“Schlampig” tanzen – gibt es das überhaupt? Professionelle Tänzerinnen haben uns ihre Meinung gesagt

Es ist Aftershow und was macht man im Club nach dem Konzert? Trinken, tanzen, Spaß haben. Leider bietet sich dann viel zu oft das gleiche Bild: an der Bar lehnende Männer, die mit Dwayne-Johnson-Blick die Tanzfläche mustern oder auf eben dieser ihr Gewicht im Takt von einem Fuß auf den anderen verlagern. Und die Frauen? Die sind meist aktiver und tanzen. Entweder verhalten oder komplett befreit. Aber wehe, eine Dame wagt es, sich so sehr in ihrem Körper wohlzufühlen, dass sie mit dem Arsch wackelt, sinnliche Bewegungen macht und dabei ziemlich sexy aussieht. Dann wird getuschelt: Ist die “bitchy”, “schlampig” und “billig”.

Ab wann tanzt man denn eigentlich “bitchy”? Wir haben zwei professionelle Tänzerinnen gefragt, was sie von dieser Bezeichnung halten und wie es generell für eine Frau ist, wenn sie im Club oder auf einer Bühne tanzt. Maike ist Frontfrau und Tänzerin von Chefboss und wie Andra vor allem im Voguing aktiv. Das ist ein Tanzstil, der in der queeren Szene New Yorks entstand und sich an den typischen Posen der Models aus dem Modemagazin Vogue orientiert. Dabei werden stark die femininen Attribute betont. Oder wie es Maike sagt: “Total grazil, aber mit einer gewissen Härte”. Auf die Frage, ob sie was mit “bitchy” tanzen anfangen kann, erwidert sie, dass sie schon ein Bild im Kopf habe, was damit gemeint ist. Im Voguing ist eine “Bitch” allerdings ein Kompliment, dass den Vibe des Tanzes beschreibt – sich eben übertrieben feminin und sexuell bewegen. Sie würde auch nie den Tanz einer anderen Person als “billig” bezeichnen: “Ich finde jede Art von Tanz schön und kann darin etwas sehen.”

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Auch Andra, die als eine der wenigen deutschen Voguerinnen in der Kategorie Sex Siren tanzt und unter dem Künstlernamen Zueira Mizrahi sogar schon Preise gewonnen hat, hat etwas gegen die Bezeichnung “bitchy”. Ihrer Meinung nach hat Tanzen doch schon an sich oft was Sexuelles: “Schon die alten, traditionellen Tänze waren ein Fortpflanzungsritual.” Immerhin ähneln viele Bewegungen, die man beim Tanzen macht, ja denen beim Sex – beispielsweise das Twerken, wohl der Inbegriff des “bitchy” Tanzens.


Maike und Andra in Aktion

So gesehen ist es kein Wunder, dass so viele Leute in einen schummrigen Club strömen, um sich einen Partner für die Nacht anzulachen-, beziehungsweise anzutanzen. Wirken dabei nicht gerade Frauen, die aufreizend tanzen, vermeintlich so, als seien sie auf der Suche und müssen sich erst recht den Anmachen stellen? Andra ist da optimistisch: “Ich glaube, die Menschen haben einen Blick dafür entwickelt, wann es Eine richtig hart braucht und wann sie einfach nur frei ist und einen großen Fick auf alle anderen gibt.” Und auch Maike hat sich beim Tanzen noch nie “billig” gefühlt. Das sei eher eine Einstellungssache. Solange du so tanzt, wie du selbst dich dabei wohl fühlst, ohne dich von außen beschränken zu lassen, strahlst du das auch nicht aus.

Nur wird dieser Blick manchmal leider von dem ein oder anderen Drink getrübt und Signale komplett missinterpretiert. So haben Chefboss beim diesjährigen Rock am Ring auf dem Zeltplatz eine kleine Spontanperformance abgeliefert, erzählt Maike. Dabei hat ein Typ einer Tänzerin auf den Arsch gehauen. Womit er aber nicht gerechnet hat, war die Reaktion: “Sie ist direkt zu dem hin und hat ihm die Leviten gelesen, das war ziemlich hart für ihn.” Und auch Andra weiß nach all den Kommentaren und Antanzereien ganz genau, wie sie zu reagieren hat, um unmissverständlich klarzumachen, dass hier eine Grenze überschritten wurde: “Ich habe nicht nach deinem Kommentar gerufen, ich habe dich noch nicht mal den ganzen verfickten Abend lang gesehen und du hast irgendwie eine Einladung verstanden, die ich bestimmt nicht mit meinem Arsch ausspreche!”


Andra | Foto: Sineforma

Genau deswegen ist ihr auch das Voguing so wichtig. Da es eine schwule Kultur ist, kann sie sich hier als Frau völlig frei bewegen und ausdrücken: “Da kann ich auspacken, ohne dass ich nach einer halben Stunde wegen der Blicke meinen Ausschnitt verdecke wie früher.” Dann kann sie so richtig “bitchy” tanzen – also das positive “bitchy”. Für sie ist das Voguing dann ihre Möglichkeit, alles an Frausein, Bodypositiviy und sexueller Energie rauszulassen, was sie in der “normalen Welt” zurückhalten muss. Das andere Extrem erlebt Maike, wenn sie mal einen nicht so selbstsicheren Tag hat und trotzdem live auf der Bühne performt. Wenn ihr dann einer zuruft, dass sie sich ausziehen soll, wird ihr bewusst, dass manche ihren Tanz ganz anders wahrnehmen. Aber das ist dann schnell vergessen: “Das Wichtigste ist, dass man selber sicher ist und nicht zu sehr auf die Reaktionen achtet.”

Ob nun “bitchy” oder “billig” – Männern wird komischerweise nicht vorgeworfen, dass sie aufreizend tanzen. Andra fasst zusammen: “Sobald ein Mann so tanzt, ist er ‘total lustig’, ein ‘Macker’ oder er kann einfach tanzen.” Zumal diese Freiheit auch für die Kleiderwahl gilt. Während knappe Klamotten bei Männern als “schwul” beschimpft werden, werden Frauen mit kurzer Hose und tiefen Ausschnitt viel schneller als “Schlampen” abgestempelt.

Und dann kommt sie doch nochmal auf die echten “Bitches” zu sprechen. Eben die Frauen, die extra viel Haut zeigen, um Freidrinks abzustauben. Dadurch wird ein allgemeines Bild gezeichnet und das ist schwierig. Das führe dann dazu, dass Frauen wie Andra und Maike angequatscht werden, obwohl sie absolut keinen Bock darauf haben. Aber: “Frauen sollen auch rausgehen und wenn die sich drei Typen klarmachen wollen, sollen die das bitte machen. Das Problem ist das “bitchy” – dass man schneller ein Label bekommt.”

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