So geht es wirklich bei österreichischen Radiosendern zu

Ein Praktikum. Für meine Generation, die sich quasi mit diesem Berufsstatus schmückt, ist es der womöglich erfolgversprechendste Abschnitt in einem Lebenslauf – neben der mittelmäßigen Matura-Note und dem nicht so aussagekräftigen Ferialjob in irgendeiner Agentur. Also musste ein möglichst cooles Praktikum her. Ich habe herausfinden wollen, wie es ist, einer dieser Menschen zu werden, die mich jeden Morgen mit einer unglaublich guten Laune aus dem Frühstückstisch-Halbschlaf reißen.

Da man meistens klein anfängt, ist die erste Anlaufstelle der kleine, private Radiosender, den ich dank meiner intensiven Praktikumssuche im Internet kennengelernt habe. Da ich mich selbst mit den ach-so-einzigartigen Attributen neugierig, leidenschaftlich, kreativ bezeichnet hätte und auch nicht wirklich was dagegen hatte, jeden Tag zwischen halb vier oder halb fünf Uhr morgens aufzustehen, bewarb ich mich. Dass ich aber ebenfalls bereit sein muss, für umgerechnet einen Mitleids-Euro pro Stunde mehr als 40 Stunden pro Woche, einen Großteil meiner Seele zu verkaufen, stand natürlich nirgendwo. Im Endeffekt glich mein Ausflug in die Radiowelt einem ersten Besuch in einer Dorfdisco. Aber falls auch du einen Blick hinter die Kulissen riskieren möchtest, dann sei vor den folgenden desillusionierenden Einblicken gewarnt.

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Eine Musikrotation, so nervig wie die Cantina Band

Die meisten Menschen schalten das Radio ja wegen der Musik ein. Auch ich habe mich deshalb gefreut, diese klugen Köpfe sind kennenzulernen. Schließlich stellen sie tagtäglich die angeblich meiste Musikmischung zusammen, um die treuen Hörer-Ohren zu verwöhnen. Zu meiner Ernüchterung sitzt die 0815-Musikredaktion von heute in einer kleinen Hütte, in der sie tagtäglich Pläne schmieden, wie sie ihre Wut auf die Entwicklungen der Musikwelt durch eine symbolische Folterung in Form einer Hot Rotation zeigen können. Wer länger als die durchschnittlichen 20 Minuten pro Tag Radio hört – und das wirst du – der kann schon am ersten Tag erraten, welche Lieder gerade die Charts anführen. Wenn du also mal ein paar Minuten – und das wirst du never – Freizeit hast, empfehle ich, daraus ein Ratespiel zu machen.

Bei mir kam irgendwann der Moment, als ich vor lauter Verzweiflung die Lieder sogar mitgesungen habe. Ich konnte sie in- und auswendig. Begleitet wurde dieser Anflug des Wahnsinns von einer inneren Wut, weil die nervig verzerrten Stimme mir fünf Mal pro Tag erzählt hat, dass “Musik ihr bester Freund ist” und ich am liebsten gefragt hätte, warum das immer noch keiner Rosie erzählt hat. Ich habe fast geweint als ich feststellen musste, dass David Guetta auch nach dem Ende der EM in Frankreich immer noch seine Knöpfe “für uns” drückt. Wenn du auch zu diesem Punkt gelangst, dann kennst du die Charts von heute. Glückwunsch. Du kannst dir dann auch sicher sein, dass irgendwelche Leute, die bei diesen berühmt-berüchtigten Hörerbefragungen am Telefon wieder nicht die waren, die ihre Aufgabe ernst nehmen.

Foto via Flickr | Richard Topalovich | CC BY 2.0

Eigentlich verstehen die meisten Leute, die als Musikredakteur beschäftigt werden, nämlich etwas von guter Musik. Nur müssen sie der Zielgruppe und besonders dem Programmchef geben, was sie wollen. Und das ist meistens schlechte Musik. Nicht jeder versteht die harte Aufgabe, der sich ein Musikredakteur stellen muss. Während der Hörerservice eigentlich nur immer nachfragt, ob man nicht doch einmal “Die immer lacht” spielen kann, müssen musikaffine Hörer mit dem Satz “Das Lied haben wir leider nicht im Programm” abgespeist werden. Auch in der sogenannten Wunsch-Show hat Kreativität keinen Platz, schließlich ist die Liste mit Liedern, die sich ein Hörer für diese zwei Stunden wünschen kann, eh nur auf zwei Seiten Chart-Songs begrenzt.

Zu meinem Entsetzen habe ich auch festgestellt, dass die meisten Hörer aber total zufrieden mit dem normalen Musikprogramm sind. Selbst, wenn man ihnen die Möglichkeit eingeräumt hat, verlief ihr Horizont nur bis an den Rand der dritten Chart-Platzierung. Meistens musste ich mit ihnen am Telefon noch raten, wie der Song überhaupt heißt – und das obwohl er schon seit vier Wochen gefühlt fünftausend Mal die Stunde angesagt wird. (“Das ist so eine Frau, die singt sowas mit ‘day’ und das Lied ist urtraurig” oder “könnt ihr mal wieder was von Robin Schulz spielen, das lief schon lange nicht mehr” – doch, vor zehn Minuten und in zwei Minuten wieder und sowieso, wieso hörst du nicht zu?!). Wenn du also Wunschsongs aufnehmen sollst, wirst du dir immer wieder die gute, alte Cantina-Band ins Gedächtnis rufen: Den selben Song nochmal? Den selben Song nochmal!

News oder auch: “Alles muss raus!”

Nicht jeder hat den Luxus, ein mehrköpfiges Reporterteam á la Wallraff in die weite Welt hinauszuschicken, um sie für uns verständlicher und transparenter zu machen. Für den Rest blieben also ich – der übermotivierte Praktikant. Das Beste aus dem WorldWideWeb oder die sorgfältig vorbereiteten Pressemitteilungen irgendwelcher Charity-Veranstaltungen, die eigentlich keinen interessieren, aber für die es mit Sicherheit immer einen verfügbaren Interviewpartner gibt.

In den sehr knapp bemessenen ein bis zwei Minuten, in denen man die Hörer aus der Hot-Rotation-Hölle holt, wird dann oft ein Bild geschaffen, das ich nur allzu gut aus diversen Reality-TV-Formaten kenne: Da eine nicht-kenntlich gemachte Produktplatzierung, geschickt aufgehübscht als Nachrichtenmeldung. An anderer Stelle ein überdramatisierter Unfall auf der Straße, bei dem sogar ein Schutzblech (!!) abgefallen ist oder auch einfach das, was man eh gerade bei der Konkurrenz für gut befunden hat und einfach abkupfert.

Die Auswahl ist groß, die Zeit aber zu knapp, um wirklich ein qualitativ-hochwertiges Programm zu liefern. Da die Hörer aber sowieso nur mit einem halben Ohr zwischen Brotkrümeln, Autokarawanen oder der abendlichen Einshampoonierungs-Phase zuhören, fällt das sowieso nur dir und deiner Redaktion auf. Ich habe ziemlich eindrucksvolle Schauspiel-Darbietungen für den zu füllenden Sendeplatz geliefert und bin mir sicher, dass es keinen gibt, der mich in meiner Paraderolle als Konrad oder Harald entlarvt hat. Ja, die sogenannten “Hörer” sind eigentlich meistens Leute vom Radio selbst. Sorry to tell you.

Der/Die Sendeplatz-“PraktikantIn”

Sie alle beginnen mit diesen seltsam leuchtenden Augen, wenn sie zum ersten Mal die heiligen Hallen des Frequenzwahnsinns betreten. Auch ich habe diese naiven Wesen im fortgeschrittenen Stadium meines Praktikanten-Daseins mit offenen Armen empfangen und mir gewünscht, dass sie nicht wie die letzten fünf Praktikanten davor komplett unbrauchbar sind. Weil keiner Zeit hat, darf man die übermotivierten Praktikanten selbst einarbeiten. Ich habe mich ehrlich gesagt gefreut, als ich sie mit dem Aufnahmegerät in der Hand zu Pressekonferenzen geschickt habe. Ich hatte irgendwann auch keine Lust mehr, mich mit den Wichtigtuern der anderen Sender um die Gratishäppchen zu streiten (Das ist nämlich das einzig Spannende an den Monologen, die man sich da zumuten muss). Eigentlich hatten wir viel gemeinsam. Nämlich aus der Studienbezeichnung “Irgendwas mit Medien” später mal den Beruf “Irgendwo beim Radio” zu machen. Am besten als ModeratorIn oder AußenreporterIn.

Unsere Träume wurden irgendwo ja auch erfüllt, denn wir haben unsere eigenen Stimmen öfter im Radio gehört, als uns lieb war. Beispielsweise als Sandra, die besorgte Mutter, die ihr Kind nicht mehr ins Schwimmbad lassen will oder als Wolfgang, der aufgeregte Opa, der die einfache Frage beim Gewinnspiel nicht beantworten kann.

Utopie. Es gibt kaum noch Leute die das Radio noch sooo lieben. Foto via Flickr | xXlyzzimarieXx | CC BY 2.0

Für die meisten Redakteure waren wir vergleichbar mit Briefgold. Sie machen das Gold – in Form des Potenzials ihres Praktikanten – zu ihrer Bezahlung. Für uns blieb nach einem fast anerkennenden Nicker ja immerhin der Mitleids-Euro. Ich glaube, dass wir besonders für die kleinen, nervigen Alltagsbelange eine große Unterstützung waren. Meinungsumfragen zu dem unwichtigen Superstar X mit seinem Skandal Y beispielsweise. Oder die langweiligen Pressekonferenzen von einem Geschäftspartner, wo man anwesend sein sollte, zu einem Thema, das niemanden interessiert. Schließlich hatten die Redakteure meistens besseres zu tun – beispielsweise lustige Tierbildchen im Netz suchen.

Auch steinalte Witze und Musikwünsche, um die Sendung zu füllen, sind ein hauptsächlicher Bestandteil unserer Arbeit gewesen. Gelobt wird der, der nach dem fünften täglichen Interview mit irgendeinem Pressesprecher und der Acht-Stunden-Beschallung von Schulz-Seiler-Speer-Guetta sein Lächeln noch nicht verloren oder sich freiwillig vom Gesicht gerissen hat.

Gewinnspiele – NSA für Dummies

Und die Frage lautet: Wie geht man mit den persönlichen Daten von Hörern um? A) Vertrauensvoll und nur für den Zweck, den sie angegeben haben oder B) Man mästet sie solange in einer Excel-Tabelle, bis du hinter ihren Namen: “Bitte nicht mehr anrufen!”, schreiben musst, weil entweder du oder der arme, neue Praktikant nach dem verzweifelten Versuch, den Sendeplatz mit einer richtig echten Hörermeinung zu füllen, verstört aus der Anrufer-Kabine kommt.

Im kleinen, schwarzen Handbuch eines jeden Radioredakteurs sollte eigentlich vermerkt sein, dass Gewinnspiele der wahre Garant für eine Vielzahl von vertraulichen Daten sind. Jeden Tag kündigt der Moderator mit einer antrainierten Glücksfee-Stimme das supereinfache Fragequiz an. Der Hörer ist nur eine Telefonnummer von seinem persönlichen Glück entfernt – denkt er zumindest. Doch irgendwann klingelt das Telefon plötzlich öfter als zuvor. Fast wöchentlich haben wir unsere treuen Hörer und Gewinnspielteilnehmer angerufen, um sie um noch eine Meinung, noch einen Musikwunsch, noch einen Witz zu bitten. Teilweise sogar, was sie am Wochenende machen oder mit ihrem Gewinn angestellt haben. Also Sachen, die uns rein gar nichts angehen, aber die Sendung füllen. Was als bloßes Eintippen von Zahlen und dem kleinen Traum von ein bisschen Taschengeld anfing, endet dann mit Telefontyrannei auf beiden Seiten. Meine abgedroschenen Phrasen, halb-akustische Kniefälle und fakefreundliche Stimme wurden für mich selbst zur Belastung.

Irgendwann bin ich nur noch mit schlurfenden Schritten in die Telefonkabine gegangen. Mit dem antrainierten Grinsen im Gesicht habe ich wie jeder gute Animateur meine Hörer für den bekannten und marketing-technisch bedeutungsvollen Gewinn-Aufsager motiviert: “Und jetzt sagen Sie noch einmal: “Hallo, hier ist die/der [Name einer Person, die definitiv nicht zu gewünschten Zielgruppe von 14-49 Jahren gehört] und ich habe heute bei [unbedingt muss der Sender erwähnt werden] einen [lächerlich geringen] Beitrag gewonnen. Ich freue mich riesig und werde damit [die meisten gehen eh shoppen].”
Das habe ich dann mindestens noch drei Mal wiederholen müssen, weil es zu schnell war, der falscher Sender genannt wurde (ja, die Leute wissen nicht nur erstaunlich wenig über Songtitel, sondern auch über die Radiosender, die sie gerade hören) oder keine euphorische Stimmung rüberkam. Danach habe ich mir irgendwann die Strategie zurechtgelegt, dass man Gewinner auch am Besten gleich noch fragt, ob sie sich nicht auch den neuen Guetta-Song wünschen möchten und den Witz, den man sich vorher selbst rausgesucht hat und ihnen zuerst vorträgt, nochmal nachsprechen kann – ja, auch Witze kennt heutzutage kein Mensch mehr. Außer sie sind rassistisch, sexistisch oder beides.

Dieser Artikel ist absolut desillusionierend und ein Heartbreaker. Nicht nur, dass du als PraktikantIn Hörer verarschst, sie wollen sich auch verarschen lassen. Vielleicht ist dir das Gesicht genauso eingeschlafen wie den Menschen von RTL nach Böhmermanns #verafake. Aber wer “Irgendwas mit Medien” machen möchte, der muss an irgendeiner Stelle auch verstehen, wie sie arbeiten und was die Hörer wirklich wollen (sollte ja keinen, der das studiert, wirklich davon abhalten) – zumindest manche von ihnen.

Das sollte dich aber keinesfalls abschrecken, denn während du jetzt weißt, dass niemals dein Lieblingssong einfach so gespielt wird und wie nervig das Excel-Daten-Karussell wirklich ist, wirst du trotzdem ziemlich viel lernen. Zum Beispiel, wie viele Unfälle tagtäglich auf der A23 passieren. Nein, du wirst auf jeden Fall mehr ausprobieren dürfen, weil die unterbesetzte Redaktion auf dich angewiesen ist. Ob du wirklich genug Nerven für das Radio hast, kannst du dort am besten herausfinden. Beim nächsten Mal wirst du vielleicht auch ein Praktikum erwischen, das dir zumindest ein bisschen Vertrauen in die Hörfunk-Welt zurückbringt. Nicht jeder arbeitet so. Aber wenn dich deine Praktikumsstelle diesem Wahnsinn aussetzt, dann bist du zumindest schon einmal vorgewarnt.

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