Der Typ hat sich Mühe gegeben: Ein teures Restaurant ausgesucht, mit mikroskopischen Portionen und “kuratierten” Weinlisten. Mein Date hat nicht nur Geld, sondern—im richtigen Licht und mit etwas Wohlwollen—auch etwas von Ryan Gosling. Letzte Woche habe ich nackt auf seinem Schoß gesessen. Während sich die meisten Menschen angezogen kennenlernen und sich später eventuell ausziehen, ist es bei mir andersherum. Ich würde zwar für Geld niemals Sex mit Kunden haben, aber wenn mir einer wirklich gut gefällt, lasse ich mich zu einem Date überreden.
Denn es ist schlicht nicht einfach, als Stripperin Männer außerhalb des Arbeitsplatzes kennenzulernen. Am Wochenende arbeite ich im Club. Unter der Woche freelance ich für eine PR-Agentur und muss abends all die Dinge nachholen, die am Wochenende zu kurz kamen: endlich schlafen, Freunde treffen, mit Oma telefonieren. Und selbst wenn ich mal einen “normalen” Mann kennenlerne, muss ich ihm spätestens dann von meinem Beruf erzählen, wenn er meine nackten Beine sieht. Sie sind durch das Tanzen an der Stange so stark von Blutergüssen übersät, als hätte mich jemand mit einer Eisenstange verprügelt.
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Sobald die Normalos Bescheid wissen, wird es oft brenzlig. Entweder lassen sie mich gleich fallen wie ein heißes Kohlenbrikett. Oder sie finden es ganz abgefahren, mit einer Stripperin zu schlafen, und geben damit vor ihren Kumpels an. Aber irgendwann kommt unausweichlich: “Baby, das willst du doch nicht ewig machen. Also ich verurteile deinen Job ja nicht, aber …”
Dann treffe ich mich lieber gleich mit Tabledance-Kunden. Mit ihnen kann ich wenigstens offen über meine Arbeit sprechen. In meinem Umfeld ist das eine Seltenheit. Meine Oma war die einzige, die cool darauf reagiert hat, als ich ihr erzählte, dass ich mit Strippen meine Schulden abbezahle. Weil ich keine staatliche Unterstützung bekam und mein Vater sich weigerte, Unterhalt zu zahlen, nahm ich für mein Studium einen Kredit auf. In mein Berufsleben startete ich mit einem fünfstelligen Schuldenbetrag, mein Gehalt deckte ohnehin kaum meine Miete. Oma versuchte zwar auch erst, mir die ganze Idee auszureden. Aber als es nicht klappte, gab sie mir statt weiterer Standpauken ein Pfefferspray (K.O. JET 2000) und einen roten Lippenstift von MAC (Farbe Diva).
Außer ihr weiß es in meiner Familie nur mein Bruder. Meine Verwandten würden mich enterben. Als mich bei der letzten Familienfeier meine Tante vor der gesamten Sippe fragte, wo ich denn arbeite, sagte ich: In einer Bar.
“In welcher denn?”, fragte die Tante.
“Ähh, in … in der Nonamebar.”
Die Tante zuckte sofort ihr Smartphone und googelte, fand aber nichts. Mein Herz setzte für ein paar Schläge aus, aber mein Bruder rettete die Lage:
“Das ist so eine Undergroundbar. Die muss geheim bleiben und hat deshalb keine Homepage. Das macht man hier so.” Mein Bruder liebt mich, aber ich weiß, dass er sich eigentlich für meinen Job schämt. Wenn ich ihm davon erzähle, wechselt er sofort das Thema.
Meine Freunde reagieren ähnlich. Als ich einer guten Freundin davon erzählte, verschluckte sie sich an ihrem Aperol Spritz und sah mich an, als hätte ich einen Anschlag auf das Weiße Haus geplant. Wenn wir uns jetzt über den Weg laufen, ist sie so distanziert, als könnte ich Chlamydien per Blickkontakt verteilen. Deswegen wissen nur wenige enge Freunde, was ich am Wochenende so mache. Der Rest wundert sich immer noch, warum ich nie mit ihnen ausgehe, aber trotzdem sonntags immer einen Kater habe. (Die Antwort: Ich muss mit Kunden saufen, damit sie Champagner kaufen, von dem ich Prozente kassiere.)
Am kompliziertesten ist allerdings meine Beziehung zu Männern. In einer Nacht kommen so viele zu uns in den Club, die ihre Freundin oder Frau betrügen wollen, dass man ernsthaft anfängt, am ganzen Geschlecht zu zweifeln. Viele sind von mir so fasziniert, dass sie bereit sind, 100 Euro für eine halbe Stunde zu bezahlen, in der ich allein mit ihnen nackt in einem Zimmer bin. Aber wenn ich ihnen “Gefallen” wie Handjobs verweigere, bin ich schnell eine dreckige Hure, die sie auf den letzten Cent ausnehmen will.
Aber versteht mich nicht falsch. Nicht alle sind schlecht. Es gibt sie tatsächlich, die guten, unekligen Kunden, die verstehen, dass Stripperinnen ganz normale Mädchen sind, die einfach während ihrer Arbeitszeit wenig anhaben. Es stimmt auch nicht, dass nur traurige Gestalten in eine Tabledance-Bar gehen. Viele sehen tatsächlich ziemlich gut aus.
Wie zum Beispiel mein Date, das gerade an seinem überteuerten Weißwein nippt. Ob er einer von den Guten ist? Ich mache einen Test, der oft funktioniert. Als er sich entspannt hat, gucke ich ihn mitten im harmlosesten Smalltalk tief in die Augen und frage unvermittelt: “Hast du eine Freundin?”
Der Kerl ist total überrumpelt und zupft plötzlich nervös an seinem Hemdkragen. “Also, es läuft schon lange nicht mehr gut bei uns. Momentan wohnen wir noch zusammen, aber …”
Ich ziehe die Augenbraue hoch und leere mein Glas in einem Zug. Was für eine Zeitverschwendung. Auch wenn er heiß ist, werde ich ihm bestimmt nicht helfen, seine Freundin zu betrügen.
Ich verabschiede mich, noch bevor der nächste Gang kommt, und habe kein bisschen schlechtes Gewissen dabei. Wenn mir der Tabledance eines beigebracht hat, ist es Selbstbewusstsein. Das braucht man, wenn dich eine Horde Männer nackt auf einer Bühne begafft. Außerdem brachte mir mein Job eine scharfe Zunge und einen scharfen Körper, dank dem Sportprogramm an der Pole-Stange und der Champagner-Diät. Wahrscheinlich ist die einzige Beziehung, die sich durch das Strippen verbesserte, die zu mir selbst.