Dieser Artikel ist Teil unserer Kolumne ‘I said what I said’.
Seit ich denken kann, werde ich angestarrt: in der ersten Woche in der neuen Schule, beim Dorffest im Nachbardorf, beim Einkaufen im Supermarkt. Ich bin es gewöhnt, dass mir die Blicke folgen. Und nein, ich weiß natürlich nicht zu 100 Prozent, warum die Leute ausgerechnet mich anstarren. Mir ist klar, dass es dafür mehrere Gründe geben kann, von Exotismus über Bewunderung bis eben auch zu Rassismus. Einige wollen womöglich einfach nur verstehen, wie ich ticke, andere finden mich vielleicht hübsch.
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Das alles weiß ich theoretisch. Ich weiß, dass es viele Erklärungen gibt. Aber als Kind habe ich einfach nur Blicke gesehen. Es waren oft stechende Blicke, die ich gespürt, aber nicht verstanden habe. Meine Oma hat mich in allerhand Vereine gesteckt, um mich zu integrieren – aber der vermehrte Kontakt zu Leuten im Dorf führte natürlich auch zu noch mehr skeptischen Blicken der anderen Kinder.
Ich erinnere mich ans Warten bei der Wasserrutsche im Schwimmbad. An die Stille der anderen Kinder als ich mich zum Rutschen einreihte. Die fragenden Blicke an die Eltern, wieso ich anders aussehe. Das Resultat davon ist eine bis heute andauernde Unsicherheit. Jeder Mensch möchte einfach nur akzeptiert werden; oder zumindest nicht ständig über sich und seine Außenwirkung nachdenken. Die Skepsis mir gegenüber trug nicht gerade dazu bei, mich aufzubauen.
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An manchen Tagen fühlt es sich ein bisschen an wie dieser Traum, bei dem man ohne Hosen das Haus verlassen hat. Man wird angesehen und fühlt sich exponiert. Als ich zum Beispiel im Dirndl auf das Weinfest gefahren bin, habe ich genau das erlebt. Die Leute rundherum haben versucht, sich einen Reim daraus zu machen, warum ich so gekleidet bin. Als wäre es ein Rätsel, das es zu entschlüsseln gilt. Einige waren sicher sauer, dass ich das heilige Dirndl durch Netzstrümpfe und Sneaker entweiht habe. Andere fanden mich einfach nur schön. Wieder andere hatten vielleicht tatsächlich ein Problem, dass eine Schwarze in österreichischer Traditionstracht auftritt. Aber so oder so war das Resultat, dass ich ungewollt im Mittelpunkt stand.
Es treibt mich manchmal in den Wahnsinn, dass ich nicht raus gehen kann, ohne angestarrt zu werden. Manchmal möchte ich unsichtbar sein. Ich merke wie man über mich redet, ich merke wie sich die Köpfe nach mir umdrehen. Ich fühle mich dabei wie ein Zootier. Wenn ich mit anderen People-of-Color rede, dann bestätigen sie mir dieses Zootier-Feeling. Egal ob ich besonders auffällig gekleidet bin oder nicht. Sie starren. Von oben bis unten werde ich gescannt und analysiert. In mir beginnt auch ein Prozess. Ich frage mich, ob mein Lippenstift verschmiert ist. Eventuell ist mein Outfit doch keine gute Combo?
Wenn ich früher nach Innsbruck ins Internat gefahren bin, wurden nur ich und eine weitere Schwarze Freundin vom Grenzschutz im Zug kontrolliert.
Obwohl ich das alles auch in Wien erlebe, sind die Reaktionen wie gesagt am Land besonders heftig, weil man hier ganz einfach viel seltener People-of-Color begegnet. Daher wird dort schon auch mal ein Vorhang zur Seite gezogen, um einen Blick auf das seltene Menschenexemplar zu erhaschen. Eine Bekannte hat mir mal berichtet, dass die Menschen in einem sonst menschenleeren Ort komischerweise plötzlich alle etwas im Garten oder in der Garage zu tun hatten, als sie vorbeispazierte. Und zwar jedes einzelne Mal, wenn sie in dem Ort zu Besuch war. In der Steiermark war es oft ein Spektakel für die Besucher des gegenüberliegenden Eiscafés, wenn ich im Jogginganzug zum Billa über die Straße gegangen bin. Dort waren einige sogar so dreist, hinter mir über mich zu reden, weil sie wohl davon ausgingen, ich würde sie sowieso nicht verstehen.
Ironischerweise hatte ich als Kind im Trachtenverein durch mein seltenes Aussehen die ehrenvolle Aufgabe, der Touristenmagnet zu sein. Wann immer größere Brauchtumsveranstaltungen die Touristen in den Ort brachten, war ich der besondere Blickfang. Natürlich kann das Ganze auch einen anderen Beweggrund haben als Rassismus. Es kommt gar nicht so selten vor, dass mich ein Typ lüstern niederstarrt. Ein Typ in der Straßenbahn hat es schon mal so weit getrieben, dass er am Ende mit einer deutlich sichtbaren Erektion ausgestiegen ist.
Andere wiederum sehen mich angewidert an, als wäre ich ein Kaugummi auf ihrer Schuhsohle. Besonders geehrte fühle ich mich, wenn im Einzelhandel sämtliche VerkäuferInnen ihre Aufmerksamkeit auf mir richten. Manchmal habe ich sogar – unaufgefordert – eine Einkaufsbegleitung, die mir auf Schritt und Tritt durch den Laden folgt. Mein Aussehen stellt mich unter Generalverdacht. Wenn ich früher nach Innsbruck ins Internat gefahren bin, wurden nur ich und eine weitere Schwarze Freundin vom Grenzschutz im Zug kontrolliert.
Nicht immer ist man in der richtigen Verfassung für diese Art von Aufmerksamkeit. Manchmal möchte ich einfach nur nach einem langen Tag nachhause, niemanden sehen oder hören. Das Letzte, was ich dann brauche, ist das ältere Ehepaar, das mir angewidert gegenübersitzt und meint, dass es mich seine Meinung über mich und meine Hautfarbe und den Zustand der Welt dringend spüren lassen muss.
Nie habe ich es erlebt, dass meine Freunde so begutachtet werden. Und zumindest das ist keine Paranoia, sondern eine Beobachtung, die auch meine sehr gute Freundin und Nachbarin machen konnte, als wir gemeinsam auf dem Weinfest mit dem Dirndl-Vorfall waren.
Auf diese Art angestarrt und evaluiert werden, fühlt sich an wie nackt ausgezogen zu werden.
Als wir nebeneinander am WC anstanden, wurden wir beide von einer älteren Dame angestarrt – meine Freundin wohlwollend (ein blondes Mädel in Lederhosen), ich abwertend und missbilligend (als Schwarze in meinem viel traditionelleren Dirndl). Es ist nur eine Kleinigkeit, aber es ist die Art von Kleinigkeit, die man sich einprägt. Durch die Augen der anderen, die sich mit ihren Blicken einbrennen.
Am meisten verletzt es mich, wenn ich mitansehen muss, wie mein Freund von Fremden skeptisch beäugt wird. Er ist groß, hat einen dunklen Bart und sieht aus wie der typische ach so gefürchtete Nafri. In der U-Bahn beobachte ich ab und zu die Reaktionen der anderen Fahrgäste. Er ist Wiener durch und durch, er ist einer der liebenswürdigsten Menschen, die ich kenne. Trotzdem sagen die Blicke uns gegenüber nicht selten “Wir wollen dich hier nicht”.
Und das Problem geht weit über People-of-Color hinaus. Auch übergewichtige Menschen, Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer und Menschen mit anderen körperlichen Einschränkungen haben mir schon oft dieselbe Leidensgeschichte erzählt. Wie sehr sie unter den starrenden Blicken leiden. Wie man alle Vorurteile förmlich durch die Köpfe rattern hört. Wie man objektiviert und abqualifiziert wird und andere sich das Recht herausnehmen, zu beurteilen, wie wertvoll man ist – wobei die Selbsteinschätzung keine Rolle spielt, weil die Gaffer und Gafferinnen das natürlich mit sich selbst und ihren eigenen Vorurteilen ausmachen können. Auf diese Art angestarrt und evaluiert werden, fühlt sich an wie nackt ausgezogen zu werden.
Unsere Vorurteile schaffen Gräben zwischen uns und kosten uns viele wunderschöne Momente, die wir sonst miteinander haben könnten.
“Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann” muss aufhören. Wir können Menschen, die optisch in gewissen Gegenden nicht der Norm entsprechen, nicht wie wandelnde Freakshows betrachten. Wir können nicht die Persönlichkeit und das Wesen unserer Gegenüber von ihrem Aussehen ableiten. Ich kenne bestimmt gleich viele hinterlistige Arschlöcher in Anzügen wie in Jogginghosen; von der Hautfarbe will ich gar nicht erst anfangen. Kleider machen keine Leute. Aussehen ersetzt nicht Charakter. Fassaden sind keine Menschen.
Unsere Vorurteile schaffen Gräben zwischen uns und kosten uns viele wunderschöne Momente, die wir sonst miteinander haben könnten. Am meisten lernen wir immer von den Menschen, die sich am stärksten von uns unterscheiden. Ich persönlich würde mich übrigens einfach nur über ein Lächeln freuen – wenn ihr schon unbedingt starren müsst. Es ist noch nicht die bestmögliche Lösung, aber es erspart mir zumindest meine paranoiden Gedanken. Das ist das Mindeste, das ihr als Gaffende tun könnt.