„Es wird wahrscheinlich JAHRZEHNTE dauern, bevor diese Gesellschaft eine ehrliche und nicht-hysterische Unterhaltung über Kinder und Sex führen kann”, teilte mir ein Pädophilie-Befürworter, der sich selbst Eric Tazelaar nennt, Anfang März per Direktnachricht auf Twitter mit. Tazelaar behauptet, ein Mitglied des Führungskomitees der North American Man/Boy Love Association, oder NAMBLA, zu sein. Er macht sich bezüglich der Zukunft der Gruppe Sorgen.
Und seine Angst ist nicht unbegründet. NAMBLA, einst eine aktive Gruppierung von Pädophilie-Befürworten, spielt keine große Rolle mehr in dem, was ich die Online-Pädo-Welt von heute nennen würde. Die Zahl der Mitglieder und Gruppenaktivitäten ist schwer festzumachen, aber etwas Internetrecherche und Unterhaltungen mit eventuellen Ex-Mitgliedern sowie mit Gegnern der Gruppe zufolge scheint beides gegen Null zu gehen.
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„Es gibt nur noch eine Handvoll von Menschen, die anscheinend überhaupt noch involviert sind”, sagte mir ein selbsternanntes ehemaliges NAMBLA-Mitglied, das sich selbst „Icarus” nannte, auf einer anonymen Pädophilen-Chat-Seite.
Vor allem in englischsprachigen Ländern verwenden einige Pädophile jetzt die Selbstbezeichnung „Minor-Attracted Persons” (MAPs). MAPs haben in der Pädophilenszene, die sich in „Boylove”– und „Girl Love”-Communitys spaltet, ihre eigenen Begrifflichkeiten herausgearbeitet. Laut einiger „Anti-Kontakt”-MAPs—diejenigen, die über sich sagen, dass sie niemals versuchen würden, sexuellen Kontakt zu Kindern zu haben, und sich ihr Leben lang gegen ihre Sehnsüchte stemmen—gilt NAMBLA als eine „Pro-Kontakt”-Gruppierung.
Der ehemalige Kontaktbefürworter Todd Nickerson, ein Mitglied der Internetgruppierung Virtuous Pedophiles, oder VirPed, hat unter seinem echten Namen Artikel über den Kampf geschrieben, mit seiner Neigung niemandem auf die Füße zu treten. Nickerson, der vor seinem Wechsel in das Anti-Kontakt-Lager Vereinigungen wie NAMBLA durchaus Sympathie entgegenbringen konnte, sagt, dass Pro-Kontaktler wie Sektenführer seien. „Das sind die wirklich Gruseligen, denn die stehen total hinter ihrer Einstellung. Sie sind schlau und charismatisch und vieles von dem, was sie sagen, ist auch wahr. Aber sie führen es einfach zu weit”, schrieb mir Nickerson in einer E-Mail.
„Ich verachte das, wofür sie stehen und was sie tun”, sagte ein anderes Mitglied von Virtuous Pedophiles, das ich nur unter dem Pseudonym Brett Matthews kennengelernt habe. Er sagte, dass die NAMBLA-Mitglieder „versuchen, die Sache so zu drehen, dass sie für die Rechte von Kindern kämpfen”, und fügte hinzu: „Ich habe noch nie Kinder gesehen, die auf die Straße gegangen sind und für ihr Recht auf Sex mit Pädophilen gekämpft haben.”
Übergriffige Pädophile werden von der Gesellschaft so extrem verabscheut wie eh und je. Letzten Monat erst bezeichnete Kathleen G. Kane, die Generalstaatsanwältin von Pennsylvania, einen zu Tage getretenen vertuschten Missbrauchsfall in einer katholischen Diözese als „abscheulich.” Das war nur einen Tag nachdem der Film Spotlight—in dem es um Journalisten des Boston Globe geht, die einen ähnlichen Missbrauchsskandal aufdeckten—den Oscar für den besten Film gewonnen hatte. Es lässt sich wohl sagen, dass Erwachsene, die Sex mit Kindern haben, im Allgemeinen verabscheut werden.
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Das soll aber nicht heißen, dass es irgendwann in der jüngeren Vergangenheit nicht mal einen Moment gab, in dem die Öffentlichkeit Pädophilen gegenüber milder gestimmt war, als, sagen wir, gegenüber einer stinkigen Pfütze unbekannten Ursprungs auf einer Bank an der Bushaltestelle. Allerdings leistete NAMBLA tatsächlich Außerordentliches, um sich gegen das Image vom Pädophilen als gruselige Typen im weißen Van zu wehren. Bei der Gründung 1978 lauteten die rückblickend etwas hochgesteckten Ziele von NAMBLA Offenheit und gesellschaftliche Akzeptanz.
Eine Mitgliedschaft bei NAMBLA bedeutete die Möglichkeit, sich bei Veranstaltungen mit anderen Mitgliedern kurzzuschließen, und außerdem gab es noch den NAMBLA-Newsletter. NAMBLAs ursprüngliche politische Ziele waren die totale Abschaffung des Mündigkeitsalters und die Freilassung aller inhaftierten Pädophilen. Als waschechte Befürwortergruppierung versuchte NAMBLA, Sex zwischen Männern und Jungen jeden Alters zu einer Grundrechtsfrage zu machen und Päderasten dazu zu bringen, sich zu outen. Der Welt sollte gezeigt werden, dass Männer, die auf Jungs stehen, auch nur Menschen sind. Kinder, so NAMBLA, sollten selbst entscheiden können, wann und mit wem sie Sex haben wollen.
„Es gab einen kurzen Zeitraum, vor allem in den 1970ern, als ein paar ganz normale Menschen, die es wirklich nur gut meinten, die sexuelle Revolution auch auf die Kinder ausweiten wollten. Offensichtlich ist dieser Ansatz aber nie bei einer größeren Gruppe Kinder auf viel Anklang gestoßen”, so ein anderer Virtuos-Pedophiles-User mit dem Pseudonym Ethan Edwards.
Und zur Hochphase stellte eine NAMBLA-Mitgliedschaft selbst für Pädophile, die über sich selbst sagen, dass sie Sex mit Kindern unter allen Umständen vermeiden wollen, eine gewisse Verlockung dar. In den frühen 90ern, als Brett Matthews ein beinahe schon erwachsener Teenager war und NAMBLA entdeckte, dachte er, dass das eine Unterstützergruppe für Pädophile wäre. „Ich hatte davor noch nie mit einem anderen Pädophilen gesprochen und wenn man mit etwas allein ist, dann gehört es zur menschlichen Natur, sich mit anderen Menschen in Verbindung zu setzen, damit man sich nicht mehr so alleine fühlt.” Matthews schaute, ob die Gruppierung eine Telefon-Hotline betrieb, und fand dabei heraus, dass sich die Vereinigung die Legalisierung von Sex mit Kindern auf die Fahne geschrieben hatte. „Ich kann mich überhaupt nicht weit genug von diesen Typen distanzieren”, dachte er damals.
Der Anfang vom Ende war für NAMBLA wahrscheinlich der berüchtigte Dokumentarfilm Chickenhawk: Men Who Love Boys aus dem Jahr 1994. Darin präsentieren sich mehrere NAMBLA-Mitglieder der ganzen Welt mit ihren richtigen Namen, Gesichtern und Gefühlen. Dieser Schritt war nicht nur mutig, sondern ging auch voll nach hinten los.
Die Dokumentation gewährt einen Einblick in das Leben einiger der bekanntesten NAMBLA-Mitglieder—darunter auch Leyland Stevenson, der darin sein Verlangen nach Jungs sowie eine seiner sexuellen Begegnungen sehr ausführlich beschreibt. Zwar zeigte man in verschiedenen Reviews auch ein gewisses Verständnis für die NAMBLA-Mitglieder, aber die meisten Leute waren trotzdem der Meinung, dass dieser „Ich lasse sie einfach mal reden”-Ansatz einer Gruppe Krimineller eher ein Medium dafür bot, sich unabsichtlich selbst komplett ins Aus zu schießen.
Damals hielt sich NAMBLA auch noch in den äußeren Kreisen von LGBT-Aktivistengruppen auf. Der plötzliche zweifelhafte Ruhm NAMBLAs brachte jedoch ungewollte Aufmerksamkeit—und auch Hass. So geriet die International Lesbian and Gay Association (ILGA) 1993 ins Kreuzfeuer der Kritik, als sie stellvertretend für LGBT-Organisationen aus der ganzen Welt eine Beraterrolle für die Vereinten Nationen zugesprochen bekam. Politisch rechte Gruppierungen gingen ILGA aufgrund derer Verbindung zu NAMBLA scharf an und die Organisation brach schließlich jegliche Beziehungen zu den Pädophilen ab.
So kam es auch, dass „der Aktivismus immer weiter zurückging”, so Icarus.
NAMBLAs Ausschluss aus den weiter gefassten Kreisen der LGBT-Community war laut Nickerson ein herber Rückschlag. Er erreichte damals gerade die Volljährigkeit und kontaktierte online auch einige NAMBLA-Mitglieder, als er noch auf jüngere Mädchen stand. „Die LGBT-Gemeinschaft sah Pädophile lange Zeit als eine Art ungeliebtes Stiefkind”, meinte er zu mir. „Als die Homosexuellen ab 1994 jedoch immer mehr respektiert wurden, sagten sie sich von den Pädophilen und damit auch von NAMBLA los.”
Ohne den Aktivismus war NAMBLA quasi nur noch der Newsletter, der Icarus zufolge allerdings auch weiterhin eine „gute Informationsquelle sowie Kameradschaftsbasis” darstellte. Zu dieser Zeit verließen jedoch immer mehr Mitglieder die Organisation und meldeten sich in Internetforen an, wo sie anonym sein konnte—ganz im Gegensatz zu NAMBLA, wo man eine jährliche Gebühr zahlen und aufgrund des Newsletters auch noch seine richtige Adresse angeben musste.
„Pro-Pädophilie-Gruppierungen schlossen sich unter verschiedenen Namen im Internet zusammen”, erklärte mir Xavier Von Erck, der Leiter der Anti-Pädophilen-Organisation Perverted-Justice. „Diese lose organisierten Gruppierungen kommunizierten quasi nur online und zogen die meisten Leute an.”
Die fortlaufende Newsletter-Präsenz sollte sich jedoch auch als eine Schwachstelle entpuppen. 1995 nutzte der legendäre Polit-Comedian Barry Crimmins—der in seiner Kindheit vergewaltigt worden war—genau dieses NAMBLA-Rundschreiben nämlich für eine Aktion, mit der er auf die Verführung von Minderjährigen in Chatrooms aufmerksam machen wollte. „Damals musste man deren ausgedruckten Schriften richtig suchen”, erzählte mir Crimmins. Diese Schriften halfen ihm dann auch dabei, die Unterhaltungen der Pädophilen in den Chatrooms zu durchschauen. „Sie erklärten sich quasi gegenseitig ihre Neigungen”, sagte er, „und bestärkten sich in ihren Überzeugungen. NAMBLA war davon dann so etwas wie die öffentliche Version.”
„Wenn das Ganze nicht so unglaublich schrecklich und gefährlich wäre, könnte man es fast komisch finden”, meinte Crimmins.
Im Laufe der vergangenen beiden Jahrzehnte ist NAMBLA dann jedoch tatsächlich zu einer Art Witz verkommen. Die meisten Millenials kennen die Gruppierung wohl noch am ehesten aus der South Park-Episode, in der Cartman NAMBLA beitritt, weil er lieber mit älteren und reiferen Männern abhängen will und sich gar nicht bewusst ist, wer oder was NAMBLA eigentlich ist.
Als die Episode im Jahr 2000 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, war NAMBLA jedoch kaum mehr existent. So bezeichnete das Boston Magazine die Vereinigung 2001 auch als „kurz vor dem Aussterben” und wenige Jahre später entwickelte sich die Abkürzung in der Daily Show zu einer Art Running-Gag und wurde immer dann genannt, wenn man ein unverfänglich klingendes Akronym brauchte.
„Es gibt immer noch eine Handvoll Mitglieder, die regelmäßig ihren Beitrag zahlen, damit wir weiter unsere Internet-Präsenz unterhalten können, wo wir NAMBLAS derzeitige und auch frühere Standpunkte darlegen.”
Tazelaar zufolge ist NAMBLA jedoch immer noch am Leben. „Die Vereinigung existiert zwar noch, hat aber kaum mehr Mitglieder”, schrieb er. „Grund dafür sind die ganzen von den Behörden gestellten Fallen, die vor ein paar Jahren viele Mitglieder verschreckt haben.”
„Eine dieser Fallen des FBIs war zum Beispiel die Planung eines Mexiko-Urlaubs”, erzählte er. Laut der San Diego Union-Tribune wurden bei dieser Operation sieben NAMBLA-Mitglieder verhaftet—darunter auch ein Vorsitzender und ein Event-Organisator.
Laut William Percy, einem Geschichtswissenschaftler und Kindersex-Befürworter (der laut eigener Aussage jedoch nie ein NAMBLA-Mitglied gewesen ist), stellten diese Festnahmen das „Todesurteil” der Organisation dar. Das FBI wollte zu NAMBLA übrigens keine Stellungnahme abgeben.
Und so glich NAMBLA ab da einem Trümmerhaufen. Heutzutage befindet sich die Vereinigung quasi im Leerlauf. „Wir machen keine Angaben über unsere Mitgliedszahl und die Print-Newsletter gibt es nicht mehr”, erzählte mir Tazelaar.
Die NAMBLA-Website bietet ebenfalls nicht mehr viele Informationen. Auf der Kontakt-Seite lassen sich nur eine Mail-Adresse und zwei Telefonnummern finden, die aber alle ins Nichts führen. Dazu ist dann noch die private Mail-Adresse eines gewissen Arnold Schoens angegeben, der bis 2010 sogar noch diverse Anfragen beantwortet hat. Auf meine E-Mails an Schoen wurde allerdings nicht reagiert.
Tazelaar zufolge bedeutet das alles jedoch nicht, dass NAMBLA tot ist. „Es gibt immer noch eine Handvoll Mitglieder, die regelmäßig ihren Beitrag zahlen, damit wir weiter unsere Internet-Präsenz unterhalten können, wo wir NAMBLAS derzeitige und auch frühere Standpunkte darlegen.”
Derweilen haben die Aktivisten um Von Erck das Interesse an NAMBLA verloren. „Nachdem es eine ganze Reihe an Festnahmen und Verurteilungen gegeben hatte, stellten wir unsere Aktivitäten in Bezug auf die Enthüllung von Pädophilie-Befürwortern vor wenigen Jahren ein”, erklärte er mir.
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Selbst Percy, dessen Wunsch es ist, dass zumindest einige Formen des Sexes mit Kindern legal werden, schien nicht gerade enttäuscht darüber zu sein, dass es mit NAMBLA so steil bergab ging. „Die waren alle total verrückt”, meinte er zu mir. „Meiner Meinung nach hätten sie sich für ein Mündigkeitsalter von 14 Jahren einsetzen sollen. Weil sie jedoch für eine komplette Abschaffung des Mündigkeitsalters plädierten, erreichten sie das genau Gegenteil, nämlich eine Anhebung.”
Ein weiterer anonymer Boychat-User schien NAMBLA gegenüber ebenfalls eher negativ eingestellt zu sein, als er meine Frage beantwortete: „Wie werden wir uns in 100 Jahren an NAMBLA zurückerinnern? Hat die Organisation dabei geholfen, Knabenliebe in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken? Ich glaube eher, dass einige Leute der Meinung sind, dass NAMBLA eine ausschließlich negative Sache war.”
Egal ob NAMBLA nun mit ins Spiel gebracht wird oder nicht, „Knabenliebe” ist bestimmt nicht tot. „Die Ansichten, für die sie sich eingesetzt haben, sind immer noch weit verbreitet”, meinte Matthews zu mir. Seiner Meinung nach lassen sich diese Menschen auch nicht mit vernünftigen Argumenten überzeugen: „Ich diskutierte jetzt schon seit 20 Jahren mit diesen Leuten und inzwischen weiß ich, dass ich bei denen auf Granit beiße.”