Identity

Warum Politikerinnen oft als ‚heimlich lesbisch’ bezeichnet werden

So manche Kritik an Hillary Clinton mag gerechtfertigt sein, schließlich ist die Politik ein schmutziges Geschäft. Was es allerdings nicht ist: Der amerikanischen Präsidentschaftskandidatin nachzusagen, sie sei insgeheim lesbisch. Die sexuelle Orientierung einer Frau in einer historisch männlich besetzten Position überhaupt zum Thema zu machen, ist nicht nur sexistisch—es ist, da es in diesem Fall zu ihrer Diskreditierung dienen soll, auch noch homophob. Das hindert die US-Boulevardpresse natürlich nicht daran, das Ganze trotzdem ordentlich auszuschlachten.

In einem Exklusivinterview mit der Daily Mail behauptete Dolly Kyle, die aus Bill Clintons Heimatstaat Arkansas stammt, dass sie über Jahre hinweg eine sexuelle Beziehung mit dem Mann der Präsidentschaftskandidatin gehabt haben soll. In dieser Zeit soll er ihr unter anderem auch Details über Hillarys mutmaßliche sexuelle Orientierung anvertraut haben. Außerdem soll er ihr erzählt haben, dass die beiden ihre gemeinsame Tochter Chelsea nur bekommen haben, um den Spekulationen ein Ende zu setzen.

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„Er hat nicht direkt gesagt, dass Hillary lesbisch ist”, meinte Kyle, „aber es war auch nicht nötig, dass Billy es ausspricht. Ich wusste, was er damit meinte … In Little Rock kannte jeder die Gerüchte, dass Hillary lesbisch ist und Billy ein Lustmolch.”

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Kyle, die während dem Interview aus ihrem 2016 erschienen Buch Hillary the Other Woman: A Political Memoir zitiert, behauptete darüber hinaus auch, dass Hillary Clinton unter unangenehmen Körpergeruch leiden würde und während der traditionellen Ostereiersuche im Weißen Haus gemein zu autistischen Kindern gewesen sein soll. Am Allerschlimmsten scheint für die Autorin aber gewesen zu sein, dass Hillary unfähig war, ihre Augenbrauen richtig zu pflegen. „Hillary starrte sie durch die Gläser ihrer Brille, die so dick waren wie der Boden einer Cola-Flasche, feindselig an”, schreibt Kyle. „Ihre dicken Augenbrauen waren zusammengewachsen und erstreckten sich über ihre gesamte Stirn.”

Nicht alle Geschichten über Hillarys angebliche sexuelle Orientierung haben den bitteren Beigeschmack der verschmähten Frau, die sich nun auf andere Art und Weise an ihrer Konkurrentin rächt. Einige von ihnen—wie diese Fan-Fiction über eine lesbische Romanze zwischen Hillary und ihrer langjährigen politischen Beraterin Huma Abedin—sind sogar auf gewisse Weise ziemlich süß, wenn man auf sexuelle Erniedrigung steht („Hillary schlang ihre Beine um Humas schmale Taille. Sie streckte ihr ihre Handgelenke entgegen. ‚Dann nimm mich doch fest, Schlampe.’”) Die Frage, warum insbesondere die Sexualität mächtiger Frauen in Frage gestellt wird, beantworten sie aber trotzdem nicht.

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Politikerinnen wird oft nachgesagt, sie wären insgeheim lesbisch. Oft werden solche Behauptungen von politischen Gegnern geschürt, die versuchen, bei homophoben Wählern mit traditionellen Familienwerten zu glänzen. Die Wähler selbst sind allerdings auch nicht ganz immun gegenüber solchen haltlosen Spektakulationen. Auch Angela Merkel, die bereits zum zweiten Mal verheiratet ist, wird in Online-Foren oft zum Mittelpunkt von Diskussionen über ihre sexuelle Orientierung. Den einzigen Beweis, den sie für ihre Behauptungen darbringen können, ist allerdings: „Sie hat keinen Sinn für Mode und die ewig gleiche, langweilige Frisur.”

Foto: Quinn Dombrowski | Flickr | CC BY-SA 2.0

„Die Gerüchte von wegen ‚Hillary ist lesbisch’ überraschen mich nicht”, sagt Dr. Maarja Luhiste von der Universität Newcastle. Luhiste ist eine Politik- und Genderexpertin und spezialisiert auf die mediale Darstellung weiblicher Kandidaten in der Politik. „Es handelt sich dabei um eine zum Teil sehr weit verbreitete Wahlkampfstrategie—insbesondere, wenn man bedenkt, wie Trumps Kampagne insgesamt so aussah.”

Macht sich Clinton durch ihren Einsatz für LGBTQ-Rechte und ihre Unterstützung der gleichgeschlechtlichen Ehe angreifbar? „Ja, wer tatsächlich glaubt, dass sie lesbisch ist, wird behaupten, dass sie nur zum Wohl ihrer ‚eigenen Leute’ handelt und nicht aus Menschenrechtsgründen.”

Luhiste erklärt, dass derartige Gerüchte nur in bestimmten politischen Landschaften aufblühen können. „Bestimmte Staaten und Bevölkerungsgruppen in den USA orientieren sich an sehr traditionellen Werten. Entsprechend findet man derartige Gerüchte auch vor allem im Zusammenhang mit konservativen Werten”, sagt sie und betont, dass mit solchen Behauptungen der Wert heterosexueller Familieneinheiten im politischen Leben der USA hervorgehoben werden soll.

Kurz gesagt: Du brauchst zwar keinen Penis mehr, um Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, aber du musst zumindest innerhalb einer ehelichen Gemeinschaft Sex mit dem anderem Geschlecht haben und Nachkommen zeugen.

„Das ist interessant, denn in Estland—wo ich herkomme—interessiert sich kein Mensch für so was”, meint Luhiste. „Unser Präsident hat sich vor Kurzem scheiden lassen und hat während seiner Amtszeit wieder geheiratet, aber das scheint überhaupt niemanden interessiert zu haben.”

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In Luhistes Augen sind die Gerüchte über Clintons sexuelle Orientierung aber in jedem Fall frauenfeindlich. „Es geht dabei um unsere sozialen Erwartungen von einer ‚guten Frau’ und einem ‚guten Politiker.’ Allerdings passen diese beiden Vorstellungen nicht immer zusammen. Politikerinnen werden immer kritisiert, weil sie entweder ‚keine richtige Frau’ oder ‘kein richtiger Politiker’ sind.”

Frauen wie Sarah Palin beispielweise, die der klassischen Geschlechterrolle entsprechen und eine große Familie haben, werden kritisiert, weil ihnen die politische Erfahrung fehlt. Wenn sich eine Frau allerdings auf ihre Karriere konzentriert, ihr Privatleben zurückstellt und nur ein Kind bekommt (oder—Gott behüte—nie verheiratet war), wird ihnen nachgesagt, sie seien insgeheim eigentlich männerhassende Lesben.

„In diesem Spiel kann man nur verlieren”, sagt Luhiste. „Egal welchen Weg du wählst, sie werden immer einen Weg finden, um dich anzugreifen.” Sie hat die Hoffnung jedoch noch nicht aufgegeben, dass sich die USA irgendwann weiterentwickeln und einen LGBTQ-Präsident_in wählen werden. „Es hängt auch sehr viel von der Partei ab, weil einige Parteien gegenüber Kandidaten, die einer sexuellen Minderheit angehören, sehr viel aufgeschlossener sind. Ich halte es deswegen aber nicht für undenkbar. Ich hoffe nur, dass es schneller dazu kommen wird, als wir denken.”


Titelfoto: imago | BildFunkMV