Warum sich manche Menschen einfach selbst heiraten

Im Jahr 1933 beschloss Linda Baker, dass sie es leid war, “darauf zu warten, dass ich mich irgendwann auf meine Hochzeitstorte stürzen kann”. Also nahm die Zahnarzthelferin aus Los Angeles ihr Schicksal selbst in die Hand und lud kurzerhand 75 ihrer engsten Freunde dazu ein, ihr dabei zuzusehen, wie sie in einer Bar in Santa Monica vor den behelfsmäßigen Altar schritt. Weil sich niemand sonst angeboten hatte, nahm sie sich einfach selbst zur Frau. Getraut wurde sie von einem Schauspielerfreund.

Trotzdem dauerte es über zwei Jahrzehnte, bevor die Selbstheirat von den Medien zu einem “neuen Trend” erklärt wurde. Im Jahr 2014 schwor sich auch Sasha Cagen, Autorin von Quirkyalone: A Manifesto For Uncompromising Romantics, in Buenos Aires die ewige Treue. Cagen bestand darauf, dass es bei ihrer Selbstheirat nicht darum ginge, zölibatär zu leben oder sich nie mehr zu verabreden. Es ging vielmehr um den Versuch, ihre eigene innere Stimme zu ersticken, die ihr immer wieder sagte, dass sie ohne einen Mann niemals glücklich werden würde. “Ich wollte mir selbst genug sein”, erklärt sie Broadly.

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Wenn man den aktuellen Berichten glauben möchte, dann beschließen inzwischen immer mehr junge Frauen, sich selbst zu heiraten. Die Alternative, sich bis zum Ende aller Tage verzweifelt durch Tinder zu wischen oder sich immer wieder aufs Neue vor seinen Eltern rechtfertigen zu müssen, klingt schließlich auch nicht sonderlich verlockend.

Wie viele Singles sich tatsächlich für eine Selbstheirat entscheiden, ist allerdings unmöglich zu bestimmen. Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben mir erzählt, dass sie in letzter Zeit mehr Anfragen von der Presse als von anderen angehenden Sologamisten bekommen hätten. Die Sologamie als solche wird weder in Europa, noch in Nordamerika als rechtlich bindendes Eheversprechen anerkannt. Den Anhängern der Bewegung scheint das allerdings nichts auszumachen. Ihnen geht es vor allem darum, den Pomp und die Traditionen einer Hochzeit zu zelebrieren und damit gegen die “Tyrannei der Zweisamkeit” zu rebellieren.

Als sich Cagen selbst zur Frau genommen hat, stellte sie fest, dass ihr die traditionellen Symbole einer Hochzeit – das Kleid, das Gelübde, der Ring und die Gäste – tatsächlich dabei halfen, ihre Versprechen gegenüber sich selbst einzuhalten. “Mit dem Ritual wird das alles noch viel stärker, als wenn man immer nur in seinem Zimmer hockt und sich in seinem Tagebuch selbst die ewige Liebe schwört oder Liebesbriefe schreibt”, sagt Cagen. “Wenn man dieses Ritual durchführt, dann gibt man sich selbst ein Versprechen. Man legt einen Schwur ab, der ein gewisses Gewicht hat, genau wie bei einer Hochzeit.”


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Laut Cagen hat sich um den ultimativen Akt der Selbstliebe herum eine richtiggehende Industrie entwickelt – von Lebensberatern bis zu klassischen Hochzeitsplanern. In Kyoto gibt es sogar einen Selbstheirats-Service, der Singles ein echtes Allround-Paket anbietet: Umstyling, Foto-Shooting und eine kleine Hochzeitszeremonie für umgerechnet rund 2.250 Euro. Es gibt sogar die Option, sich einen “dekorativen Mann” im Alter zwischen 27 und 70 Jahren dazu zu buchen, damit er an ihrem großen Tag an der Seite der Singles steht. Wem das zu aufwendig ist, kann auch einen zehnwöchigen Kurs bei einer Lebensberaterin buchen, die schon seit Jahren auf dem Burning Man-Festival Singles mit sich selbst verheiratet. “Es wird Zeit, dein eines wildes und wertvolles Leben zu leben”, heißt es auf ihrer Webseite. Wer noch nach dem passenden Ehering sucht, der wird auf der Seite “I Married Me” fündig. Die Preise variieren zwischen umgerechnet rund 20 und 250 Euro – so kann jeder selbst entscheiden, wie viel er sich selbst wert ist.

Obwohl auch queere Menschen und Männer von solchen “Selbstverwirklichungszeremonien” profitieren würden, sind die meisten Teilnehmer in ihren Workshops nach wie vor Frauen, sagt Cagen. “Ich glaube, LGBTQ-Personen würden auch Vorteile aus einer Selbstheirat ziehen – vor allem, um traumatische Erfahrungen, Missbrauchserlebnisse und verinnerlichte Homophobie zu überwinden. Die meisten von ihnen stehen allerdings nicht unter demselben Druck zu heiraten wie alleinstehende heterosexuelle Frauen. Deswegen ist wahrscheinlich auch die Resonanz nicht so groß”, sagt sie.

“Wenn ich auf Basis klassischer Hochzeitstraditionen meine Selbstheirat organisiere, dann bestätige ich damit doch nur die Bedeutung traditioneller Hochzeiten.”

Cagen hat mit ihrem Buch Quirkyalone schon 2003 einen Lobgesang auf das Singledasein veröffentlicht. Damals, sagt sie, wurden Frauen noch dazu genötigt, Verabredungen wie einen Nebenjob zu behandeln. Außerdem waren die alleinstehenden Frauen, die man in den Medien zu sehen bekam, immer nur einsame alte Jungfern. “Als ich mein Buch geschrieben habe, wurde noch viel mehr mit der Angst gespielt, mit über 35 noch Single zu sein”, erklärt die Autorin. “Älter zu werden und Single zu sein, erschien damals noch viel erschreckender als heute.”

Die Autorin Bella DePaula ist der Meinung, dass Singles auch heute noch wie leidgeprüfte Einzelgänger dargestellt werden. Allerdings ist eine Selbstheirat in ihren Augen auch keine bahnbrechende kulturelle Neuerung. Stattdessen würden die Sologamisten die Institution Ehe nur bestätigen, indem sie den ganzen Pomp und die Traditionen einer normalen Hochzeit nachahmen. “Wenn ich auf Basis klassischer Hochzeitstraditionen meine Selbstheirat organisiere, dann bestätige ich damit doch nur die Bedeutung traditioneller Hochzeiten, obwohl man ihnen doch ihre Bedeutung nehmen wollte”, sagt sie.

DePaulo ist der Ansicht, dass Sologamie die Vorurteile gegen Singles nur bestärkt – wie zum Beispiel, dass sie selbstbezogene Eigenbrötler wären. Dabei konnten Studien bereits zeigen, dass alleinstehende Menschen generell weniger narzisstisch sind als ihre vergebenen Freunde. “Sie sind spendabler, engagieren sich stärker und kümmern sich im Alter mehr um ihre Eltern”, sagt sie und zitiert damit eine Studie der amerikanischen Behörde für Arbeitsstatistik und der Zeitschrift Social Science & Medicine.

“Viele Menschen sind fest davon überzeugt, dass verheiratete Menschen, die besseren Menschen wären.”

Obwohl sie in der Selbstheirat einen generelle Widerspruch zu der Einstellung sieht, mit der sich der Großteil der Singles identifiziert, glaubt DePaule auch, dass traditionelle Hochzeiten mehr Kritik verdient hätten. “Warum meldet sich unser Bauchgefühl nicht bei uns, wenn wir über traditionelle Hochzeiten und traditionelle Paare sprechen?”, fragt sie. “[Bei Hochzeiten] wird immer von einem erwartet, dass man sich ein ganzes Wochenende freinimmt, um irgendwohin zu fliegen. Und als ob das allein nicht schon kostspielig genug wäre, wird dann meist auch noch von einem erwartet, dass man ihnen ein Geschenk macht. Warum finden wir das nicht selbstsüchtig?”

Sie glaubt, dass die Kritik an der Selbstheirat vor allem daher kommt, dass “viele Menschen fest davon überzeugt sind, dass verheiratete Menschen die besseren Menschen wären und man nicht nur gesünder und glücklicher, sondern auch moralisch überlegen ist, wenn man verheiratet ist.”

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“Uns wurde immer beigebracht, dass Singles automatisch unglücklich und einsam sind und sich nichts mehr wünschen, als den richtigen Partner zu finden und zu heiraten. Wenn sie jemanden finden, dann werden sie wie durch ein Wunder viel glücklichere und gesündere Menschen”, sagt sie. “Inzwischen ist es aber immer schwieriger geworden, dieses Märchen von Ehepaaren und Singles aufrechtzuerhalten.”

Dass die Selbstheirat die Hochzeitsindustrie zum Einsturz bringen und “leidgeprüfte” Singles befreien wird, ist ein ziemlich hochgestecktes Ziel. Man müsste aber auch vollkommen zynisch sein, um den Versuch der anderen, sich zu sich selbst zu bekennen, als bloßen Beweis für ihren Narzissmus abzutun. Selbst DePaulo muss zugeben, dass sie sehr gerne zu einer Selbstheirat ginge, wenn sie zu einer eingeladen werden würde. “Ich finde die Vorstellung schön, aussprechen zu können, was einem selbst im Leben wichtig ist und etwas bedeutet.”

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