Hipster sind die Nickelback-Fans der Lifestyle-Gesellschaft. Jeder hasst sie, niemand würde sich freiwillig selbst dazuzählen, irgendwo scheinen sie ja nun aber doch zu existieren, sonst würde das wohl meistbemühte Feindbild der Internet-Community nach dem Arschlochjungen aus Game Of Thrones nicht ständig ein Thema sein. Fler, der gutdeutsche Heintje der Raplandschaft und mit seinen Songthemen immer haarscharf am Puls der Zeit vorbei, bringt mit seinem neuem Musikvideo Klarheit in das kulturelle Mysterium. Solltet ihr fälschlicherweise der Annahme sein, dass es sich hierbei um weitere stumpfe Phrasendrescherei auf einen generisch-dramatischen Beat mit Ghetto-Schwarz-Weiß-Optik handelt: Keine Angst, wir erklären euch was Fler wirklich meint.
Mit dem Wort „White“ (zu Deutsch: „weiß“) und dem hierzulande weit verbreiteten Namen „Frank“ konterkariert Fler all seine Kritiker, die ihm unreflektierte Deutschtümelei auf Stammtisch-Niveau vorwerfen.
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Nur Sekunden später folgt das nächste versteckte Symbol, mit denen das Ausnahmetalent aus Berlin-Schöneberg allen Hatern sagen möchte: „Nein, ich biedere mich mit meiner Sarrazin-Lobhudelei in der Bild nicht rechtsradikalen Käufergruppen an, weil die Rapszene mich nicht mehr haben will! Aber dann gebe ich euch eben, was ihr wollt.“ „Hipster Hass“, HH, Heil Hitler—Dan Brown hätte nicht cleverer vorgehen können.
„Ich wäre auch gern ein Hipster, doch mein Kreuz ist zu breit“—mit klaren Worten spricht Fler das Mobbing an, dem tausende Berliner Kinder auf dem Schulhof von Hipster-Kindern ausgesetzt sind, und gewährt dabei tiefe Einblicke in sein Seelenleben. Schönheit kommt in allen Farben und Formen, diese Feststellung ist dem Rapstar wichtig.
Mit MC Fitti Maske überfällt Fler eine Aral Tankstelle—nur im ersten Moment eine vermeintlich zusammenhanglose Darstellung von als maskulin angesehener Beschaffungskriminalität. In Wirklichkeit handelt es sich bei den Worten „Aral“ (mehrfach im Bild) und „NEFF“ (zu sehen auf der Cap des Räubers) um Anagramme. Lara, so die erste große Liebe des jungen Fler, verließ ihn für seinen Schulkameraden Fefn, weil der schon mehr Bartwuchs hatte. Ein Vorfall, der den Musiker fürs Leben prägte, ein sprichwörtlicher „Schuss ins Herz“.
Auffällig ist bei diesem Part des Songs allerdings, dass MC Fitti als „fettes Schwein“ bezeichnet wird. Ein Paradoxon, erklärte Fler doch kurz zuvor, dass selbst er zu kräftig sei, um ein Hipster zu sein. Deutlich klarer gestalten sich die darauf folgenden Szenen, in denen Flizzy (denn so nah fühlen wir uns ihm und seiner Gedankenwelt schon) sich dem auch biblisch sehr relevanten Thema Gut und Böse zuwendet.
„Gut“ sind Menschen, die anpacken, unsere Wirtschaft und Gesellschaft sprichwörtlich „nach vorne“ bringen (hier symbolisiert durch den Traktor-Reifen, denn die Landwirtschaft ernährt uns alle).
„Böse“ sind Personen, die sich über Hochkultur austauschen und Interesse an den schönen Künsten zeigen. Der Sündenpfuhl Rom ist schließlich auch untergegangen.
Immer wieder zeigt Fler, dass er kein Konformist ist. Er denkt auch außerhalb von Parkmarkierungen und personifiziert sich in dieser Szene viel mehr mit dem schlecht geparkten Auto als seinem eigenen Körper.
Bei der Interpretation dieser Einstellung sind wir uns zugegebenermaßen nicht ganz sicher.
Nachdem mehrere Bilder zum besseren Verständnis wiederholt werden (beispielsweise Fler als körperlich fitter Mann, der auch selbst in der Lage wäre Reifen zu rollen, es aber nicht nötig hat, das zu beweisen), wird es erneut tiefenpsychologisch. Ein Maschendrahtzaun, ein tränenverschleierter Blick—der Junge, der nicht in die Skinny Jeans passt, denn diese Rolle übernimmt er in dieser Szene erneut—kann auf der anderen Seite die Sekt trinkende und praktische Jutebeutel tragende Hipstermeute sehen, doch er kann mit seinen klobigen Turnschuhen nicht in die Maschen treten, um die Barriere zwischen ihm und den anderen zu überwinden.
Wir verstehen den tiefen Sinn des Songs: Fler hasst Hipster gar nicht. Er hasst sich selbst. Kann das aber natürlich nicht akzeptieren, denn er wird sich nicht los, also projiziert er seinen Selbsthass auf die Gruppierung, zu der er eigentlich am Liebsten gehören würde. Tief berührend.
An dieser Stelle entfernt sich die Kamera und lässt den Conscious-Rapper allein zurück. Sozial isoliert, sich seiner Andersartigkeit bewusst und doch stolz darauf, es irgendwie geschafft zu haben. Er ist Deutscher. Da wo er herkommt, bedeutet das noch etwas.
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