Ich bin jetzt seit fast einem Jahr in einer glücklichen Beziehung. Davor war ich allerdings viele Jahre lang Single. Eigentlich hatte ich vor dieser Beziehung noch nie eine feste Partnerin. Ich dachte, ich würde es vermissen, mit abwechselnden Parterinnen zu schlafen. Dabei fehlen mir jetzt ganz andere Dinge. Ohne meine sexuelle Freiheit komme ich ganz gut klar. Weil ich aber wissen wollte, ob andere Ex-Dauersingles mir da zustimmen, habe ich einige von ihnen gefragt, was sie jetzt in ihren Beziehungen vermissen.
Tatsächlich scheinen die meisten Dauersingles, mit denen ich spreche, den Gelegenheitssex auch nicht zu vermissen. “Ich habe bei meinem Sexleben schon immer das gemacht, was ich wollte”, sagt Giulia, 31, die jahrelang Single war. “Aber die ganze Sache mit dem Leute kennenlernen, ihnen DMs schreiben und mich mit ihnen zum Date treffen, das wurde irgendwann langweilig.”
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Auf der anderen Seite fällt es einigen aber schwer, freie Zeit, Platz und Aufmerksamkeit zu opfern. Tommaso, 34, war acht Jahre lang Single. Er sagt: “Mir ist nie aufgefallen, wie sehr ich an meinen eigenen Rhythmus und meine eigenen Prioritäten gewöhnt war.” Tommaso beschreibt, wie es ihn richtig aus der Bahn warf, jetzt plötzlich so viel Zeit und Mühe in die Beziehung investieren zu müssen.”Man muss sich an die Präsenz der Partner gewöhnen. Und das fühlt sich anfangs wie ein Zwang an”, sagt er.
Am Anfang kam es noch vor, dass Tommaso tagelang nicht mit seiner Freundin schrieb oder redete. “Ich verstand nicht, warum mich das kalt oder uninteressiert wirken ließ. Und ich war genervt, weil ich dachte, dass ich meinen Freiraum verdient hatte, weil wir ja die ganze Woche zusammen verbracht haben.” Auch mir hat dieser Freiraum gefehlt – vor allem dann, wenn es um kleine gemeinsame Entscheidungen ging, zum Beispiel beim Essen oder Handykonsum.
Viele Langzeitsingles haben Probleme damit, ihrem neuen Partner oder ihrer neuen Partnerin zu zeigen, dass sie emotional verfügbar und engagiert sind. Bei der neuen Partnerin oder dem neuen Partner kann das Zweifel auslösen. “Ich habe ein Jahr lang versucht, meinen Freund wegen meiner Single-Zeit zu beschwichtigen”, sagt Letizia, 32, die seit zwei Jahren mit ihrem Partner zusammenlebt. “Er hatte Angst, dass ich irgendwann die Nase voll von ihm habe. Oder dass ich noch nicht für eine Beziehung bereit bin”, sagt sie. Die Zweifel von Letizias Freund gingen einher mit der Zeit, die sie noch brauchte, um sich an die Beziehung zu gewöhnen. “Wenn ich ihn fragte, ob ich das Wochenende alleine verbringen könnte, beunruhigte ihn das”, sagt Letizia. “Und das verschlimmerte meine eigenen Angstgefühle.” Erst als die beiden zusammenzogen, war ihr Freund überzeugt davon, dass Letizia es wirklich ernst meint.
Bei mir hat es nur einige Wochen gedauert, bis ich kein egozentrischer Essentialist voller sozialer Ängste mehr war, sondern ein aufmerksamer Freund. Wenn man über 30 ist und noch nie eine Beziehung hatte, die länger als ein paar Monate hielt, stellt man sich selbst und die eigene Fähigkeit, mit einem anderen Menschen zusammen zu sein, schnell in Frage. Mir ist jedoch rasch klar geworden, dass ich besser auf eine Beziehung vorbereitet war als gedacht.
Bei den Dauerunabhängigen gibt es vielleicht auch die Angst, dass sie niemand für das lieben kann, was sie wirklich sind. “Du denkst die ganze Zeit, dass deine nächste Beziehung nur mit dem perfekten Menschen klappen kann”, sagt Letizia. “Also perfekt nicht nur im Bezug auf die Persönlichkeit, sondern auch darauf, sich an deine Neurosen anzupassen.”
Ich war jahrelang ein Beziehungs-Zyniker: Ich fand das ganze Konzept langweilig, monoton und erzwungen. Jetzt habe ich mich selbst vom Gegenteil überzeugt. “Wenn wir eine Zeit lang Single sind, schießen wir uns natürlich auf die negativen Aspekte von Beziehungen ein”, sagt Giulia. “Wenn wir dann aber wieder einen Freund oder eine Freundin haben, wird uns schnell bewusst, wie schön es eigentlich ist, mit jemandem zusammen zu sein.” Dem stimme ich auf jeden Fall zu. Und auch dem, was Giulia noch sagt: “Wenn man eine Person wirklich gut kennen- und lieben lernt, dann wird einem klar, dass man viel zu viel über die eigenen Prioritäten nachgedacht hat.”