Es fing mit „Depressionen im Ghetto“ an. Ein guter Freund fragte mich auf dem alljährlichen Freundeskreis-Wiedertreffen / Geschenkeversaufen in der heiligen Nacht, was ich davon halten würde: Haftbefehl hat ein neues Video veröffentlicht, der Song dazu vielleicht sein bester. Das Video aber stellte ihn vor einige Fragen: Was ist da los? Warum grinst Hafti die ganze Zeit? Warum tanzt er? Warum ist das Video quadratisch? Was redet er immer von Rothschild-Theorie? Und obwohl ich großer Fan bin, war die Lage für mich klar: Haftbefehl war letztendlich, wie so viele dauerhaft berühmte Rapper, endgültig verrückt geworden.
Schon die vorherigen Moves waren ungewöhnlich für ihn. Klar, sein „CopKKKilla“-Video war ein großartiger viraler Glückstreffer—wenn Jan Böhmermann eine Parodie auf dich macht, die Polizistensohn heißt, und du diesen Song samt Video in der Hinterhand hast, ist das wie zwei Sechser im Lotto. Oder drei. Aber irgendwie wurde es danach seltsam still. Als er dann Mitte Dezember auf dem Red Bull Soundclash sein Mixtape für 0 Uhr ankündigte, hätte „Team Haft“ eigentlich durchdrehen müssen. Stattdessen fielen die Reaktionen relativ nüchtern aus. Ich selbst habe mir das neue Mixtape erst Anfang Januar intensiver angehört, obwohl ich eigentlich auf jeden neuen Song von Aykut Anhan brenne. Was war da los? „Mixtape bedeutet im deutschsprachigen Raum ja nur: zu schlecht, um als Album verkauft zu werden“, so die These meines Internet-Freundes Ludwig. Ist die Sache wirklich so einfach?
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Dem Tape fehlen zweifellos echte Blockbuster-Hits vom Format eines „Chabos wissen wer der Babo ist“ oder „Saudi Arabi Money Rich“. Auf den ersten Blick würdest du denken, das liege an mangelnder Qualität und Hafti hätte einfach seinen Hit-Riecher verloren. Wer sich aber intensiver mit dem Tape und den zugehörigen Videos beschäftigt, kommt (wer hätte das gedacht) zu einem ganz anderen Schluss.
Schon das Video zu „CopKKKilla“ war schwer anzusehen. Ekelhafte Gewalt (zumindest für zartbesaitete Ottos wie mich) und ein unangenehmes Gefühl der Hilflosigkeit durch in Szene gesetzte Knastgänge und Ganzkörperdurchsuchungen laden nicht gerade zum entspannten Genießen ein. Die drei großen Ks im Titel sind auch sehr unangenehm, vor allem wenn man die Geschichte der Verstrickung von Polizei und Ku-Klux-Klan in Deutschland bedenkt (und wie wenig bisher unternommen wurde, um den Sachverhalt aufzuklären).
Bei „Depressionen im Ghetto“ geht es dann aber richtig los: Haftbefehl lächelt fast die ganze Zeit, was im Kontrast mit dem harten, deprimierenden Text und dem stampfenden Beat verstörend ist. Die Bildeffekte, die Optik einer alten Videokassette, das quadratische Video, all das lässt einen an alte Horrorfilme denken. Die Teufels-Metapher ist unübersehbar, und dann tanzt er vor buntem Hintergrund diabolisch lächelnd wie ein kurdischer, etwas hüftsteifer Drake.
Das Ganze gipfelte dann (bisher) im Video „069“. Dieses ist nicht nur schockierend, sondern macht richtig traurig. Echte Heroin- und Cracksüchtige beim Konsumieren zu zeigen, scheint ja ein neuer Trend zu sein, aber Haftbefehl untermalt die Szenerie musikalisch dann doch am Passendsten. Er sieht im Video (bewusst?) sehr alt und müde aus, und lächelt wieder an den unpassendsten Stellen. Insgesamt sind alle Videos schwer zu ertragen. Abstoßende Bilder werden von düsteren Beats und noch düstereren Texten begleitet. Der Drang, da wegzuschauen, ist groß.
Das komplette Mixtape ist in diesem Stil gehalten. Das ist vielleicht auch der wahre Grund, warum es kein reguläres Album geworden ist: Die Message ist zu bedrückend, der Sound zu böse, um ein Verkaufsschlager zu werden. Schon auf Russisch Roulette waren selbst die Hits dunkler und desillusionierender als zuvor. Der Trend setzt sich hier konsequent fort. Unzensiert ist eben eher auf einen bestimmten Grundton hin durchkonzipiert und –produziert, nicht auf besondere Hit-lastigkeit.
Wer noch behauptet, auf Unzensiert würden Gewalt, Kriminalität und das Leben auf der Straßen glorifiziert, hört nicht zu. Spätestens das Xatar-Feature „Golden Brown“, auf dem die Beiden über ihre eigene Doppelmoral zwischen Ehrenhaftigkeit und Heroinhandel rappen, kann einem ganz schön die Laune verhageln. Keine Representer, keine Party-Songs, keine Ghettoromantik. Gut möglich, dass der Name „Depressionen im Ghetto“ auch für das Tape in der engeren Auswahl war.
Die Frage, die offen bleibt, kennst du aus dem Deutschunterricht: „Was will uns der Babo damit sagen?“ Viele Beobachtungen sind treffend, die schonungslosen Erzählungen der Songs und die Bilder der Videos zwingen dich zur Auseinandersetzung mit unangenehmen Themen außerhalb deines Blickfeldes. Die Art der Sozialkritik, die Haftbefehl damit übt, ist sehr wirkungsvoll. Unbeantwortet bleibt nur die Frage nach Haftbefehls Weltbild, und wen er als Schuldigen an diesen Missständen sieht (also die Frage nach dem ideologischen Überbau). Ein diffuser, aber relativ rationaler „Das System hält die Armen arm“-Marxismus scheint dabei nicht herhalten zu dürfen. Die Auswüchse, in die Olexesh sich in seinem Feature-Part verrennt (bis hin zu Reptiloiden und Aliens, die die Welt kontrollieren—ganz ohne neckisch mit den Augen zu zwinkern), liegen am anderen Ende des Verrücktheits-Spektrums, sind aber ebenso nicht auf Haftbefehl zu übertragen.
Etwas beunruhigend ist dabei, wie oft das Wort „Rothschild-Theorie“ fällt. Es liegt nahe, davon auszugehen, dass er von der Verschwörungstheorie spricht, die frühere jüdische Bankiers-Familie kontrolliere durch ihren Reichtum und ihr Eigentum an großen Unternehmen heimlich die gesamte Weltpolitik. Dass es sich dabei um plumpen Antisemitismus handelt (wie bei den meisten Verschwörungstheorien), erwähne ich nur aus Vollständigkeitsgründen. Allerdings scheint in Offenbach und Umgebung „Rothschild“ ein üblicher Slangbegriff für Bonzen im Allgemeinen zu sein. Das hieße aber immer noch, dass die einzelnen Gutverdiener für die Misere der armen Bevölkerung verantwortlich wären. Beide Theorien sind in unterschiedlichem Maße zweifelhaft, auch wenn ich mich aus Gutgläubigkeit eher für die zweite entschieden habe.
Was ist nun also mit Hafti los? Er hat ein sozialkritisches, unangenehmes Mixtape gemacht, das mindestens den positiven Effekt hat, seine Hörer zum Nachdenken anzuregen. Die Gewalt und sonstigen Abgründe des Tapes lassen sich nicht ghettoromantisch abfeiern, genauso wenig lässt sich darüber studentisch-elitär-ironisch lachen (wie es bei „Chabos wissen, wer Babo ist“ fürchterlicherweise oft geschieht). Das Ganze als Mixtape zu releasen, ist dabei nur konsequent. Der größte Fehler an dem Ganzen war, es beim Red Bull Soundclash anzukündigen. Denn bei dem dort versammelten Event- und Partyvolk konnte ein Mixtape kaum auf Begeisterung stoßen—und schon gar nicht so eines. Seine alten Hörer, die bei Azzlack Stereotyp vor allem wegen die harten, schonungslosen Straßengeschichten erst zu Fans wurden, dürften hingegen begeistert sein.
Warum genau Haftbefehl nun aber anstelle eines neuen Hitalbums ein düsteres Mixtape herausbringen wollte? Es gibt genügend plausible Gründe: Einmal ist es unüblich, jedes Jahr ein großes Album zu bringen, wenn man nicht Fler ist. Auch die Verteilung seiner Vermarktung über viele größere Player wie Sony, Universal, Warner, Four und mehr zeigt, dass Haftbefehls Geschäftskonzept schwierig zu durchschauen ist. Der Unwillen, sich in die Hände nur eines Majors zu begeben, ließe sich auch wieder als Misstrauen gegenüber Großkonzernen allgemein, oder als Ausdruck einer Verschwörungstheorie lesen. Vielleicht war es aber auch an der Zeit, dass Deutschrap dieses Tape bekommt: Ein musikalisch immer wieder hochinnovativer Rapper aus der Unterschicht, der die Hoodtales so erzählt, wie sie sind: deprimierend, hart, unangenehm und schwer verdaulich. Deutschsprachiger Straßenrap hat sich durch seine Proll- und Abgrenzungsgesten längst emanzipiert. Jetzt ist es an der Zeit, aus dieser prominenten Position etwas zu machen: Die Abgründe gnadenlos ins Rampenlicht zu stellen. Nichts anderes tut Haftbefehl, und das macht er verdammt gut.
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