Was du mit 1.500 Euro anfangen solltest, wenn du sie plötzlich überhast

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Ich hatte mir Goldbarren vorgestellt. Oder schwarze Kreditkarten, die auf einmal in meinem Briefkasten liegen würden. Es war dann aber nur eine Mietkautions-Rückzahlung, die plötzlich auf meinem Konto lag, neben ein paar Gehältern, die ich nicht komplett ausgegeben hatte und auch nicht ausgeben musste.

“Warum hast du denn so viel Geld auf dem Konto?”, fragte eine Freundin mich, als ich meine Banking-App neben ihr öffnete, und mit “viel” meinte sie wahrscheinlich, dass es mehr Geld war, als man für ein bis zwei Monate Überleben in Berlin benötigt. Es hätte auch eine Steuernachzahlung sein können, ein kleines bisschen Erbe oder ein großes Geburtstagsgeschenk: 1.500 Euro. In jedem Fall wusste ich nicht, wohin damit.

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Was ich aber natürlich weiß ist, dass das Geld auf meinem Konto seinen Wert verliert – also, dass die Dinge, die ich mir heute für 1.000 Euro kaufen kann, in einem Jahr wahrscheinlich 1010 Euro kosten. Wer spart, verliert, weil es Inflation gibt, so viel versteht jeder, der sich an eine Kindheit erinnern kann, in der eine Kugel Eis 70 Cent und nicht 1,50 Euro kostete. Aber wenn das so ist, warum mache ich dann nichts mit dem Geld? Ich könnte ja die Wellen des Kapitalismus reiten, Aktien kaufen, Goldbarren, sogar sehr kleine Anteile an Immobilien wären drin. Oder ich könnte eben in den Urlaub fliegen, einen Monat lang, in ein für mich günstiges Land, und dort jeden Tag essen gehen.

Urlaub kam mir unvernünftig vor, Aktien lächerlich. Würden mich die Aktienverkäufer nicht auslachen, wenn ich mit meiner verhältnismäßig winzigen Geldsumme ankomme? Gibt es überhaupt den Beruf “Aktienverkäufer”?


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Ich verstehe von Geld etwa so viel wie von Holz: Ich weiß, dass viele Dinge daraus gemacht sind, nur einen Stuhl bauen oder den Kapitalmarkt erklären könnte ich im Leben nicht. Mit 25 geht das Leben heute so: Wir brauchen keine Einfamilienhäuser, wir wohnen zur Miete und ziehen sowieso alle zwei Jahre um. Wir brauchen keine Autos, wir haben Carsharing. Wir sammeln nichts, weil Marie Kondo alles aussortiert hat. Und über Altersvorsorge sprechen wir erst gar nicht – warum auch, wenn sie erst in 40 Jahren zum Problem wird?

Aber jetzt war das Geld eben da. Vielleicht braucht es Bewegung, dachte ich.

“Vertrauen Sie niemandem!”, sagt das Internet. Also frage ich einen Finanzberater

Bei meiner ersten Google-Suche nach Geldanlage-Möglichkeiten werde ich panisch. Alle Internetseiten mit Finanztipps sehen aus, als wären sie zum letzten Mal in den 90er Jahren vom Programmierer-Großneffen eines gemeinen Internet-Aktienbetrügers optisch überholt worden. Die Texte, die daneben stehen, haben den Charme von Spam-Mails: “Vertrauen Sie niemandem!” steht da, “Streuen Sie ihr Geld”, aber “Seien Sie nicht zu scharf auf Rendite!” Ich soll riskieren, aber bloß nicht zu viel, mich beraten lassen, aber niemandem glauben. So wird das nichts.

Ich rufe Stefan Loipfinger an, weil er ein Buch geschrieben hat, das “Achtung, Anlegerfallen” heißt. Loipfinger rät mir erstmal davon ab, Goldbarren zu kaufen: “Das ist nur was für Leute, die mindestens fünfstellige Beträge zur Verfügung haben und der Währung nicht vertrauen.” Hauptsächlich seien das Rentner. Außerdem sollte ich Aktien nur kaufen, wenn ich damit leben kann, mein Geld für mehrere Jahre abzugeben, und ich müsste ertragen können, dass es in dieser Zeit auch mal weniger wird.

ETFs – eine sichere Anlage! Aber ich bin mir trotzdem nicht sicher

Meine erste Erinnerung ans Geldanlegen ist der Weltspartag in der winzigen Sparkassen-Filiale, neben der wir wohnten. Wie alle Kinder aus der Wohnsiedlung trug ich an diesem Tag stolz meine Spardose zur Sparkasse, ließ die Münzen in einen ratternden Zählautomaten fließen, der Mann hinter dem Tresen überreichte mir ein laminiertes Heft und ein Eisbär-Kuscheltier mit einer roten Schleife. Das Heft war ein Sparbuch, auf dem nun 30 Euro lagen.

Obwohl der Finanzexperte Stefan Loipfinger eigentlich nichts empfehlen will, empfiehlt er mir dann doch etwas: ETFs. Das ist eine Abkürzung für exchange traded fund, aber auch das hilft mir nicht dabei, genau zu verstehen, worum es geht. Man muss es sich wohl so vorstellen: Man kauft gleichzeitig viele winzige Teile von vielen großen Unternehmen – zum Beispiel von den 30 größten Deutschen Unternehmen. Anstatt nur eine Aktie zu haben, hat man dann jeweils einen kleinen Teil von mehreren Aktien. Das bedeutet: weniger Risiko, weniger Aufwand, weniger Gebühren – weniger Kapital, das man investieren muss. ETFs sind quasi das Spotify des Geldanlegens: alles drin, aber trotzdem recht unverbindlich.

Auf der Website meiner Bank finde ich so einen ETF, in den ich erstmal nur 40 Euro investieren müsste. Das Kaufen selbst kostet nichts, die Bank nennt das “0-Euro-Angebot”. Irgendwie fühlt es sich falsch an. Ich hatte gedacht, dass man beim Investieren jemandem gegenüber sitzt, der Kaffee kocht, verständnisvoll lächelt und mit seiner Stiftspitze auf Worte in Verträgen zeigt. Aber: “Ein Bankberater würde Sie wahrscheinlich auslachen, wenn Sie mit 1.000 Euro ankommen”, hatte Stefan Loipfinger mir gesagt. Der Berater bekommt schließlich auch Geld fürs Beraten – und verdient ziemlich sicher mehr als ich.

Also gebe ich auf der Bank-Website an, dass ich keine Erfahrung mit Wertpapierhandel habe, tippe meine Mail-Adresse ein und bestätige, dass ich am Prämienprogramm teilnehmen will. Das Erwachsenenleben kommt mit sehr hoher Usability.

Dann kommt die Unsicherheit.

Kurz bevor ich auf den “Depot eröffnen”-Button drücke, läuft meine Zukunft in meinem Kopf ab. Und alles, was darin schief gehen könnte. Ich weiß, dass es nur um 1.500 Euro geht. Ich weiß, dass das eigentlich nichts ist. Aber was passiert, wenn ich in drei Jahren während der Finanzkrise meinen Job verliere, wenn die Aktienmärkte crashen und ich keine Goldbarren habe, dafür aber ein Depot, das ich nicht kapiere? Was, wenn ich mir dann gerne Essen kaufen möchte oder einen warmen Pullover, aber meine Aktien sind inzwischen wertlos geworden?

Lieber in den Urlaub fliegen als im Finanz-Haifischbecken schwimmen

“Mit Mitte 20 muss man lernen, finanziell unabhängig zu werden”, sagt Jörg Oehmig. Ich habe ihn angerufen, weil er Teil des Vereins “Netzwerk faire Finanzexperten” ist und ich den Namen vertrauenswürdig fand. Seine Empfehlung gefällt mir: Er sagt, dass es okay sei, wenn ich das Geld einfach auf meinem Konto liegen lasse. “Wenn man spart, dann kann man sich davon Zeit kaufen, einen Jobwechsel, eine Pause. Erst, wenn die Reserve größer wird, lohnt sich anlegen. Und dann sollte man nur das tun, was man auch versteht.”

Wer spart, der verliert zwar ein bisschen was. Aber wer anlegt, der verliert im Zweifel auch: Auf dem Aktienmarkt wäre ich ein kleiner Guppi in einem Meer voller fetter Finanzhaie. Auf meinem Konto bin ich nur ich selbst mit ein bisschen Geld, das dort liegt, zur Sicherheit und für plötzliche, große Wünsche.

Neben der Sparkasse in meinem Heimatort war ein Spielzeugladen. Im Schaufenster beobachtete ich über Wochen hinweg eine Hasen-Kuscheltier-Familie, die meine Eltern mir nicht kaufen wollten. Ein Mutterhase und drei Hasenbabys. Ein paar Wochen hielt ich durch. Dann löste ich mein Sparbuch auf und befreite mit dem Geld die Hasenfamilie aus dem Schaufenster. Sie verstanden sich prächtig mit dem Weltspartag-Eisbären. Ich hatte 30 Euro verloren, aber fünf Freunde gewonnen. Man könnte sagen, dass das die erste Investition meines Lebens war.

Ich will viel lieber die Welt sehen, anstatt in Weltmarkt-Aktien zu investieren. Es fällt mir viel leichter, 1.500 Euro für eine übertriebene Fernreise auszugeben, als sie in ein Depot zu legen – obwohl sie mir dort ja weiterhin gehören würden. Kann sein, dass das idiotisch ist. Und es ist sicher nicht, was Jörg Oehmig meinte, als er sagte, ich solle mir mit dem Geld Zeit und Unabhängigkeit ermöglichen; aber ich habe Flüge in die Karibik gefunden, für 900 Euro, und es kommt mir gar nicht mehr so unvernünftig vor.

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