht im Umstieg auf andere Rohstoffe, sondern nur in einer generellen Reduzierung unseres Abfalls liegen kann.
Mit dem geplanten Verbot von Einweg-Plastikgeschirr und Strohhalmen hat sich jetzt auch die EU dem Thema angenommen. Gleichzeitig stellen aber auch immer mehr Privatpersonen drastisch ihre Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten um. Diesen Menschen reicht es nicht, mit dem Jutebeutel einkaufen zu gehen und zum Picknick das gute Campinggeschirr einzupacken. Sie wollen Einweg-Plastik fast komplett aus ihrem Leben verbannen. Viele von ihnen sind jung und auf Social Media aktiv, wo sie mit Hashtags wie #minimalwaste und #lowplastic ihr Umweltbewusstsein zum Teil ihrer Online-Marke machen.
Die 22-jähirge Aino Ojala hat vor einem Jahr ihren “plastic-free, zero-waste”-Instagram-Account @ainowonders gestartet. Sie lebte zu dem Zeitpunkt bereits vegan und überlegte, wie sie ihren Einfluss auf die Umwelt weiter minimieren könnte. Ihre Posts rangieren von selbstgemachtem Tofu – Insta-gerecht in einem Einmachglas präsentiert –, bis hin zur Wiederverwendung von Kaffeesatz als Körperpeeling. Ojala verziert ihre Posts gerne mit Grüne-Blätter-Emojis.
“Ich wollte meinen Müll reduzieren und das dokumentieren”, schreibt mir Ojala in einer E-Mail. “Ainowonders ist ein starker Antrieb für mich selbst und erlaubt mir außerdem, nicht nur auf müllfreies Leben aufmerksam zu machen, sondern auch meine eigene Entwicklung zu verfolgen. Der Account ist quasi mein Müllfrei-Tagebuch.”
Die in Finnland lebende Ojala ist nicht die einzige, die ihre Abkehr vom Plastik digital dokumentiert. Unter #plasticfree liefert mir Instagram über eine halbe Million Ergebnisse, unzählige Bilder von kunstvoll ausgeleuchteten Glasgefäßen gefüllt mit Pasta, frischgebackenem Brot und gläsernen Milchflaschen. In Bildunterschriften stehen Hinweise, wie man am besten Nahrungsmittel in großen Mengen kauft und verderbliche Güter ohne Plastik lagert. Es gibt sogar ein Hotline-Bling-Meme mit eingepacktem Brokkoli.
Und wie bei jedem Social-Media-Trend dürfen auch hier die Influencer nicht fehlen. Beliebte Accounts wie @zerowastehome und @simply.living.well haben 166.000, beziehungsweise 45.800 Follower. Lauren Singer, CEO des in New York ansässigen Package Free Shops kann sogar mehr als 250.000 Follower vorweisen und lädt gesponserte Posts von umweltfreundlichen Alkoholmarken nebst geschmackvoll arrangierten Selfies mit wiederverwendbaren Trinkflaschen hoch.
Schnell zieht man Parallelen zwischen prominenten Plastikfrei-Instagrammern und dem Clean-Eating- und Wellnes-Hype, der vor ein paar Jahren unsere Feeds überschwemmte. Das Bild einer schönen jungen Frau mit einem Einkaufsnetz über der Schulter, die auf dem Wochenmarkt Gemüse kauft, versehen mit der Bildunterschrift “Vermeide Abfall mit meinen @packagefreseshop-Taschen!!!”, ist auch nicht so weit davon entfernt wie durch Deliciously Ellas Feed zu scrollen, die gerade ihr neustes veganes Kochbuch anpreist. Beide versprechen ein besseres Leben.
Ob das Instagrammen von selbstgemachtem Körperpeeling irgendwann so beliebt wird wie das Geotaggen im Yoga- oder Fitnessstudio, bleibt abzuwarten. Ohne Frage wird das plastikfreie Leben innerhalb der Insta-Bubble und der damit verbundenen Zielgruppe von Tag zu Tag populärer. Anfang das Sommers schwor der Luxus-Modeshop Net-a-Porter, sein Magazin von nun an plastikfrei zu produzieren, und die britische Prinzessin Eugenie gab in einem Interview mit Vogue bekannt, dass ihre anstehende Hochzeit “antiplastik” sein wird. Während ich die Zeilen schreibe, landet in meiner Inbox die Mail eines angesagten Londoner Fitnessstudios. Es dürfen von nun an keine Einweg-Plastikflaschen mehr mitgebracht werden. Ganz unten in der Mail findet sich ein Link für Edelstahl-Flaschen, für umgerechnet 45 Euro das Stück.
Ich frage Ojala, ob sie der Meinung sei, dass plastikfrei jetzt ein Trend ist, wie Clean Eating und Wellness davor.
“Wahrscheinlich”, antwortet sie, “und was für ein großartiger Trend das ist, wenn mehr und mehr Menschen anfangen, ihren Müll zu reduzieren. Ich sehe darin kein Problem. Wenn ich Menschen auf Instagram sehe, die die gleichen Dinge tun wie ich und versuchen, ihren negativen Einfluss auf die Erde zu reduzieren, dann macht mich das glücklich.”
Rose Lloyd Owen, Köchin und Gründerin des Catering-Unternehmens Peardrop London sieht eine direktere Verbindung zwischen der Wellness-Bewegung und dem aktuellen Anti-Plastik-Trend. Im Mai veranstaltete sie ein Dinner-Event mit dem umweltbewussten Koch Tom Hunt und der Köchin Chantelle Nicholson. Nach dem Essen sollten die Gäste einen “Plastikschwur” ablegen und eine Woche lang auf jegliche Plastikstrohhalme, -tüten und -kaffeebecher verzichten.
“Es ist cool geworden”, sagt Lloyd Owen über den Plastikverzicht.
“Der Wellness-Trend war unglaublich mitanzusehen – der Boom ist mittlerweile stagniert und wir sind bei einem erreichbaren und gesunden Ansatz für junge Menschen angekommen. Meiner Meinung nach hat das auch mit unserem Umweltbewusstsein zu tun. Es ist ein Ansatz für Geist, Körper und Umwelt, der aus diesem Gesundheits- und Wellnesstrend entstanden ist.”
“Es ist das eine Umweltproblem, das über Regionen, soziale Klassen, sozioökonomische Hintergründe und politische Ansichten hinweg die Menschen erreicht” – Lucy Siegle
Für die Journalistin und Autorin Lucy Siegle, ist die Antiplastikbewegung größer als die Instagram-Generation. Als Umwelt-Kolumnistin für den Guardian und Journalistin für das Fernsehmagazin The One Show berichtet sie seit über einem Jahrzehnt über Plastikmüll. Das Problem spreche eine große Bandbreite von Menschen an.
“Das ist das eine Umweltproblem, das über Regionen, soziale Klassen, sozioökonomische Hintergründe und politische Ansichten hinweg die Menschen erreicht”, sagt sie. “Wir haben einen Strandreinigungstag gemacht und ein Ratsmitglied von der rechtspopulistischen UKIP ist dort aufgetaucht. Ich war sehr überrascht ihn dort zu sehen. Wir haben uns über Plastik unterhalten und er hatte eine starke Meinung dazu.”
Tatsächlich stoßen politische Initiativen zur Vermeidung von Plastikmüll auf so viel Gegenliebe in der Bevölkerung, dass die Händler proaktiv werden. Die Supermarktkette Rewe hat gerade bekanntgegeben, Einweggeschirr aus den Regalen zu verbannen und auf umweltfreundlichere Verpackungsalternativen umzusteigen, noch bevor die entsprechende EU-Verordnung in Kraft tritt. “Ich glaube, das Thema spricht komplett unterschiedliche Menschen an”, sagt Siegle.
Der Kampf gegen Plastik wird beileibe nicht nur im Internet ausgefochten. An einem besonders heißen Sommertag besuche ich Harmless, einen verpackungsfreien Lebensmittelladen in Nordlondon. Die Regale sind gefüllt mit großen Gläsern voller Nudeln, Reis, Linsen, Mehl, Tee, Kaffee und anderen trockenen Lebensmitteln. Kunden bringen ihre eigenen Taschen oder Behälter mit, bezahlt wird nach Gewicht.
“Pasta war die Hauptsache, die mich bewegt hat, weil ich viel davon esse und sie im Supermarkt nur in 500 Gramm-Tüten daherkommt”, erklärt Tami Jarvis, die Harmless vor vier Monaten eröffnet hat. “Und die gehen nach zwei Gerichten direkt in den Müll.”
Wie die finnische Instagrammerin Ojala ist auch Jarvis vor zwei Jahren vegan geworden und hat angefangen, sich über verwandte Umweltprobleme zu informieren. Facebook war eine ihrer wichtigsten Quellen. Sie sah Videos, die die Auswirkungen des Plastikmülls auf Tiere zeigten, und fing an, sich mit Umweltaktivistinnen in Verbindung zu setzen. Sie hörte auf, Palmöl zu benutzen, und reduzierte ihren Plastikverbrauch. Aber sie hatte immer noch nicht das Gefühl, genug zu tun.
“Das alles baute sich zu diesem gigantischen Kollaps auf, als alles über mich hereinbrach”, erinnert sich Jarvis. “Ich war erst 25, aber ich hatte einen kompletten Nervenzusammenbruch. Alles: die Welt, Hunger, alles. Alles kam zusammen, weil ich so viel darüber lernte, wie alles miteinander verbunden war.”
Jarvis kündigte vergangenes Jahr ihren Job in einem Vertrieb für Haarprodukte und begann über Crowdfunding Geld für Harmless zu sammeln. Ihr Geschäft ist eins einer ganzen Reihe von neuen Verpackungsfreiläden in London, die von jungen Frauen gegründet wurden, wie Hetu und Bulk Market. Auch wenn Jarvis ihr Geschäft eröffnet hat, um auf Umweltprobleme aufmerksam zu machen, rechnet sie es vor allem Social Media an, ein Bewusstsein für das Plastikproblem geschaffen zu haben.
“Menschen sind von Natur aus teilnahmsvoll, aber ich glaube immer noch, dass es an Social Media liegt”, sagt sie. “Vor Social Media haben wir uns an dem orientiert, was in der Zeitung steht. Wir bekamen die Informationen, die man uns gegeben hat. Mit dem Internet gibt es jetzt aber einen Dominoeffekt. Eine Person sieht ein Facebook-Video und erzählt drei anderen davon. Wenn du mit dem Video einer Schildkröte konfrontiert wirst, die einen Strohhalm aus der Nase gezogen bekommt, und hörst, wie die Schildkröte schreit, dann kannst du nicht länger abstreiten, dass es passiert.”
Während ich Jarvis umringt von hübschen Gläsern voller Bio-Quinoa zuhöre, will ich sofort meine ganzen Konsumgewohnheiten ändern. Ich fantasiere darüber, lange Einkaufslisten anzulegen und dann mit dem Rad und einem Haufen schicker Metall- und Glasbehälter zu meinem nächsten Verpackungsfreiladen fahre. Ich würde wieder mehr selber kochen, besser essen und Geld sparen – und dabei noch der Umwelt helfen! Jarvis bietet mir eine getrocknete Aprikose an und es wahrscheinlich das beste Trockenobst, das ich in meinem ganzen Leben gegessen habe. Zurück im Büro schaue ich mir wieder die Fitnessstudio-Mail mit den teuren Wasserflaschen an, obwohl irgendwo in meiner Tasche noch die alte aus Plastik ist, die ich wiederverwenden sollte.
“Der Augenblick, in dem du etwas nicht kaufst, ist immer ein Gewinn für den Planeten.” – Lucy Siegle
Bei allen Versprechen auf ein Leben, das mehr auf das Wesentliche reduziert ist, lässt sich der Anti-Plastik-Trend nur schwer vom ungebremsten Konsum trennen, der uns überhaupt diese Suppe eingebrockt hat. Starbucks mag vielleicht werbewirksam Plastikstrohhalme verbannt haben, natürlich will das Unternehmen aber weiterhin, dass wir fleißig weiter Cappuccinos aus ihren berüchtigt schwer zu recycelnden Pappbechern trinken. Nestlés aktuelles Bekenntnis, alle seine Verpackungen bis 2025 recycelbar zu machen, wurde von Greenpeace als “Greenwashing-Babysteps … voller unklarer oder nichtexistenter Ziele” abgestraft.
Ich frage mich außerdem, wie machbar der plastikfreie Alltag für Menschen ist, die vielleicht nicht das Geld für schicke Retro-Metalldosen haben. Mahlzeiten im Voraus zu planen und in speziellen verpackungsfreien Läden einzukaufen kann um ein Vielfaches zeitaufwändiger und teurer sein als der Besuch beim Discounter. Für Menschen mit wenig Zeit oder einem geringen Einkommen ist so ein Leben fast unmöglich.
Journalistin Siegle versucht, diese Probleme in ihrem Buch Turning the Tide on Plastic zu behandeln. Der Untertitel lautet übersetzt “Wie die Menschheit (und du) unseren Planeten wieder sauber machen kann” und hat keine Zeit für irgendwelches Greenwashing. “Der Augenblick, in dem du etwas nicht kaufst, ist immer ein Gewinn für den Planeten”, lautet einer ihrer direkteren Sätze. Sie bietet praktische Ratschläge, wie sich der eigene Plastikverbrauch unabhängig von Zeit und Vermögen reduzieren lässt. Vieles davon ist jedoch nicht besonders Instagram-tauglich, dafür umso praktischer.
“In dem Buch sind wir nicht davon ausgegangen, dass Menschen in diesen Verpackungsfreiläden einkaufen können. Das haben wir an mehreren Punkten direkt angesprochen. Bei uns geht es um Supermarkt-Hacks”, sagt Siegle. Bei ihr geht es viel mehr darum, Papiertüten auch für anderes unabgepacktes Gemüse zu verwenden und nicht nur Pilze, und das Brot direkt beim Bäcker zu kaufen, wo es in der Regel in einer Papiertüte über die Theke geht.
Tatsächlich sieht Siegle komplette Plastikfreiheit mehr als Anspruch und weniger als realistisches Praxis. Das gleiche dürfte für fast jeden Lebensstil gelten, der bei Instagram beworben wird. “Für mich ist Plastikfrei ein guter Anspruch und ich verstehe, warum es so viele Menschen anspricht, aber es ist nicht das Ziel meines Buchs.”
Als ich Jarvis darauf anspreche, dass Verpackungsfrei-Läden vielleicht keine Möglichkeit für alle sind, widerspricht sie mir. “Alle werden ständig über Komfort oder Bequemlichkeit sprechen, aber heutiger Komfort wird kein Komfort für deine Kinder in der Zukunft sein.”
Momentan ist es für manche Menschen vielleicht einfacher als für andere, auf Plastik zu verzichten. Aber im Gegensatz zu den vielen Trends, die unsere Social-Feeds überschwemmen, ist das hier einer, der sich gerne verbreiten darf, ja, verbreiten muss. Ohne ernsthafte Veränderung unserer Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten wird 2050 in unseren Weltmeeren mehr Plastik als Fische schwimmen, warnen Marineexpertinnen.
“Letztendlich ist es unterm Strich sehr einfach”, sagt Siegle. “Egal, wie du dich selbst definierst – Bürger, Konsumentin, Politikerin, Meinungsführer, wie auch immer du dich nennst –, wenn wir die Menge an Plastik nicht reduzieren, bekommen wir unfassbare Probleme. Es muss aufhören, es gibt keine Alternative.”
Eine Version dieses Artikels erschien ursprünglich auf MUNCHIES UK.