Irgendwo in Deutschland – wo, wissen nur Eingeweihte – wird an diesem Samstag ein Kampfsport-Turnier stattfinden. Schwitzende, tätowierte Männer aus Deutschland, Frankreich, Bulgarien und Russland werden sich gegenseitig die Gesichter blutig schlagen. Anders als die meisten MMA-Kämpfer werden sie es aber nicht nur für ihren eigenen Ruhm tun – sondern zur Ehre der weißen Rasse. Der “Kampf der Nibelungen” ist ein MMA-Turnier für Neonazis. Das Event, das dieses Jahr schon zum fünften Mal stattfindet, gilt mittlerweile als die bedeutendste Kampfsport-Veranstaltung der deutschen rechtsextremen Szene.
Was Kampfsport für Neonazis attraktiv macht, liegt auf der Hand: Es geht um Gewalt, Kampf und Männlichkeit – alles Dinge, die Rechtsextreme (zumindest in der Theorie) wichtig finden. Die Wettkämpfe dienen dazu, dass sich “die besten aus unseren Reihen gegenseitig messen”, erzählte ein Teilnehmer 2015 einem rechten Blog. Es kämen “nicht nur deutsche Stämme, die sich untereinander zeigen und beweisen, sondern eben wie heute auch Franzosen oder Ungarn, die hier sind, um sich mit ihren weißen Brüdern zu messen”. Die Werbe-Videos zum “Kampf der Nibelungen” (KdN) verbinden die übliche MMA-Ästhetik – Faustschläge, Blut, schnelle Schnitte, alles unterlegt mit martialischer Musik – mit dem Spruch “Nur in der eigenen Kraft ruht das Schicksal einer Nation”.
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So weit, so vorhersehbar. Wer dann allerdings auf die Facebook-Seite der Veranstaltung geht, den erwartet eine Überraschung: Die Veranstalter bewerben da “unser Shirt für die Straight Edger” – ein grünes T-Shirt, auf dem sie das Logo des Turniers mit den drei X, dem Erkennungszeichen der Straight-Edge-Bewegung, kombiniert haben. Darunter kommentiert jemand begeistert, wie “mega geil” das ist, “auch das der Straight Edge Gedanke mit eingebracht wurde”.
Straight Edge heißt so viel wie “klare Kante” und kommt eigentlich aus der Hardcore-Punk-Welt. Irgendwann in den frühen 80ern beschlossen ein paar Hardcore-Bands, dass es eigentlich viel cooler ist, nichts zu trinken, keine Drogen zu nehmen und nicht durch die Gegend zu vögeln, und erklärten das zu einer Bewegung. Seitdem hat sich an den Grundprinzipien der Straight Edger nicht viel geändert, außer dass oft noch Vegetarismus oder sogar Veganismus dazugekommen sind.
Über Kampfsport kamen wohl russische Neonazis zum Veganismus
Was hat das alles mit Neonazis zu tun? Mittlerweile eine ganze Menge. Angefangen haben damit wohl russische Neonazis, die das mit dem Kampfsport wirklich ernst genommen und dann gemerkt haben, dass man einfach besser trainieren kann, wenn man sich gesund ernährt und nicht säuft. Die russischen Kampfsportler trugen die Idee dann nach Deutschland – zum Beispiel bei so Events wie dem “Kampf der Nibelungen”. “Wegen der russischen Gäste etablierte sich am Imbiss auch vegane Suppe”, schreibt zum Beispiel Robert Claus in seinem Buch, in dem es auch um die Verbindungen zwischen deutschen und russischen Neonazi-Hooligans geht. Am Anfang führte das noch zu “Nasenrümpfen und hämischen Kommentaren bei den deutschen Biertrinkern” – aber mittlerweile ist die Idee auch in der deutschen rechtsextremen Szene relativ etabliert (vielleicht, weil die fitteren Russen die Deutschen immer wieder grün und blau geprügelt haben). “Vegane Nazis” ist kein Schimpfwort für besonders militante Tofu-Fans mehr, sondern eine echte Gruppe mit eigenem YouTube-Kanal.
Eigentlich liegt das auch auf der Hand: Erstens setzen sich Rechtsextreme schon immer gerne auf neue Subkulturen und Jugendbewegungen drauf – man denke nur an Neonazi-Rapper oder die Nipster von den Identitären, die pseudo-lustige Twitter-Sprache mit Gewaltfantasien gegen Flüchtlinge verbinden.
Zweitens passt Straight Edge aber sonst auch zur rechten Szene: Immerhin geht es dabei hauptsächlich um Disziplin (in den 30ern nannte man das noch “Zucht”). Das Motto vom “Kampf der Nibelungen” ist deshalb auch “Disziplin ist alles!”. Aber wie sie es eben gerne machen, haben die Rechten dem Ganzen noch einen völkischen Spin gegeben: Bei ihrer Version von Straight Edge geht es nicht nur um den einzelnen gesunden Körper, sondern um den “deutschen Volkskörper”.
Unter den Facebook-Freunden von “KdN” findet sich zum Beispiel auch eine frisch gegründete Gruppe, die sich “Wardon” nennt. Laut ihrem Selbstbekenntnis steht die Gruppe für
“die Vereinigung erwachter Deutscher, welche es sich zum Ziel gesetzt haben, dem Ideal wahrer Volksgesundheit zuzustreben. Da ein gesunder Geist nur in einem gesunden Körper entstehen und wachsen kann, gilt unser Hauptaugenmerk dem Errichten unseres Körpers als Bollwerk unseres Geistes und Schutzwall für unsere arteigenen Stärken.”
Soll heißen: Wenn ein Rechter zuerst ein paar Liegestütze und sich dann einen Kale-Smoothie macht, dann tut er das nicht einfach für sich selbst, sondern für das ganze deutsche Volk. Schon 2008 marschierten russische Neonazis mit “Straight Edge – Halte dein Blut rein”-Plakaten durch Moskau.
Der Neonazi kann nicht einfach so Sport machen – er braucht einen Feind
Der Witz dabei ist natürlich, dass der Neonazi nicht einfach so Sport machen und sich über die Endorphine freuen kann – er muss immer auch einen Feind haben. Der Deutsche an sich, so geht die Überlegung offenbar, würde niemals Zigaretten, Alkohol und Drogen konsumieren wollen. Um ihn dazu zu bringen, hat eine “jahrzehntelange Umerziehung des deutschen Volkskörpers” stattgefunden. Dadurch, wissen die Jungs von “Wardon”,
“wurde ein Menschenschlag heran gezüchtet, welcher sich freiwillig und sogar freudig in die geistigen Degenerationsmühlen dieses Systems begeben hat, in denen jedes Individuum des gesamten Volkes deimmunisiert werden soll für den Wunsch zur Empfänglichkeit aller schädigenden Substanzen und sogenannten Volksdrogen wie Alkohol und Nikotin, ungesunde Ernährung und einen daraus resultierenden verwahrlosten Geist.”
Außer markigen Facebook-Texten wollen die rechtsetxremen Straight Edger dieser Entwicklung “Wehrhaftigkeit, Kraft, Nüchternheit und … eisernen Willen” entgegenhalten. Es geht sozusagen um eine Entschlackung – aber für das ganze deutsche Volk. Wer zur “Schlacke” gehört, ist auch ziemlich klar: “Statt zuzusehen, wie Völker durch Abtreibung, Schwulen- und Mischehen ein neues Gesicht bekommen, trage auch du deinen Teil zu unserer Zukunft bei”, predigte ein deutscher Straight Edger schon vor Jahren.
Die Straight-Edge-Idee ist in der rechtsextremen Szene also nicht neu. Im Zusammenhang mit den Kampfsport-Turnieren scheint sie aber jetzt erst richtig Fahrt aufzunehmen. “Eine sehr erfreuliche Entwicklung”, findet ein anderer KdN-Facebook-Fan. “Drogen, Nikotin und andere Gifte, durch Ernährung, Medien und Pharmaindustrie, müssen aus unseren Reihen verbannt werden”. Besonders sinnvoll findet er, dass immer mehr Rechtsextreme sich jetzt ihre eigenen sportlichen Strukturen aufbauen – zu oft würden Menschen aus normalen Vereinen ausgeschlossen, “weil sie eine andere politische Lebensweise vertreten”. Umso tragischer, denn: “Es ist unsere Pflicht körperlich und geistig jederzeit einsatzfähig zu sein.” Fast wünscht man sich den besoffenen Skinhead zurück.