Vergangene Woche wurde vom Innenministerium die Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2015 präsentiert. Daraus geht hervor, dass die Anzeigen 2015 gesunken und die Aufklärungsrate gestiegen ist—und trotzdem wird jetzt wieder viel diskutiert, über die kriminellen Ausländer, die nach Österreich kommen um unseren Wohlstand zu klauen, unsere Kinder zu Junkies zu machen und unsere Frauen zu vergewaltigen.
Aber wie steht es eigentlich um die Österreicherinnen und Österreicher, die, schuldig oder nicht schuldig, außerhalb des österreichischen Hoheitsgebietes hinter Gittern sitzen? Welche Hilfe kann man sich erwarten, wenn man statt unter Palmen zu liegen und kühle Kokosmilch zu schlürfen, plötzlich bei 40 Grad Hitze eine Zelle mit hundert anderen Häftlingen teilen muss?
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Derzeit sitzen etwa 150 österreichische Staatsbürger und 15 Staatsbürgerinnen im Ausland im Gefängnis. „Bei der überwältigenden Mehrheit handelt es sich um Männer im mittleren Alter”, erklärt Thomas Schnöll, Pressesprecher des Außenministeriums, gegenüber VICE.
Knapp zwei Drittel von ihnen hat es aber noch ganz gut erwischt—soweit man im Falle eines Gefängnisaufenthaltes überhaupt von gut sprechen kann. Sie sitzen in Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedsstaat ein. Aber auch innerhalb der Europäischen Union kann es einen bereits böse erwischen, wie mir Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich (AI), erklärt.
„Was die Haftbedingungen anbelangt, gibt es ein massives Gefälle zwischen einerseits hochentwickelten und andererseits weniger entwickelten Regionen”, so der Jurist. „Auch innerhalb der Europäischen Union. Es macht einen erheblichen unterschied, ob man in einem der älteren Mitgliedsländern, oder in Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Kroatien oder der Slowakei in Haft sitzen. Das ist definitiv spürbar.”
„Ein ganz großes Problem bei den Haftbedingungen stellt auch immer wieder Frankreich dar.”
Typische Missstände, die Amnesty innerhalb der Europäischen Union immer wieder kritisiert, sind miserable Hygienestandards, massive Überbelegung von Zellen und ein teilweise ausgesprochen rüder Umgang des Justizpersonals mit den Insassen—und das nicht nur in den ehemaligen Ostblockländern, wie Patzelt erklärt. „Das gilt auch für Länder wie Italien und Griechenland. Ein ganz großes Problem bei den Haftbedingungen stellt auch immer wieder Frankreich dar. Relativ ordentlich geht es hingegen in Großbritannien, Deutschland, den Benelux-Länder und skandinavische Länder zu. Die sind auf völlig vergleichbarem Niveau mit Österreich”, so der Generalsekretär von AI.
In völlige andere Welten begibt man sich jedoch in Ländern Asiens, Afrikas oder Südamerikas. Dort ist der Unterschied laut Experten noch einmal sehr viel größer. Jedoch müssen die Haftbedingungen in diesen Ländern auch an Hand eines anderen Maßstabes gemessen werden, so Patzelt. „Man kann ja nicht ernsthaft von einem afrikanischen Land erwarten, die gleichen sozialen und finanziellen Haftbedingungen zu haben, wie sie in Österreich eine Selbstverständlichkeit sind—in Bezug auf Hygiene, Raumverfügbarkeit, Unterbringungsqualität und ähnliches.”
Amnesty International fordert aber, abhängig von der Leistungsfähigkeit, auch in diesen Ländern gewisse grundlegende Standards ein—unabhängig von der Herkunft des Gefangenen. „Unmenschlicher, unerträglicher Behandlung in Haft ist ein lokaler Insasse genauso wenig zu unterwerfen wie ein Österreicher”, so Patzelt. „Der Argumentation, dass jemand aus einem sogenannten ,zivilisierten’ Land anders unterzubringen wäre, als ein lokaler Haftinsasse, habe ich mich nie angeschlossen.”
Patzelt warnt vor allem vor den drakonischen Strafen in Zusammenhang mit Drogendelikten im asiatischen Raum. „Vor allem die Todesstrafe oder die Androhung dieser, ist in Asien ein riesengroßes Problem. Da kann man nicht oft genug davor warnen. Hier wird teilweise völlig unverhältnismäßig vorgegangen. Da ist dann auch jeder konsularischen Intervention der Boden entzogen. Da muss man wirklich auf das irrsinnig hohe Risiko hinweisen.”
Ich war zweieinhalb Jahre als Drogendealer in einem serbischen Gefängnis
Dass Heinz Patzelt hier nicht übertreibt, zeigt der Fall der heute 30-jährigen Susanne M., die in Indonesien nur knapp der Todesstrafe entging. Die Niederösterreicherin wurde 2014 zu 18 Jahren Haft und 300.000 Euro Strafe verurteilt, weil sie mit über drei Kilogramm Crystal Meth im Gepäck erwischt wurde—Drogen, von denen sie nach eigenen Angaben nichts wusste.
In solchen Fällen versucht die Konsularabteilung des Außenministeriums humanitäre Hilfe zu leisten, wie Thomas Schnöll erklärt. Dazu gehören Haftbesucher, gesundheitliche Betreuung, Verpflegung und auch der Versuch, Kontakt zu Angehörigen herzustellen. Vor allem wichtig sei aber die juristische Hilfe in Form von Vertrauensanwälten, damit zumindest die grundlegende Verfahrensordnung eingehalten wird. Äußerst problematisch wird es dann, wenn es am Haftort keine österreichische Vertretung gibt.
Auch Amnesty International kümmert sich um Österreicher und Österreicherinnen, die im Ausland zu Haftstrafen verurteilt werden. „Die Arbeit von Amnesty International erfolgt dabei in enger Abstimmung mit den jeweiligen Abteilungen im Außenministerium und auch deren Einschätzung, was im jeweiligen Einzelfall gerade hilfreich ist. Sei es die öffentliche laute Kritik oder die interne diplomatische Intervention”, erklärt Patzelt. Ihm zufolge habe die Zusammenarbeit immer sehr vernünftig funktioniert und er habe, anders als zu anderen Regierungsstellen, in die Arbeit des Außenministeriums großes Vertrauen.
Aus den letzten Jahren sind Patzelt vor allem zwei Fälle im Gedächtnis geblieben: Einmal der Fall einer jungen Österreicherin, die in der Türkei verhaftet und streng verfolgt wurde, weil sie an der Grenzkontrolle mit einem Stein aus Ephessos erwischt worden war. Die Strafverfolgung sei laut Patzelt grundsätzlich in Ordnung gewesen, die Haftbedingungen in der Türkei haben aber eine sehr schwierige Situation dargestellt. In der Türkei gäbe es aber durchaus kompetente Mitarbeiter der österreichischen Auslandsvertretung, die sich in solchen Fällen um einen kümmern könnten.
Wesentlich schwieriger war das im Fall des oberösterreichischen Arztes Eugen Adelsmayr. Der aus Oberösterreich stammende Anästhestist arbeitete 2009 in Dubai in einem Krankenhaus. Als dort ein pakistanischer Arbeiter 36 Stunden nach Adelsmayrs Verlassen des Krankenhauses verstirbt, wird gegen den Oberösterreicher und einen indischen Kollegen Anklage wegen Mordes und unterlassener Hilfeleistung erhoben. Sie sollen den Patienten mit einer Überdosis Morphium getötet haben. Ein Motiv gab es nie.
Die Anklage leitete eine Welle von Ereignissen ein, die Adelsmayrs Leben komplett veränderten. „Ich würde jedem, der in eine ähnliche Lage kommt, raten, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Solange es noch geht. Das Problem ist nur, dass man den Ernst einer solchen Lage meistens selbst nicht früh genug erkennt”, so Adelsmayr im Gespräch mit VICE. Dem Anästhesisten wir kurz vor Weihnachten 2009 die Ärztelizenz für die Vereinigten Arabischen Emirate entzogen. Trotzdem bleibt der Mediziner in Dubai. Am 17. Mai wird ihm schließlich der Pass von den Behörden abgenommen, Adelsmayr darf die VAE nicht mehr verlassen.
„Was aber letztlich wirklich geholfen hat, war der Druck der Medien.”
„Ich habe in meiner Situation extrem lang zugewartet, weil ich es einfach nicht wahrhaben wollte, weil ich in dieser Hinsicht ein bisschen stur bin. Das würde ich nicht raten! Man sollte nicht darauf aus sein, Recht zu bekommen. Man muss zuerst mal seine eigene Haut retten”, so Adelsmayr heute. Trotz entlastender Gutachten wird schließlich im Juli 2011 ein Prozess gegen Adelsmayr eröffnet, es droht die Todesstrafe. Im Oktober 2012, nach 20 Verhandlungstagen, endet der Prozess. Das Urteil: lebenslange Haft.
Adelsmayr befindet sich zu dieser Zeit jedoch nicht mehr in den VAE. Intensive diplomatische Verhandlungen und eine tödliche Krebserkrankung seiner Ehefrau haben es dem Mediziner ermöglicht, nach Österreich auszureisen. „Was aber letztlich wirklich geholfen hat, war der Druck der Medien. Das möchte die Politik nicht hören—die glauben das stört die Verhandlungen hinter geschlossenen Türen”, erzählt Adelsmayr.
Der mediale Druck sei zwar den Politikern in Dubai egal, jedoch müssten die heimischen Politiker reagieren. „Da kann man die Kronen Zeitung so oder so sehen, aber in meinem Fall hat der Spindelegger damals wenig Wahl gehabt, weil die drei Mal in der Woche über mich berichtet haben. Da hat er schlecht nichts tun können. Die Macht der Medien kann da sehr viel bewirken.”
Trotzdem habe ihm auch die konsularische Hilfe Österreichs sehr geholfen. „Die haben wirklich viel getan. Es hat ein bisschen lang gedauert, wie mir vorkommt, bis der wirkliche Ernst der Lage erkannt worden ist. Auch von mir. Die Profis von der Botschaft hätten es vielleicht ein bisschen früher erkennen können. Im Wesentlichen hat die sich aber sehr bemüht”, meint Adelsmayr.
In Österreich musste Adelsmayr auf Grund seiner durch drei unabhängige Gutachten faktisch bewiesenen Unschuld weder mit einer Auslieferung an die VAE, noch einer Strafverfolgung durch die österreichischen Behörden rechnen. Mittlerweile arbeitet er auch wieder als Arzt und hat seine Erlebnisse in einem Buch veröffentlicht.
Der Fall Adelsmayr zeigt vor allem, dass es im Grunde jeden treffen kann—egal ob man in dem jeweiligen Land praktizierender Arzt ist oder sich auf einer berauschten Weltreise befindet.
Heinz Patzelt spricht zum Schluss noch ein spezifisches Problem an, bei dem er viel Optimierungspotential sieht: „Es gibt relativ viele Länder, die grundsätzlich Menschen, die in irgendeiner Form polizeibeschuldigt sind,—typischerweise handelt es sich dabei um Verkehrsunfälle—generell einmal nicht ausreisen lassen.” Laut Patzelt kann dieser Umstand zu haarstreubenden sozialen und finanziellen Notsituationen führen.
Patzelt erzählt mir von einem Fall aus Kuba, bei dem ein Pensionist aus Österreich einen Verkehrsunfall verursacht hat und der Polizei auch gleich ein Schuldeingeständnis unterschrieben hat. Dennoch darf der Mann immer noch nicht aus Kuba ausreisen und muss sich dort selbst versorgen—trotz aller Interventionen des Ministeriums.
„Ein Pensionist, der in Kuba einen Verkehrsunfall verursacht hat, darf bis heute nicht ausreisen—trotz Interventionen des Ministeriums.”
Ähnlich heikel ist die Problematik in der Türkei und vielen anderen Regionen auf der Welt. „Grundsätzlich ist jeder Österreicherin und jedem Österreicher dringend davon abzuraten, sich im asiatischen, afrikanischen, oder arabischen Raum hinter ein Lenkrad zu setzen”, so Patzelt.
Geht es nach Amnesty International, kann ein Verkehrsunfall mit nicht-tödlichem Personen- oder Blechschaden kein Grund dafür sein, einer Person ihre Dokumente abzunehmen und gegen ihren Willen in einem Land festzuhalten. „Dass ein Österreicher, der in Ungarn bei einer Verkehrskontrolle eine Polizisten totfährt—warum auch immer, sei es, weil er mit Pfefferspray eingesprüht wurde, oder weil das Ganze in einer amokartigen Gewaltaktion geendet hat—dort bis zum Verfahrensende eingesperrt wird, scheint mir noch nachvollziehbar. Aber bei einem einfachen Verkehrsunfall kann das keine adäquate Umgangsform sein. Ein Verkehrsunfall ist eine Versicherungsfrage und nicht eine Frage der Strafverfolgung.”
Solche Formen von—aus menschenrechtlicher Sicht völlig unzulässiger—Freiheitsbeschränkung will Amnesty International klar entgegentreten. Darum (und um bestimmte Grundrechte in Haft zu gewährleisten) fordert Amnesty von der Europäischen Union, mit allen Staaten der Welt entsprechende Vereinbarungen zu treffen und in eine Art Bürgerverpflichtung einzutreten.
Innerhalb der Europäischen Union gibt es eine solche Vereinbarung grundsätzlich seit 2007. Damals haben sich die Justiz- und Innenminister der Mitgliedsstaaten in Brüssel darauf geeinigt, dass verurteilte Straftäter aus dem EU-Ausland ihre Haft in ihrem Heimatstaat verbüßen können sollen—eine Vereinbarung, die aber nicht immer bedingungslos eingehalten wird.
Die Vereinbarung wirft im Umkehrschluss auch wieder menschenrechtliche Fragen auf. So muss etwa die Frage gestellt werden, ob es moralisch vertretbar ist, zum Beispiel einen in Österreich straffällig gewordenen Bulgaren auch gegen seinen Willen in eine bulgarische Haftanstalt zu überstellen, wenn im dortigen Strafvollzug mit menschenunwürdigen Haftbedingungen und der Verletzung seiner Rechte als Gefangener gerechnet werden muss.
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Titelfoto: Maersk | Pixabay | CC0 Public Domain