Sex

Was ich bei einem Workshop für weibliche Intimmassage über Männlichkeit gelernt habe

“Warum seid ihr hier?”, fragt Iva und trinkt einen Schluck aus ihrer weißen Teetasse. Ihre großen Augen verleihen Ivas Blick etwas Staunendes. Staunen werde aber vor allem ich an diesem Abend. Über “Höhlenforscher” und “Skilangläufe”, und darüber, was meine Hände alles anstellen können.

Draußen auf der Friedrichshainer Straße ist es dunkel und arschkalt; der Raum, in dem wir sitzen, soll Gemütlichkeit ausstrahlen: Teelichter und sternförmige Lampen werfen ihr Licht an die Wände, auf dem Fenstersims ruht ein steinerner Buddha. Im Raum liegen Matratzen und Kissen mit Bezügen, die aussehen wie die Mandalas, die man im Ethikunterricht ausmalen musste. Darauf verteilt: 16 unwissende Männer, die in zweieinhalb Stunden lernen, wie man eine Frau zum Orgasmus massiert. “Handwerksabend” heißt das Seminar, Iva bietet es auch für Frauen an. An diesem Tag müssen sie draußen bleiben, die Männer drinnen sind zwischen 20 und 60 Jahre alt – Künstlertypen in schwarzen Rollkragenpullis, einer trägt Pferdeschwanz, ein anderer Ohrring und Seitenscheitel. Keiner sieht so aus, als würde er wie ein Klassenstreber fingerschnippend nach dem Geheimnis weiblicher Ejakulation fragen, Iva wird es uns im Laufe des Abends dennoch verraten.

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“Warum seid ihr hier?”, fragt sie erneut.

Männer in Beziehungen sind mit ihrem Sexleben eher unzufrieden als Frauen, ergab eine Studie vor drei Jahren. Für die Männer im Raum scheint das allerdings nicht zu gelten, die meisten antworten, dass sie durch ihre Frauen auf den Workshop gekommen seien. Die hätten vorher das Seminar für männliche Intimmassage besucht. “Wir haben davon profitiert”, sagen sie. Jetzt wollen sie sich revanchieren.

“Eine Vagina ist wie ein Magic Wonderland!”, ruft Iva lächelnd. Sie macht eine Pause, nimmt den nächsten Schluck Tee, atmet aus, noch ein Schluck. Ich spüre noch nichts von Magie und frage mich, ob sie auch so ihre Kinder aufklärt. Neben Iva sitzt Britta, blonde, hochgesteckte Haare, goldener Lidstrich. Gemeinsam arbeiten sie als Sexologinnen und Tantramasseurinnen. Statt von Ehefrauen oder Freundinnen, reden sie von “Partnerinnen”, eine Intimmassage heißt bei ihnen “Session”.

Worte sind wichtig, denn im Workshop soll es nicht nur um Intimmassagen gehen, sondern auch um sexuelle Kommunikation. In der männlich geprägten Welt sei die Weiblichkeit verloren gegangen, sagt Britta. Statt sich Zeit zu nehmen, ginge es oft nur um schnellen Sex, den man sich auf Tinder oder im Nachtleben besorgt. Deshalb seien Werte wie Aufmerksamkeit, Langsamkeit und Zielorientierung wichtig. “Sexualität ist mehr als Rumficken. Es ist blissful. Wuuuh”, ruft sie und wackelt mit dem Oberkörper.

Um zu zeigen, was sie meint, sollen wir unseren Arm ausstrecken und kräftig reiben. “Richtig rubbeln!”, feuert Britta uns an. Ich rubble und zwirble meinen linken Unterarm, denke, dass es irgendwie etwas Kraftvolles hat, wenn sich 16 Typen kollektiv ihren Alltagsfrust von der Haut schrubben.

Britta fragt: “Was fühlt ihr?”

“Warm”, antwortet ein Typ.

“Haarig”, ein anderer.

Dann der andere Arm. Wir sollen die Augen schließen, streicheln, tasten, auch mal richtig zugreifen. “Schööön. Guuut”, haucht Iva. Britta sagt, das Armstreicheln sei wie “Liebemachen”. Der Großteil nickt zustimmend. Ein Typ lacht und sagt, er sei froh, dass seine Kinder ihn gerade nicht sehen könnten. Er erntet einen mahnenden Blick von Iva, der sich wie ein Dartpfeil zwischen seine Augen bohrt.

Britta verteilt nun gelbe Zettelchen und Kugelschreiber. Sie bittet uns, drei Synonyme für weibliche Genitalien aufzuschreiben, die wir beim Sex benutzen. Den stummen Startschuss gibt mein Nachbar, der anfängt, Unmengen auf seinen Papierfetzen zu kritzeln. Ich starre auf mein leeres Blatt, denke an die Dialoge vergangener Sexmomente, wühle mich durch Erinnerungen an Schulklos und Clubnächte – Pussy? Vagina? Fotze? Ich fühle mich wie der Drehbuchautor eines Billigpornos.

Einigen Männern scheint es ähnlich zu ergehen, sie wippen mit ihren Kugelschreibern wie Schüler bei einer Klassenarbeit. Nach zwei Minuten sammelt Britta die Zettel wieder ein und verteilt sie zufällig an die Teilnehmer. Wir sollen sie laut vorlesen. “Vagina”, “Muschi”, “Spalte”, “Clit”, “Kleine Prinzessin”, “Loch” und etwas, das wie “Bruschetta” klingt. Es ist das portugiesische Wort “buceta”. “Fotze” taucht auf fast jedem Zettel auf.

Jedes dieser Wörter klingt entweder wie ein medizinischer Fachbegriff, eine Beleidigung oder der verkrampfte Versuch von Eltern, ihre Kinder möglichst behutsam aufzuklären. Die Teilnehmer haben kein Problem damit, “Penis” oder “Schwanz” zu sagen. Geht es um weibliche Geschlechtsteile, mogeln sich einige aber durch und fragen stattdessen: “Wie ist das denn so bei euch Frauen?”

“Yoni” sei eine gute Alternative, sagt Iva. Der Begriff kommt aus der indischen Berührungslehre und kann sowohl weibliche Empfänglichkeit als auch Ursprung bedeuten. “Vaginen und Vulven sind so unterschiedlich wie Penisse und Hoden”, sagt Britta. Anders als viele Begriffe von unseren Zetteln beschreibt Yoni das gesamte weibliche Geschlechtsorgan. Für mich klingt es allerdings so erotisch wie ein Familienausflug auf eine Pornomesse.

Britta und Iva reichen zwei Beutel mit Yoni-Modellen herum. Die einen sind rot und wachsartig, sie erinnern nur grob an ein weibliches Geschlecht. Die anderen sind pinkfarben und sehen alle unterschiedlich aus, sie sind “arschteure Originalabdrücke”, sagt Iva. Die Modelle fühlen sich an wie eine seltsam realistische Mischung aus menschlicher Haut und Käsekuchen. “Zeigt mal!”, fordert Iva uns auf. Ich halte meine pinkfarbene Yoni hoch wie ein FBI-Agent seine Erkennungsmarke.

Iva reicht einen Stapel Merkblätter mit Massagetechniken herum. Neben den Bezeichnungen “Play the Bass”, “Die Katze streicheln” und “Skilanglauf” stehen kurze Anleitungen und ein weißes Feld für Notizen. “Könnt ihr euch laminieren”, sagt Britta. Das sei praktisch, wenn mal Wasser, Öl oder andere Körperflüssigkeiten drauf kommen. Ich versuche, mir vorzustellen, wie erotisch der Sex wäre, wenn eine laminierte Massageanleitung neben mir liegt – und scheitere.


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“Es geht ums Lernen”, sagt Britta, und vor allem geht es nun tatsächlich ums Massieren. Sie legt sich auf den Boden, atmet laut ein und aus. Zur Veranschaulichung will Iva an ihr zeigen, wie man “die Katze streichelt”. Sie nimmt ein Sitzkissen, hockt sich zwischen Brittas angewinkelte Beine, die in Leggings stecken. Die Männer bilden eine Arena um sie herum wie Touristen um einen Hütchenspieler am Ku’damm. Während Ivas Hand an Brittas Yoni ruht, referiert sie über Gebärmutterhaltegriffe, Lustbeinknochen oder den richtigen Druck bei Damm-Massagen.

“Britta, wie fühlst du dich auf einer Skala von 1 bis 10?”

“Mhmmm. 6, Iva. Super geil, da warme Hände zu haben.”

Iva streicht nun über Brittas Lusthügel, “bis dahin, wo die Lusthaare aufhören”.

“Wenn die Person wegdriftet, könnt ihr sie fragen, wo sie ist”, sagt Iva. Britta, die unter ihr liegt, fasst sich unaufgefordert an die Brust, sie ist vermutlich woanders. Ich auch, denn ich befinde mich in einer Art sexuellen Schockstarre, tausche betretene Blicke mit den anderen Männern aus und frage mich, ob es komisch ist, Iva länger als fünf Sekunden zuzuschauen, wie sie Brittas “Katze” streichelt.

Plötzlich dreht sich Iva zu uns rum und reißt mich aus meinen Gedanken, wir sollen die Übungen an den Modellen ausprobieren. Ich nehme eine pinkfarbene Yoni in die Hände, wiege, streichle, erkunde sie, als wäre sie die allererste Vulva, die ich zu Gesicht und in die Hände bekomme. Ein Typ zupft mit den Fingerspitzen an seiner Yoni, ganz wie ein Bassist, und schaut dabei auf den Merkzettel. Ein anderer fragt mich, ob wir Muschis tauschen wollen. Ich gebe ihm meine wortlos und probiere auf meiner neuen pinkfarbenen Yoni, wie man “die Blume öffnet”.

“Reden wir über den G-Punkt”, sagt Britta da und gibt einen weiteren Beutel herum. Ich nehme mir eine betongraue, etwa handlange Schaumstoffröhre heraus. “Geht mit einem Finger rein und erkundet die innere Yoni”, leitet Britta uns an. Ich stecke einen Finger in die Röhre und ertaste darin ein etwa münzgroßes Filzkissen, das den Schlüssel zur weiblichen Ejakulation markieren soll. Der G-Punkt ist kein Punkt, er ist eine G-Zone. “Jede Frau kann abspritzen”, sagt Iva . “Wenn sie sagt, sie müsse pinkeln, ist man auf dem richtigen Weg.”

Immer wieder fordern uns die zwei Tantramasseurinnen auf, neugierig zu sein und das weibliche Organ zu erforschen. Tantra habe viel mit Verehrung zu tun, erklären sie. Nur dass ich gerade eine Schaumstoffröhre verehren soll.

Ein anderer Kursteilnehmer scheint ebenso wenig ergriffen. “Das klingt ja alles sehr spirituell. Aber wie muss ich sie anfassen, damit’s schnell zum Akt kommt?”, fragt er. Sein Kumpel knufft ihn grinsend in die Rippen. Ich frage mich, ob er das auch in einem gemischten Seminar gefragt hätte.

“Du musst hören, was ihr Körper sagt”, entgegnet ihm Iva. “Du bist Begleiter, du folgst.”

Der Fragesteller notiert sich etwas auf seinem Merkzettel, ich selbst habe zum ersten Mal an diesem Abend so etwas wie eine Erkenntnis. Steckt hinter der Frage, wie man eine Frau schnell ins Bett bekommt, nicht ein grundlegendes Problem heutiger Männlichkeit? Viele Männer wollen Frauen die Klamotten vom Leib reißen, obwohl sie keine Ahnung haben, was darunter liegt. Wir wissen, wann wir bei Tinder nach rechts und links wischen, aber nicht, was der Unterschied zwischen Vulva und Vagina ist. Wir haben Sex, der sich oft um die eigene Ejakulation dreht, nicht um den weiblichen Orgasmus.

“Männliche Sexualität beschränkt sich auf schnellen ‘Go for it’-Sex”, sagt Britta, als könne sie Gedanken lesen. Grund dafür seien Pornokonsum und eine Machokultur. Deutsche Frauen schauen zwar auch Pornos, aber bei der größten Videoseite Pornhub machen sie gerade mal ein Fünftel aller deutschen Nutzer aus. Weibliche Sexualität sei viel langsamer, erklärt Britta: “Der Weg ist das Ziel.”

Nach knapp drei Stunden Sexualkunde und Gesprächen, wie frau am besten kommt, stehen die ersten Männer auf und gehen. Ohne nachzudenken, wie viele Vulven ich heute Abend angefasst habe, reiche ich Iva und Britta zum Abschied die Hand. Die Männer wollten zu Beginn wissen, wie sie sich bei ihren Frauen revanchieren können. Für einige hieß das zu erfahren, welche Knöpfe sie drücken müssen, damit sie möglichst schnell ihren Penis in eine Vagina stecken können. Ist Penetration die einzige Vorstellung, die Männer von Sex haben?

Nach dem Abend weiß ich jedenfalls, dass Intimmassagen mehr sind als langatmiges Vorspiel. Ich habe die G-Zone in einer Schaumstoffröhre gefunden und weiß nun, wie ich die “Katze streichle”. Ob sich jetzt mein Sexleben verbessert? Vermutlich ja. Solange ich dabei nicht verrate, dass ich gerade den “Höhlenforscher” probiere.

Übrigens: Wenn die Schaumstoffröhre nicht gelogen hat, sind es etwa vier Zentimeter bis zum Ziel.

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