Die Aufregung stieg, als ich merkte, dass die Familie im Bus zur gleichen Party wollte wie ich. Sie trugen Klamotten in Camouflagefarben, Leopardenfell und Kunstpelz. Eine Baby-Party in einem Nachtclub, von drei bis sechs Uhr an einem Sonntagnachmittag. „Kommt und hört Euch mit den Kindern dröhnenden Techno an“, sagten meine Freundin, „Das wird lustig!“
Als ich da ankam, ging die Schlange bereits bis um den Block. Hunderte von Eltern mit ihren Nachkommen waren da. Ich habe meine kleine Einjährige im Kinderwagen mitgenommen. Sie kaute auf ihrer Hand herum. Wir stellten uns an und ich fragte Gott —genau wie vor zwei Jahren, als ich auf ein Stäbchen pinkeln musste—wieso passiert mir sowas eigentlich immer?
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Drinnen war es richtig voll und laut. Auf der Treppe waren einige Siebenjährige in tiefe Gespräche vertieft, und mit der schändlichen Bearbeitung einer Mandarine beschäftigt. Ein älterer Mann versuchte tatsächlich Pistazien zu verkaufen. Schreiende Kleinkinder, die zweifellos auf Ketamin oder Süßigkeiten waren, rannten an mir vorbei. Im Hauptraum schmetterte mir Musik von K-Klass entgegen, was mich zugleich begeisterte, aber auch erschreckte. Ich flüchtete mit der Kleinen in den Chillout-Raum, wo ein freundlicher alter Mann, der aussah wie der Weihnachtsmann, Groove und Soul spielte. Meine Freunde waren mit all ihren verwirrten Babys da, und irgendwer gab mir ein Bier. Ich hab mein Kind auf den Boden gesetzt, damit sie tanzen kann. Bald schon hat sie angefangen, alle möglichen elektronischen Kabel aus der Wand zu reissen, und schliesslich hat sie sich ihre Finger an der Lichterkette verbrannte. In diesem Moment merkte ich, es war die richtige Entscheidung, sie hier her zu bringen.
Partys haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Die Illegalen, die in Feldern versteckt liegen, irgendwo abseits der A64. Oder semi-illegale Parties, in staubigen, alten Fabriken mit bautechnischen Problemen. Aber auch legale Partys in Nachtclubs können so viel Spaß machen: Da gibt es einen Nobelschuppen, da hatte ein Pärchen Sex auf den Treppen, als einmal das Licht ausfiel. In so einem anderen Club wollte ich einmal einen Freund treffen, habe aber stattdessen einen Afrikaner in Lederhosen kennengelernt, mit dem ich dann zwei Tage verbrachte. Es gab auch mal diese schwule Partynacht, die die Hetero-Kerle so sehr liebten, dass die Tranvestit-Türsteher sie erst nach einem Kuss reinließen. Da gab es auch einmal eine andere Party, die im Freien statt fand, wo wir von der Polizei angehalten wurden, weil mein Freund Phil einen Joint beim Fahren gedreht hat. Phil laberte die dann aber so lange voll, dass sie es einfach nicht mehr AUSHIELTEN und uns durchwinkten.
Eines aber habe ich vom Feiern wirklich gelernt: Wie man sich selbst beim Tanzen in einer Menge von Fremden verliert. Man liebt die anderen, ohne mit ihnen zu sprechen. Es ist sogar besser, wenn du nicht mit dem Tanzen aufhörst, falls ihr dann ins Gespräch kommt. Denn dann merkst du schnell, dass eine Konversation länger als zwei Minuten dazu führt, dass du herausfindest, dass Der Typ ein kranker Rassist ist, oder die Teebeutel in seinem Tee mindestens zweimal benutzt, oder ein kompliziertes Glaubenssystem über lokale Autowäsche erstellt haben. Die Art von Mensch, die, wenn du ihnen den Tacker im Büro reichst, vor Glück aufschreiben und dann ihre Fingerknöchel knacken und sagen „sorry, schlechte Gewohnheit!!“.
Beim Tanzen liebst du diese Leute dennoch und du bist einer von ihnen. Denn wenn du noch nie von einem Fremden im Dunkeln, in einem nur von Laserstrahlen erleuchteten Raum umarmt wurdest, dann hast du nicht gelebt! Gelegentlich ist es ganz gut, seine ganz Liebe raus zu lassen—Mann, es ist so anstrengend, immer seine Gefühle zurückhalten zu müssen. Wenn es nicht tabu wäre, würde ich Leute im Bus anfassen. Ich würde Kindern durchs Haar fahren, meine Finger um das Gesicht des Taxifahrers wickeln und sagen „Was glauben Sie, wie lange es dauert, bis ans Ende der Welt zu fahren?“. Ich würde mit all meinen Freunden Sex haben, wenn es keine weitreichenden Konsequenzen geben würde.
(Zurück auf der Baby-Party spielen sie das Lied „Je t’aime“ von Serge Gainsbourg—es ist nicht schlimm, aber an einer Stelle in dem Lied, haucht eine weibliche Stimme in das Mikrophon wie als hätte sie einen Orgasmus. Ein siebenjähriges Mädchen hatte sich das Mikro geschnappt und stöhnte mit. Es ist niemanden aufgefallen, aber ich fand das sehr seltsam.)
Dennoch will ich, dass meine Tochter das Gefühl und die Freude erlebt, von Fremden in der Menge zerquetscht zu werden. Gerade die, denen man sonst lieber nicht zu Nahe kommt, weil sie stinken, hässlich oder eklig sind. Ich erzieh sie nicht in dem Glauben, sie sei die eine von einer Millionen, die etwas verändern kann—Das wäre eine Lüge.
Es gibt so viel Quatsch, der Kindern erzählt wird, zum Beispiel, dass sie wichtig wären. Ich will dass sie weiss, dass sie überhaupt nicht wichtig ist und dass nichts hiervon real ist. Ich will, dass sie in der Freiheit schwelgt, ohne Pläne geboren worden zu sein. Niemand hat das Kinderzimmer für sie gestrichen, niemand hat Geld für die Uni für sie zurückgelegt oder einen Plan erstellt, was sie einmal werden soll. All dieses Gerede über harte Arbeit, und wie sie dich besser macht, ist der beste Trick des Kapitalismus. So lassen sie dich in dem Glauben, dass du wichtig bist.
Und so wünsch ich ihr die Freude darüber irgendjemand zu sein, für ein paar Stunden, verloren in der Dunkelheit. Ich möchte, dass sie denkt, dass sie Nichts und Niemand ist und sich fühlt, als wäre sie Luft.