Dein Bild von Menschen mit Asperger-Syndrom ist falsch

Der Autor, links im Bild, macht einen sozial durchaus kompetenten Eindruck

“Du siehst gar nicht so aus, als hättest du Asperger.”

Diesen Satz höre ich oft. Und damit ist eigentlich auch schon jegliches Verständnis im Keim erstickt. Es ist der Moment, in dem ein Freund, ein One-Night-Stand oder sogar eine Partnerin erfährt, dass ich Asperger habe, und meint, besser über meinen Zustand bescheid zu wissen als die Menschen, die mich diagnostiziert haben.

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Oft ist es einfach nur solidarisch gemeint: “Hey, du gehst auch problemlos als das durch, was wir hier normal nennen. Gut gemacht!” Trotzdem zeigt es, dass man eigentlich nichts über die Störung weiß.

Jetzt, da die breite Masse über die Existenz von Asperger informiert ist, ist das Syndrom eigentlich komplett von diesem Klischee der sozialen Inkompetenz dominiert. Wenn jemand sagt, dass ich nicht so aussehe, als ob ich Asperger hätte, dann lese ich zwischen den Zeilen: “Alle Menschen mit Asperger-Syndrom sind zwischenmenschlich gestört, eigenbrötlerisch, zwanghaft und verdammt gut in Mathe, nicht wahr?”

Ich werde hier jetzt nicht haarklein aufzählen, was Asperger genau ist, denn VICE hat das bereits ganz gut gemacht. Stattdessen werde ich an dieser Stelle über die ganzen Missverständnisse und Vorurteile sprechen, die Menschen gegenüber dieser Störung haben. Der oben verlinkte Artikel stammt von 2012, eines hat sich seitdem geändert: Das Asperger-Syndrom wird heute nach der ICD 10—der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme—neben anderen Diagnosen wie frühkindlichem Autismus, atypischem Autismus oder dem Rett-Syndrom unter der Autismus-Spektrums-Störung (ASS) subsumiert. Dieser sehr allgemein gehaltene Begriff umfasst alles, was irgendwie mit Autismus zu tun hat. Zum besseren Verständnis belassen wir es aber bei der ursprünglichen Bezeichnung.

Ich bin furchtbar in Mathe und ich liebe es, unter Menschen zu gehen, auch wenn das unglaublich anstrengend für mich ist. Ich verbringe den Großteil des Tages nach so einem sozialen Event damit, zwanghaft über die 10.000 Dinge nachzudenken, die ich garantiert falsch gemacht habe und für die mich jetzt alle hassen. Während ich allerdings dort bin, habe ich eine ziemlich gute Zeit—solange ich jedenfalls nicht darüber nachdenke, dass ich irgendwas mache, wofür andere Menschen mich komisch finden könnten. Menschen mit Asperger-Syndrom sind unterschiedlich von der Störung betroffen, generell gelten wir aber alle als hochfunktional.

Das ist einer unserer Vorteile. Asperger zu haben, heißt nämlich ein großartiger Schauspieler zu sein. Menschen mit dem Syndrom entwickeln unterschiedliche Persönlichkeiten, die sie an verschiedene Situationen anpassen. Nach genug Übung sieht keiner von uns mehr so aus, als hätte er Asperger. Ganz ähnlich wie Depressive unter Menschen versuchen, fröhlicher rüberzukommen, eignen sich einige Menschen, die unter Asperger leiden, eine Persönlichkeit an, die ihnen dabei hilft, Freunde zu finden und einfach reinzupassen.

Auch wenn wir dadurch neue Freunde finden, bedient es leider nicht mal ansatzweise unser Bedürfnis nach Gemeinschaft, was ernsthafte Risiken mit sich bringt. Vielleicht bin ich auch einfach nur ein Arschloch, aber ich fand immer, dass das wirklich Schlimme am Leben mit Asperger-Syndrom nicht die zwischenmenschliche Ungeschicktheit ist, sondern dieses vernichtende Gefühl des “Andersseins”. Das bedeutet, dass du in einem Raum voller Menschen stehen kannst, die alle beteuern, wie gerne sie dich in ihrer Gegenwart haben, du dich aber trotzdem einsam fühlst. Man spricht nicht viel darüber, aber Depressionen und Asperger gehen oft Hand in Hand. Und genau das führte mich auch zu meinem ersten Selbstmordversuch.

Ich bin damit allerdings nicht allein. Je nachdem welche Studie du dir anschaust, sind 7 bis 15 Prozent der Menschen, die für Selbstmordversuche ins Krankenhaus eingeliefert werden, auch mit Autismus diagnostiziert. Das sind ziemlich viele, wenn man bedenkt, dass lediglich 1 Prozent der Menschen in Großbritannien, wo ich lebe, Autisten sind.

Es ist einfach unglaublich verstörend, wenn du merkst, wie Freunde, Familie und Kollegen sich von dir distanzieren, weil du irgendwelche sozialen Regeln gebrochen hast—vielleicht hast du auch jemanden beleidigt, ohne es zu merken. Du fühlst dich langsam immer weniger an manchen Orten willkommen, aber kannst nicht fragen, was falsch gelaufen ist, weil die Leute es dir einfach nicht sagen wollen. Weil du keine zwischenmenschlichen oder sozialen Signale lesen kannst, trägst du oft dieses komische Bauchgefühl mit dir rum, dass es ein Problem gibt, zur dessen Analyse dir allerdings die nötigen Werkzeuge fehlen.

Dieses ungute Gefühl führt dazu, dass Menschen mit Asperger-Syndrom von Selbstzweifeln geplagt sind. Wenn mir Asperger eine Sache beigebracht hat, dann dass mein Bauchgefühl oft daneben liegt. Wenn du Menschen darauf ansprichst, dass sie sich dir gegenüber irgendwie kühl verhalten, wird sie das nur weiter von dir wegtreiben, wenn sie sich überhaupt nicht kühl gegenüber dir verhalten haben. Das Schlimmste an der ganzen Sachen ist, dass ich, auch wenn ich die soziale Kompetenz eines Kleinkindes habe, oft genug merke, dass ich falsch verstanden werde. Gleichzeitig schaffe ich es aber nicht, die Situation zu lösen oder mich auszudrücken. Ich bin immer wieder ratlos, warum Freunde nicht mehr mit mir abhängen oder reden wollen. Das gilt in unterschiedlicher Ausprägung für unterschiedliche Menschen, aber viele Freunde mit Asperger-Syndrom haben mir schon Ähnliches berichtet.

Tatsächlich sagte eine Freundin zu mir, dass es ihr nur möglich ist, mit dem unsichtbaren und unausgesprochenen Druck der Gesellschaft klarzukommen, wenn sie “einfach aufhört, sich darum zu scheren, was jemand über sie denkt”. Einfacher gesagt als getan.

Aber auch wenn Menschen mit Asperger langsam damit kämpfen, diese ungeschriebenen Regeln zwischenmenschlichen Zusammenseins zu verstehen, sind es Figuren der Popkultur wie Sheldon Cooper von der unlustigen Big Bang Theory oder Ryan Goslings supercoole und superbrutale Rolle in Drive, die diese Klischees verbreiten. Ein Leben mit Asperger-Syndrom ist viel mehr als das, aber soweit ist das alles, was wir als Repräsentation erfahren.

Es wäre schön, wenn sich die popkulturelle Darstellung von Asperger weniger auf das Abgreifen billiger Lacher und mehr auf die andere Seite des Syndroms konzentrieren würde: das erhöhte Risiko einer psychischen Erkrankung, lähmende Selbstzweifel und auch das unangenehme Thema des erhöhten Selbstmordrisikos. Das Wichtigste, was man bei der ganzen Sachen bedenken sollte, ist, dass wir alle verschieden sind—und das gilt für die Darstellung in Filmen und Serien genau so wie für die Freundschaft mit uns sonderbaren und mythischen Asperger-Geschöpfen. Und wir alle tun unser Bestes, um in diesem Leben zurechtzukommen.