Während des Vietnamkriegs warfen US-Militärflugzeuge tonnenweise Bomben wie diese auf Laos ab. Detonierende Blindgänger haben bereits geschätzte 20.000 Leben gefordert. Fotos von Nicolas Axelrod
Aus der The Sick Day Issue
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Tief im grün überwucherten Truong-Son-Gebirge in Laos zerrissen bei einem Dschungelbrand letzten Frühling plötzlich US-Streubomben die Luft. Ein 66-jähriger Bauer namens Somphone hatte das Feuer gelegt, um sein Land für den Reisanbau zu roden, und war dann geflohen. Die traditionelle Brandrodung macht jede Reissaison zu einem tödlichen Risiko: Nicht die brennende Flora ist gefährlich, sondern die Streubomben aus dem Vietnamkrieg. Das Feuer lässt Kugellager aus der Streumunition durch den Wald schießen. “Ich bin immer nervös, wenn ich Feuer lege”, sagt Somphone (der wie manche laotischen Bauern keinen Nachnamen hat). “Aber ich passe sehr gut auf.”
Die Fläche war etwa so groß wie ein Hockeyfeld. Als er mit der Rodung fertig war, konnte Somphone sieben oder acht ältere Bombenkrater ausmachen, die Hunderte Pfund US-Dynamit vor 40 Jahren in die Erde gerissen hatten. Streubomben sind anders: Sie detonieren über der Erde. Eine typische Streubombe, die CBU-24, verteilt 665 Bomblets, die Handgranaten ähneln und Menschen mit Kugellagern verletzen und töten sollen. Während des Vietnamkriegs ließen die USA 270 Millionen Streu-Bomblets auf Laos fallen. Die Blindgängerrate erreichte Schätzungen nach 30 Prozent, sodass heute bis zu 80 Millionen Bomblets in Laos verteilt liegen. Somphone sah nach, ob er in der Erde “Bombies” erkannte, wie die Laoten die Bomblets nennen.
In einem Krater fand er ein intaktes. Ein weiteres lag verrostet neben einem Stein. Noch eines neben einem verbrannten Baumstamm und eines halb in der Erde vergraben. Vorsichtig brachte Somphone die vier scharfen Bomben in eine Felsspalte. Dort konnte seine Familie nicht so schnell darauf treten. Die restlichen ließ er unberührt liegen. (Laut Bombenexperten können Bomblets detonieren, wenn man sie bewegt.) Später sammelte er die Hülsen von sechs detonierten Bombies ein und warf sie auf den Schrotthaufen hinter seiner Hütte. Laotische Bauern sammeln schon lange US-Bomben und -Treibstofftanks, um aus dem Metall Töpfe, Pfannen, Zäune und Kanus zu machen. In Somphones Dorf Ka Toh stehen die Hütten auf Streubombenkanistern. Darauf prangen ihre Herkunftsorte: DALLAS, TEXAS und CAMDEN, ARKANSAS. Das Metall hat den Schrotthandel angekurbelt und armen Laoten eine gefährliche Einkommensquelle beschert.
Vor einem halben Jahrhundert lag das Dorf Ka Toh auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad, einem Netzwerk aus Wegen und Straßen, das die Nordvietnamesen während des Vietnamkriegs stärker nach Laos und Kambodscha ausbauten. Damit umgingen sie die gut befestigte, entmilitarisierte Zone in Vietnam und konnten Vorräte, Waffen und Truppen nach Südvietnam schleusen, um die kommunistischen Vietcong zu unterstützen. Um den Versorgungsweg abzuschneiden, ließen die USA zwischen 1964 und 1973 vier Milliarden Pfund Kampfmittel auf Laos fallen. Das Meiste landete auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad, den die USA teilweise zur Free-Fire-Zone erklärten. Hier setzten sie eine der neuesten Waffe ein: den B-52-Bomber.
Damals flohen Somphone und andere Dorfbewohner in eine große Berghöhle, um den Bomben zu entkommen. “Als wir zurückkamen, waren alle Bäume weggebombt”, sagt er und zeigt die unbefestigte Straße hinauf, die mitten durchs Dorf verläuft. “Es gab nur noch Schlamm und Krater. Von hier bis weit, weit dort hinten.”
Laos war während des Vietnamkriegs neutral, und doch ist es heute das Land mit den meisten Bomben pro Einwohner. Der Dschungel ist inzwischen nachgewachsen und hat die Narben des Kriegs verschluckt—und auch die Blindgänger, international „UXO” (Unexploded Ordnance) genannt, überwuchert. Die tödlichen Überbleibsel haben seit Kriegsende bereits 20.000 Leben gefordert. „Hier gibt es viele Bomben”, sagt Ton Keoduangdee, Dorfoberhaupt von Ka Toh. „Wo auch immer sie nicht entfernt worden sind, wo keine Leute hingehen, da liegen Bomben.”
Diesen Monat hat Barack Obama als erster amtierender US-Präsident Laos besucht. Das sozialistische Land liegt zwischen Vietnam und Thailand. Obama reiste in die Hauptstadt Vientiane, weitab von der nagenden Armut der entlegenen Dörfer, von denen manche aufgrund ihrer vielen Krater wirken, als lägen sie auf dem Mond. Doch das Vermächtnis des Vietnamkriegs zu bewältigen, gehört schon länger zu Obamas Agenda. In seinen letzten Jahren im Weißen Haus hat seine Regierung sich bemüht, die Beziehungen zu Ländern zu kitten, denen die USA in der Vergangenheit als Aggressor gegenübergetreten sind. In Laos hat sich dieser Einsatz in größeren Zuschüssen für die Räumung von Blindgängern und die Opferhilfe geäußert. Von 1995 bis 2013 stellten die USA im Durchschnitt jährlich 3,2 Millionen Dollar bereit. 2015 erhöhte das Außenministerium den Betrag auf 15 Millionen Dollar, und eine weitere Erhöhung wird erwartet.
Seit den 1990ern arbeiten NGOs daran, Blindgänger in Laos zu beseitigen, doch es gibt noch sehr viel zu tun. 2012 engagierte die US-Regierung HALO Trust, eine internationale Organisation für Minenräumung, und finanziert bis heute ihren Einsatz in Laos. Die 243 HALO-Mitarbeiter vor Ort—laotische Bauern, Mütter und junge Erwachsene—haben eine Ausbildung als Bombentechniker erhalten. Sie schlafen auf Feldbetten in Zelten und bekommen umgerechnet etwa 300 Euro im Monat, was ungefähr dem Dreifachen des Mindestlohns entspricht.
Wir fahren in einem HALO-Fahrzeug einen Schotterweg entlang. Ein alter Mann in dunkelgrüner Uniformkleidung winkt hektisch vom Eingang seiner Hütte. Als wir halten, eilt er aufs Auto zu, in den ausgestreckten Händen eine schwarze Stofftasche. Er ruft immer wieder: “La berd! La berd!” Lao für “Bombe”. Der Fahrer und der Dolmetscher bringen ihn mit Rufen zum Stehenbleiben, als er nur noch einen Meter entfernt ist. Er soll die Tasche vorsichtig auf den Boden legen. Richard Bower, der HALO-Koordinator für Laos, steigt aus und der alte Bauer öffnet den Beutel. Eine konisch geformte Bombe.
“Davon gibt es viele auf meinem Land”, sagt er. Am nächsten Tag führt er HALO-Mitarbeiter auf sein Grundstück, wo sechs scharfe Bomblets aus Streubomben in der Erde liegen. Das Team detoniert sie unter der Aufsicht der Teamleiterin Lapoukham Vilaiveng. Sie ist Laotin, keine 1,50 Meter groß, und strahlt reichlich Autorität aus. Sie trägt Körperpanzerung, ein Plexiglasvisier, und an ihrer rechten Schulter prangt ein Totenkopfaufnäher über einer US-Flagge. Mehr als 1.000 Bomben hat sie bereits detoniert, schätzt sie. “Es ist riskant”, sagt sie, „aber man wird immun dagegen. Vor zehn Jahren fand mein Schwager ein Bombie. Er spielte damit und sprengte sich in die Luft.” Ihr Mann ist Teil eines anderen HALO-Detonationsteams. “Das hier ist mehr als ein Job für uns. Es ist eine moralische Pflicht.”
HALO teilt Teams in die Bereiche Erfassung und Räumung ein. Alle stehen bei Tagesanbruch auf, legen Körperpanzerung an und setzen Metalldetektoren zusammen. Erfassungsteams scannen ein Gebiet, um die Kontamination mit Blindgängern einzugrenzen. Wo ein Bomblet liegt, geht man davon aus, viele mehr zu finden. Räumungsteams folgen ihnen, suchen jeden Zentimeter des Bodens ab und detonieren alle Kampfmittel.
An einem Nachmittag wiegt Vilaiveng C4-Sprengstoff ab: 50 Gramm des weißen Knetgummis für jedes BLU-26-Bombie, auf das ein Bauer das Team am Morgen aufmerksam gemacht hat. Sie wickelt das C4 in Isolierband und schließt es in eine Werkzeugkiste. Damit geht es durch den lichten Regenwald zu dem halb gerodeten Hügel, wo das BLU-26 liegt. Das Detonationsteam legt Erdsäcke über das Bombie und rollt dann 140 Meter Zünddraht aus. Vilaiveng geht neben dem C4-Sprengsatz auf dem Bomblet in die Hocke und drückt die Zünddrähte hinein. An der Zündstelle angekommen fädelt sie den Draht in einen Zünder. Ein Mann neben ihr zählt in ein Walkie-Talkie. „Drei. Zwei. Eins.” Das C4 detoniert, schleudert Erdsäcke in die Luft und zerreißt sie mit Kugellagern.
Streumunition wie diese macht 71 Prozent der 25.531 UXO-Objekte aus, die HALO Trust bisher geräumt hat. Mindestens ein Drittel der 826 Bombentodesfälle in Laos seit 2008 ist durch sie verursacht.
“Laos und Vietnam sind recht einzigartig”, sagt Susanna Smale, die HALO-Programmleiterin für Laos. “Eine derartige Kontamination mit Streumunition gibt es sonst nirgends.” Das Übereinkommen über Streumunition von 2010 haben 119 Nationen unterzeichnet. Es verbietet den Einsatz von Streubomben aufgrund der langfristigen Schädigung von Zivilisten nach Kriegsende. Am 30. Juni 2016 verkündete Frankreich, es habe seinen kompletten Streumunitionsbestand von 15 Millionen Bomblets zerstört. Die USA sind nicht Teil des Übereinkommens, und laut Amnesty International hat das US-Militär Streubomben jüngst 2009 im Jemen eingesetzt. Allerdings hat man angekündigt, das Militär werde in Zukunft nur noch Streubomben mit Blindgängerraten von unter einem Prozent verwenden.
Jahrelang räumten NGOs Gebiete in Laos auf Anfrage der Einwohner, ohne zu wissen, wo die meisten Blindgänger liegen. “Es wurde deutlich, dass wir die Bomben nie loswerden würden, wenn wir weiter nur auf Anfrage räumen”, erklärt Smale. Als man einsah, dass ein systematisches Vorgehen effizienter wäre, wurde für 2017 eine Ist-Analyse mit Geldern des US-Außenministeriums angesetzt. Diese soll das Ausmaß der UXO-Kontaminierung in Laos ergründen und Gebiete zur Räumung priorisieren. Doch wie so oft bei Projekten in diesem armen Land könnte es schwierig werden, ausreichende Mittel zu sichern, um die Analyse und Räumung über sechs oder sieben Jahre durchzuführen.
Die UXO-Räumung von HALO Trust eröffnet den Laoten neues Ackerland. Doch bis vor Kurzem war für die Bauern entlang des Pfades das Sammeln und Verkaufen von Metallschrott aus detonierten Bomben und Blindgängern die Haupteinkommensquelle. Mit US-Schrott ließ sich besser handeln als mit Reis. Ein starker Rückgang der Schrottpreise in Laos (auf unter 20 Prozent des Höchstwerts) und Gesetze gegen Kriegsschrotthandel haben den Laoten entlang des Ho-Chi-Minh-Pfads schwer zugesetzt. “Niemand kauft noch”, sagt Sumta, 55, der einst Bomben und Blindgänger an vietnamesische Schrotthändler verkauft hat.
Mit dem Geld konnte Sumta seine sechsköpfige Familie ernähren. Selbst seine Hütte mit dem Blechdach hat er so bezahlt. Sein Dorf Kokmak liegt inmitten von 66 Kratern, manche davon acht Meter im Durchmesser. Heute kann die Familie nur noch die 30 bis 50 Säcke Reis verkaufen, die sie jährlich von ihrem kleinen Grundstück erntet. „Es reicht nicht zum Überleben”, sagt Sumta. Als ich ihm begegne, kommt er grinsend mit einer Zwille aus dem Regenwald. Er habe einen Vogel geschossen, sagt er. Als ich ihn sehen will, wird das Lächeln breiter. “Ich habe ihn schon gegessen.” Der Hunger ist noch immer ein großes Problem in der Region. Die Laoten sammeln Pilze und Bambus im Dschungel und jagen mit Vorderladergewehren Vögel. 2005 beauftragte UNICEF das Genfer Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung zu einer Studie, die ergab, dass in einem von drei erfassten Bezirken 70 Prozent aller Familien Kriegsschrott sammelten und verkauften.
“Was hätten wir sonst tun können? Wir brauchen das Geld.”
In den vergangenen zehn Jahren hat das tödliche Folgen gehabt. In Kokmak hat der Schrotthandel bereits drei Leben gefordert. Drei weitere Menschen starben im Dorf Gaang, vier in Pakay, und in Ka Toh, wo Somphone zwischen Streubomben Reis anbaut, haben UXO vier Kinder und zwei Erwachsene getötet. “Wir haben das Metall verkauft oder gegen Kleidung und Essen getauscht”, sagt Somphone. “Wir hatten nicht genug Essen.” 2007 fand sein ältester Sohn, Koi (37), eine Bombe im Dschungel und brachte sie nach Hause, um sie auseinanderzunehmen und zu verkaufen. Sie sah aus wie ein großes Geschoss. Er schlug mit einer Machete auf den Zünder und explodierte mitsamt seiner Hütte. Das Dorfoberhaupt von Ka Toh bestätigt, die Verzweiflung der Dorfbewohner habe sie zum Schrottverkauf gebracht „Als der Preis noch hoch war, ging das ganze Dorf auf Schrottsuche. Was hätten wir sonst tun können?”, fragt er. “Wir brauchen das Geld.”
US-Bomben kontaminieren nicht nur das Ackerland, sie behindern auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. In einer Eisenmine entlang des Pfads, die in chinesischem Besitz ist, haben Bomblets die Produktion verlangsamt. Vor dem Bau des Nam Theun 2, einer Wasserkrafttalsperre in der Region, mussten Bomben geräumt werden. Ebenso, als eine europäische Papierfirma eine Eukalyptusplantage pflanzen wollte, und als in Ka Toh eine Schule gebaut wurde. Kein Entwicklungsprojekt ohne UXO-Räumung.
Die laotischen Bauern sehen keinen anderen Weg aus der Armut, als darauf zu warten, dass die Laster der vietnamesischen Schrotthändler zum Ho-Chi-Minh-Pfad zurückkehren. „Wenn der Metallpreis wieder steigt”, sagt das Dorfoberhaupt und lacht, „dann machen wir uns definitiv wieder auf die Suche nach Bombenschrott.”