„Enthüllt: Die schmutzige Seite des Fußballbusiness”, titelte der Spiegel Anfang des Monats und deckt seitdem immer neue Geschichten der „Football Leaks” auf. Sie offenbaren, wie Cristiano Ronaldo über zwei irischen Firmen 75 Millionen Euro aus der Vermarktung seiner Bildrechte in eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln geschoben haben soll—so gut wie steuerfrei. Sie belegen, dass Mesut Özil nach „schwerwiegenden Verstößen” Steuern in Höhe von über zwei Millionen Euro an die spanischen Finanzbehörden nachzahlen musste. Ebenfalls enthüllen sie, wie der Vater von Bayer-Star Julian Brandt für die damalige vorzeitige Vertragsauflösung und die Vermittlung von Wolfsburg nach Leverkusen 300.000 Euro als Provision erhielt, jede Saison nochmals bis zu 250.000 verdient und sich eine Beteiligung an einem möglichen Weiterverkauf gesichert haben soll.
Trotz der Berichte über die verbreiteten Steuertrick-Systeme im Profifußball drehte sich der Fußballglobus weiter. Am Ende interessierte sich das Gros der Fußballfans eher dafür, ob der Ballon d’Or schon wieder an Ronaldo ging. Spiegel-Journalist Rafael Buschmann stellte den Kontakt zur Enthüllungsplattform Football Leaks her und traf sich immer wieder an geheimen Orten mit dessen Betreiber, dem portugiesischen Aktivisten „John”. Im Gespräch mit VICE Sports erklärt er, warum der Aufschrei der Fußballfans noch auf sich warten lässt und wieso der mysteriöse John sogar Hansa Rostocks Startaufstellungen kennt.
Videos by VICE
VICE Sports: Was ist deiner Meinung nach die größte Erkenntnis der Football Leaks?
Rafael Buschmann: Am Ende skizzieren wir ein Sittengemälde, das es vorher noch nicht gab. Football Leaks ermöglicht einen Einblick in eine Branche, die komplett entfesselt ist. Es geht nicht nur um die Gier, was Steuerfragen angeht, sondern auch darum, dass es mittlerweile kaum noch Grenzen gibt—etwa bei Honoraren, Streitigkeiten zwischen Beratern, der Jagd nach jungen Spielern oder dem riesigen Periphermarkt, der Profikicker in Steuer- oder Abrechnungsfragen berät. Dass die Fußballbranche so oft im stillen Kämmerlein mit so krummen Deals hantiert, hätten wir in der Dichte nicht erwartet. Vereine, Spieler, Manager und Berater konnten sich in der Vergangenheit eine Parallelwelt mit eigenen Regeln aufbauen.
Die Dokumente offenbaren illegale Klauseln und Steuertricks. Habt ihr nach großen Namen oder der Schwere der Delikte gesucht?
Bei 1,9 Terabyte, die uns vorliegen, muss man sehr systematisch vorgehen, um am Ende Geschichten und Fälle zu finden. Anfangs haben wir Listen von Erstligaspielern, Vereinen und Beratern angefertigt. Anschließend sind wir tiefer eingedrungen und haben durch Einzelfälle nach Konstrukten und Netzwerken gesucht.
Konstrukte wie das von Ronaldo-Berater Jorge Mendes. Wieso habt ihr besonders dieses System so beleuchtet?
Uns geht es nicht um Einzelfälle oder nur um Cristiano Ronaldo, sondern darum, dass es ein System dahinter gibt. Wie eben zum Beispiel das System rund um Jorge Mendes. Wir hatten Spieler mit Steuerproblemen gefunden und die Gemeinsamkeiten führten oft zu ihm.
Wann hat sich Football Leaks alias „John” dazu entschlossen, euch die Daten zu überlassen?
Ich habe seit einem Jahr Kontakt zu der Plattform Football Leaks, zunächst per E-Mail. Anfangs war das sehr mühsam, das änderte sich erst nach sechs Wochen, als wir auf verschlüsselte Plattformen gewechselt sind. Dort gingen die Gespräche etwas tiefer: Wir haben uns viel über seinen Blick auf Fußball und Korruption unterhalten. Er hat mir seine Vermutungen und Thesen geschildert, daraus wurde eine interessante inhaltliche Debatte.
Wann habt ihr euch dann getroffen?
John fiel es sehr schwer, seine Anonymität abzulegen. Erst nach über zwei Monaten haben wir uns zum ersten Mal in einer osteuropäischen Metropole getroffen. Seitdem gab es Dutzende weitere Treffen in den unterschiedlichsten Städten. Wir haben hunderte Stunden gesprochen. So bekommt man einen Eindruck, was die Quelle will, wo sie steht und welche Ideale sie hat.
Es steht der Vorwurf im Raum, dass die Daten geklaut wurden…
Zunächst muss man sagen: John bestreitet, dass die Daten gehackt oder gestohlen wurden. Er sagt, er hätte gute Quellen, die ihm die Daten beschafft haben. Das kann man glauben oder es sein lassen. Wir haben uns intern monatelang über den Umgang mit den Daten unterhalten, die Dokumente geprüft und gemerkt, dass sie eine gesellschaftliche Relevanz haben. Zum Beispiel im Umgang mit Steueroasen. Daher war für uns die Einzelperson, die hinter dem Material zu stehen scheint, nicht entscheidend, da die Tragweite der Daten aus unserer Sicht überwiegt.
Also ähnlich wie bei Edward Snowden?
Snowden hat durch die entwendeten NSA-Dokumente eine der wichtigsten Debatten unserer Zeit angestoßen. Oder Hervé Falciani und Bradley Birkenfeld, die mit ihrem gestohlenen Material aus zwei Großbanken dafür gesorgt haben, dass es für viele Staaten eine Steuerretoure im Milliardenbereich gab.
Ist John also auch eine Art Robin Hood?
Er ist ein totaler Fußballnerd und ein wandelndes Fußballlexikon. Er kann aus dem Nichts heraus die Aufstellung von Hansa Rostock aus dem Jahr 1996 aufsagen. Und er hat ein wahnsinniges Ungerechtigkeitsempfinden. In der vergangenen Saison ist ihm aufgefallen, dass in der portugiesischen Liga mehrere Transfers problematisch abgelaufen zu sein schienen und es aus seiner Sicht zu mehreren geheimen Zahlungen kam. Das war der Auslöser und er wollte den Dingen nachgehen, eine Transparenz schaffen. Aber ob der Vergleich mit Robin Hood zutrifft, mag ich nicht beurteilen, da ich mir nie die Sichtweise einer Quelle zu eigen machen will.
Was bezweckt John deiner Meinung nach?
Er will wohl, dass der Fußball sauberer wird, dass dem Fußball Grenzen gesetzt und Kontrollinstanzen aufgebaut werden. Er will, dass der Fan am Ende weiß, was mit dem Geld seiner Eintrittskarten, seines TV-Abos und des Kaufs seiner Cristiano-Ronaldo-Unterhose passiert. John sagt: Jeder Fußballfan leistet seinen Beitrag dazu, dass das korrupte Fußballsystem—welches sich seiner Meinung nach innen selbst zerfrisst—weiter befördert wird. Am Ende muss ich aber auch sagen, dass unzählige Fragen, die ich an John habe, unbeantwortet geblieben sind. Er ist ein sehr verschwiegener Mensch.
„Football Leaks” und „John” sind eine weitgehend unbekannte Quelle. Herrscht eine gewisse Abhängigkeit zu der Plattform?
Wir standen in keinerlei Abhängigkeit. Es gab nicht die Möglichkeit, dass die Quelle uns etwa hätte reinreden oder die Richtung einer Geschichte vorgeben können, das ist aber auch selbstverständlich. Die einzige Verabredung war: ‚Nimm die Daten mit und mach was Gutes draus.’ Für uns sind solche Daten am Anfang auch eher nur ein Hinweisgeber. Danach sortieren wir sie nach Relevanz, Größenordnung, gesellschaftlicher Debatte und steigen anschließend in eine tiefere Recherche ein. Anders als beispielsweise WikiLeaks prüfen wir jedes Dokument, recherchieren unter anderem in Handelsregisterauszügen und Gerichtsdokumenten und konfrontieren natürlich auch die Gegenseite mit den Vorwürfen. Erst danach entscheiden wir, ob aus dem Material eine Geschichte entstehen kann.
Die Rede ist immer wieder von einem „hochkorrupten System”. Warum sind die sonst so empfindlichen Fans nicht empört?
Ich tue mich wahnsinnig schwer mit solchen Allgemeinbewertungen. Ich erlebe das in meinem Alltag anders, sei es in den Social-Media-Kanälen, in der Bahn oder im eigenen Sportverein. Viele Menschen diskutieren über die Veröffentlichungen, fühlen sich den beschriebenen Systemen gegenüber aber auch ein Stück weit machtlos. Sie ermuntern uns trotzdem, sich weiter insbesondere mit diesen Steuerungerechtigkeiten auseinanderzusetzen und diese offenzulegen.
Es gibt aber auch Reaktionen, die uns zeigen, dass unsere Veröffentlichungen manche Menschen nicht tangieren. Dann heißt es, wir sollen ihnen ihren schönen Sport nicht kaputt machen. Ich muss mich solchen Sichtweisen nicht anschließen, aber es ist völlig in Ordnung, dass es sie gibt. Das muss eine demokratische Debatte aushalten. Im Übrigen ist es aber auch so, dass in unserem Rechercheteam alle Mitglieder Fußballfans sind und wir ebenfalls ein großes Interesse daran haben, dass dieser Sport und die damit verbundene Branche sauber und ehrlich betrieben werden.
„Das wussten wir eh schon” ist eine gängige Meinung, die man immer wieder hört. Was sagt das über den Fußball aus?
Jeder muss für sich selbst entscheiden, in welcher Gesellschaft er leben und ob er sich mit bestimmten Umständen einfach arrangieren möchte. Ich glaube aber nicht, dass diese Enthüllungen komplett am Fußballfan vorbei gehen werden—dafür diskutieren jetzt schon zu viele über Football Leaks.
Aber was können die Enthüllungen noch bewirken?
Schwer zu beurteilen, das müssen und können am Ende nur die Justiz und die Politik entscheiden. Wolfgang Schäuble sitzt gerade an einem Gesetz zu Steueroasen, auch wenn ich glaube, dass das nicht weit genug geht. Solche Enthüllungen wie Football Leaks zeigen uns sehr deutlich, dass wir definitiv Nachholbedarf haben, um eine europäische Steuergerechtigkeit zu schaffen. Momentan können Superreiche aufgrund guter Anwälte und globaler Vernetzung ihre Steuern immens minimieren und die Armen sind oftmals zu arm, um noch irgendetwas an das Finanzamt abzugeben. Das System wird also vordergründig auf dem Rücken von vor allem jungen Menschen aus der Mittelschicht ausgetragen. Alleine dieser Umstand müsste politische Debatten lostreten.
Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie