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Wir sollten aufhören, uns voreinander für unseren Körper zu schämen

Sich von den Dingen, die andere unter Umständen über einen denken könnten, einschränken zu lassen, ist einfach nur idiotisch.
Foto: unsplash.com | CC0

Früher, wenn wir im Gymnasium Turnen hatten, sprühten wir Mädchen uns danach mit nach Zuckerwatte und/oder Kloduft stinkendem Deo ein, um halbwegs frisch zu riechen. Auf den Gedanken, kurz in die Dusche zu hüpfen, kam niemand von uns—auch unserer Lehrerin war es herzlich egal, wie wir unseren jugendlichen Schweißduft los wurden. Vielleicht war es uns damals einfach auch egal, ob wir ein paar Stunden lang gestunken haben. Vielleicht wollten wir aber auch nicht voreinander duschen und uns nackt zeigen.

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Ich war auch schon auf vielen Festivals, auf denen es nach Geschlechtern getrennte Gemeinschaftsduschen gab. In den Duschen gab es oft keine Trennwände, man hatte also zumindest theoretisch freie Sicht auf die Frauen gegenüber und neben einem. Es gab dabei nur einen Haken: So gut wie alle Frauen duschten im Bikini. Auch ich habe mich dann nicht getraut, mich auszuziehen, weil ich nicht der eine Freak sein wollte, der blank zieht. Dazu haben sich zu viele Hollywood-Klischees in meinen Kopf eingebrannt: Mädchen, die sich beispielsweise in High-School-Komödien ohne große Scham aus- oder umziehen, werden von den Mean Girls als Lesben abgestempelt, ihre Brüste und Oberschenkel werden genauestens unter die Lupe genommen oder es wird über die Snoopy-Unterwäsche gelacht. Heute klingt es lächerlich, aber ein bisschen Angst gemacht hat mir das alles schon.

Eine Studie der Universität von Essex aus dem Jahr 2015, für die 4.000 Schülerinnen und Schüler befragt wurden, hat gezeigt, dass die Hälfte der Burschen und zwei Drittel der Mädchen nach dem Sportunterricht nicht duschen—und sich dieses Schamgefühl wiederum auf ihre körperliche Fitness auswirkt. Die Schülerinnen und Schüler, die nach dem Unterricht nämlich nicht duschen wollten, haben sich beim Turnen absichtlich zurückgehalten, um weniger zu schwitzen.

Auch eine Turnlehrerin an einer oberösterreichischen Hauptschule erzählt: "Bei uns in der Schule gehen die Kinder nach dem Turnen nicht duschen—weder die Burschen noch die Mädchen. Die schämen sich einfach total voreinander, weil in dem Alter alles zu wachsen anfängt und sich verändert. Die sprühen sich lieber Deo über ihren Schweiß. Und dazu zwingen dürfen wir sie auch nicht—da würden wir am nächsten Tag in der Zeitung stehen."

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Ich war schon einige Male mit guten Freundinnen auf Urlaub, vor denen mir eigentlich nichts zu blöd ist. Sie kennen mich schwitzend, verkatert, besoffen, traurig und gut gelaunt, wir reden wahrscheinlich erschreckend oft und ziemlich detailliert über unsere Verdauung und trotzdem haben sie diesen Sommer das erste Mal meine Brüste gesehen. Nach ungefähr zehn Jahren gemeinsam Zelten, Baden, Urlaub und beieinander übernachten, in denen ich mir lieber in einem komplizierten Akt ein Oberteil gleichzeitig aus- und ein anderes angezogen habe, anstatt mich einfach ganz normal umzuziehen, ist dieser letzte Rest des Schamgefühls endlich von uns abgefallen.

Irgendwie klingt das, als wären wir alle miteinander ziemlich verklemmt. Ich für meinen Teil habe mir einfach nur Gedanken darüber gemacht, was sie von mir denken, ob und wie sie mich beurteilen und war mir erst auch nicht sicher, ob sie sich durch meine Nacktheit nicht gestört fühlen würden—auch wenn diese vielleicht nur wenige Sekunden dauert. Und das, obwohl mir meine Mutter den offenen Umgang mit dem eigenen Körper von klein auf vorgelebt hat.

Ich glaube, dass man schon als kleines Mädchen gewissermaßen eingetrichtert bekommt, dass man bestimmte Körperteile lieber so gut wie möglich unter Verschluss halten sollte—vor egal wem. Früher hatte ich den Eindruck, dass Burschen in dieser Hinsicht ein anderes Selbstverständnis vermittelt wird. Verallgemeinern lässt sich hier wohl kaum.

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Frauen, die gerne mal breitbeinig sitzen oder aufreizend angezogen sind, ganz offen mit ihrer Weiblichkeit und ihrer Sexualität umgehen und nicht so tun, als wäre der weibliche Körper ein mystischer Tempel, der zu allen Tages- und Nachtzeiten nach Rosen duftet und dessen Anblick nur für wenige vorbehalten ist, werden oft verurteilt. In den Augen vieler Menschen gelten sie noch immer als Schlampe oder zumindest als verzweifelt.

Wenn ich mich unter meinen Freundinnen umhöre, bekomme ich verschiedenste Meinungen zum Thema zu hören. Eine davon ist selbst wohl das Gegenteil von schüchtern und kennt nur wenig Scham vor Menschen, denen sie vertraut ist—egal, ob Mann oder Frau. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre so ungezwungen und offen wie sie. Aber auch sie musste sich ihre Offenheit selbst antrainieren. Ich merke, dass ich mit zunehmendem Alter immer mehr darauf scheißen kann, was andere zu meinem Körper sagen oder wie wohl sie sich fühlen, wenn ich mich vor ihnen aus- oder umziehe. Sich von den Dingen, die andere eventuell, vielleicht und unter Umständen über einen denken könnten, einschränken zu lassen, ist einfach nur idiotisch—das weiß ich jetzt.

Es mag schon sein, dass mein Schamgefühl Opfer meiner Sozialisation als Frau sind, die voll von Klischees ist und kleine, süße Mäuschen aus uns machen will, die sich bis zu ihrer Hochzeitsnacht verstecken. Dennoch will ich das nicht mehr länger als Ausrede für etwas verwenden, das ich eigentlich gerne ändern möchte. Vielleicht trefft ihr mich demnächst ja mit ein paar Freundinnen am FKK-Strand, wo unsere bleichen Busen zum ersten Mal das Licht der Sonne erblicken.


Titelfoto: unsplash.com | CC0