Deutschrap fehlten in den letzten Jahren Schwarze Perspektiven. Bis 2017 das Label BSMG, die “Black Super Man Group” genau zur richtigen Zeit ihr Album Platz an der Sonne veröffentlichte. Megaloh, Musa und Ghanaian Stallion repräsentierten seitdem die afrodeutsche Sicht auf Deutschland. Eine postkoloniale Sicht. Das Album war gleichzeitig das erste Release von Musa.
Musas Kindheit glich einer Odyssee. Er wurde in Berlin geboren, hatte jedoch keinen deutschen Pass, wurde als Kind ausgewiesen, ging zuerst in die USA, dann weiter nach Sierra Leone, ins Heimatland seiner Eltern. Dort brach 1991 ein Bürgerkrieg aus. Musa kam mit seiner Mutter zurück nach Berlin, studierte, beschäftigt sich mit Musik und Politik. Im März hat er nun sein Debütalbum veröffentlicht. Auf Berliner Negritude verarbeitet er seine Erfahrungen mit Heimat und Ausgrenzung, Rassismus, aber auch mit dem guten Leben in Berlin, und greift dafür auf Genres wie Afrobeat und Trap zurück. Wir haben uns mit ihm vor dem Ministerium für Inneres, Bau und Heimat, besser bekannt als “Heimatministerium”, getroffen, um zu verstehen, wie es sich in einer Heimat aushalten lässt, in der er Rassismus erfährt.
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Vice: Wir stehen gerade vorm Hauptsitz des Deutschen Innenministeriums, das seit 2018 auch das “Heimatministerium” ist. Was ist das erste Wort, das dir dazu einfällt?
Musa: Unglaublich.
Warum?
Letztes Jahr, ich war gerade in Sierra Leone, habe ich irgendwas davon auf Facebook gelesen. Irgendjemand hat das Logo des Ministeriums gepostet. Ich dachte zuerst, das ist ein Spaß.
Gerade gibt es eine Debatte darüber, dass migrantische Personen mit der Frage “Wo kommst du her?” nicht in Ruhe gelassen werden, wenn sie sagen, dass sie “aus Deutschland” antworten. Du wurdest in Deutschland geboren. Was antwortest du diesen Menschen?
Ich habe mich an viele Sachen gewöhnt. Ich antworte den Leuten auf die Frage, dass ich zwar in Berlin geboren wurde, aber aus Sierra Leone komme. Ich weiß ja, worauf sie hinauswollen. Ich muss begreifen, was die Leute meinen. Für viele Leute hier ist es nicht so gängig, dass Menschen wie ich einwandfrei Deutsch sprechen. Ein Beispiel: In einem Gespräch zwischen Arbeitskollegen ging es um eine neue Kollegin, die aus Ägypten stammt. Als sie schon Feierabend hatte, sagte eine andere Kollegin, dass sie dafür, dass sie aus aus Ägypten kommt, ja ganz normal aussieht. Die Anderen haben dann gelacht. Ich habe begriffen, dass sie dunkelhäutig nicht als normal empfinden. Die erste Assoziation mit dunkler Hautfarbe ist: “nicht Deutsch”. Aber “I zero my mind”. Ich lasse mich nicht auf jede Situation ein.
Du sagst das, weil du weißt, worauf die Leute hinauswollen …
Es kommt darauf an, wo ich bin. Auf Arbeit scheiße ich drauf, ich brauche das Geld gerade. Ich habe mich daran gewöhnt, mich davon nicht abfucken zu lassen. Das raubt mir nur die Nerven und es kostet Zeit. Du musst den Leuten von Anfang an alles erklären, deine ganze Geschichte erzählen.
Erwarten Leute von dir diese Erklärung?
Wenn ich mich über Rassismus aufrege, dann muss ich mich erklären. Ich glaube, ich kann ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr ruhig bleiben. Ich raste dann aus. Das ist für die Leute irrational und dann muss ich versuchen, meine Standpunkte ruhig zu erklären. Du redest in Deutschland als Schwarzer über Rassismus, aber du musst erklären, warum du davon genervt bist. Leute beleidigen einen als “N****” und du musst dann erklären, warum die dieses Wort nicht benutzen sollen.
Gerade ist der Essayband Eure Heimat ist unser Albtraum, herausgegeben von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah, erschienen. “Eure Heimat” ist dabei auch auf das bezogen, wofür das “Heimatministerium” steht. Was hältst du von dem Titel?
Titel treiben es auf die Spitze. “Albtraum” halte ich für ein krasse Wort. Wenn die das so empfinden, ist es aber völlig legitim. Ich würde mein Album nicht so nennen und das auch nicht rappen. Deutschland ist kein Albtraum für mich. Aber Rassismus und Diskriminierung in jeglicher Form gibt es hier. Das ist die Realität. Das macht es hier nicht automatisch zum Albtraum, das gibt es auch in anderen Ländern. Aber es ist ein Problem, das angegangen werden muss.
Die Autorin Sharon Dodua Otoo schreibt in einem Text über ihren Sohn, sie habe versucht, ihn für den Rassismus, der ihn erwartet, zu wappnen. “Rassismus” zu benennen, steht im Text, ist eine Waffe. Inwiefern haben dich deine Eltern darauf vorbereitet?
Als ich klein war und mit meinen Eltern in Deutschland war, haben sie mir gesagt, dass ich hier in Deutschland zweimal so gut sein muss. Es gibt Rassismus, Leute denken, du bist “ein dreckiger Afrikaner”. Sie haben mich dazu motiviert, das Beste aus meinen Möglichkeiten zu machen. Das habe ich früh begriffen und auch keine Alternative gesehen. Im Detail gegen Rassismus vorzugehen, haben meine Eltern mir nicht beigebracht. Das musste ich selber lernen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen meinen Eltern und mir.
Welchen Unterschied?
Meine Eltern, und auch andere Verwandte, sind aus Ländern nach Deutschland gekommen, in denen sie wenige Möglichkeiten hatten. Hier sehen sie die neuen Möglichkeiten und das ist etwas Positives. Obwohl sie auch Rassismus erfahren. Ich bin jemand, der deutsch ist, der hier geboren wurde. Ich bin Deutscher. Warum machen einige aufgrund meiner Hautfarbe so ein Ding daraus? Ich suche wahrscheinlich mehr nach Akzeptanz in dieser Gesellschaft als meine Eltern. Mir geht Rassismus und mir gehen rassistische Strukturen näher.
Gab es früher deutsche Rapper, mit denen du dich identifizieren konntest?
Ich habe Eins Zwo, die Beginner und so weiter gehört. Der erste Rapper, mit dem ich mich identifizieren konnte, war Samy Deluxe. Der war lange Zeit einer, den ich sehr gefeiert habe. Er hat mit den Brothers Keepers dann auch Schwarze Perspektiven repräsentiert. Das war richtig geil. Samy und Afrob fand ich cool.
Hast du das Gefühl, dass es im Deutschrap genug schwarze Perspektiven gab und gibt?
Damals habe ich mir nicht so viel Gedanken darüber gemacht. Samy Deluxe und Afrob haben ja superviel Hype gehabt und waren erfolgreich. Der krasseste Rapper in Deutschland damals war Schwarz. Es gab auch niemanden in der Szene, der das N-Wort gedroppt hat. Savas war dann derjenige, der plötzlich “Nigger” in seine Texte eingebaut hat.
Und wie ist es heute?
Es gibt viele Araber, Türken und Deutsche, die rappen und bekannt sind. Aber es gibt kaum Schwarze Rapper, die durchstarten, obwohl viele Leute auf hohem Niveau rappen. Ich frage mich, warum das nicht passiert.
Hast du auf die Frage eine Antwort gefunden?
Es ist eine schwierige Sache. In den USA können Schwarze Rapper stattfinden, weil es dort genug Hörer gibt, genug Leute, die sich damit identifizieren können. Und die Weißen verstehen die Schwarze Kultur auch. In Deutschland ist es dagegen so, dass wir Schwarze Rapper wenig Identifikationsfläche bieten. Die Meisten identifizieren sich eher mit 187 Strassenbande, Marteria oder Casper oder dem Straßenrap von Arabern und Türken. Die Frage ist, warum die Musikindustrie oder Musikmedien die Qualität nicht trotzdem pushen, warum Schwarze Künstler nicht auch aufgebaut werden. Ich will dazu aber auch keine voreiligen Aussagen treffen. Einige Leute sind ja gesignt. Eunique zum Beispiel.
In den letzten beiden Jahren ist die Bezeichnung “Afrotrap” aufgekommen. Der afrofranzösische Rapper MHD hat sie geprägt. In Deutschland wird das Genre aber vor allem Künstlern zugeordnet, die keinen afrikanischen Background haben. Was hältst du davon?
Angefangen hat das ja mit Palmen aus Plastik und “Ohne mein Team”. Raf Camora und Bonez haben diese Musik immer gefeiert und beschäftigen sich damit. Ich habe den Song das erste Mal live gehört. Da war das Video noch nicht mal veröffentlicht. Ich habe damals verstanden, was die Jungs machen wollen, denn sie sind ähnlich inspiriert wie wir. Ich konnte das wertschätzen, unabhängig davon, was ich über die Texte denke. In den Medien wurde der Sound dann als Afrotrap bezeichnet. Leute brauchten einfach einen Titel, ohne wirklich zu begreifen, was das bedeutet. Hierzulande glauben Leute, der Sound wurde in Shishabars erfunden, und das ist weit weg vom ursprünglich Schwarzen Sound.
Was ist eigentlich die “Berliner Negritude”?
Der Begriff bedeutet Schwarze Attitüde. Das ist ein wissenschaftlicher Begriff, den ein senegalesischer Professor geprägt hat. Ich fand das Wort schon lange cool. Das bezeichnet mein Mindset, das Mindset des Albums.
Aber was ist dieser Mindstate?
Ich kann das schwer in Worte fassen. Es ist das Gefühl, sich selbst zu definieren. So wie die Autorinnen und Autoren in Eure Heimat ist unser Albtraum. Das ist meine Art. Es ist ein selbstermächtigender Begriff.
Und was ist “Asoziale Solidarität”, die du in einem Song benennst?
Das ist meine Solidarität: Ich verstehe, warum Ausländer in Deutschland kriminell werden, warum Leute bestimmte Dinge tun müssen, weil sie aus bestimmten Situationen kommen. Das ist meine Solidarität mit Menschen, die in der Gesellschaft als asozial gelten. Es ist wichtig, die Hintergründe zu beleuchten. Warum werden Menschen überhaupt “asozial”? Das ist die Frage.
Du hast dich gerade an der Botschaft von Sierra Leone beworben. Warum gerade dort?
Ich war immer hin- und hergerissen zwischen Musik machen und studieren. Meine Mutter macht einen Riesenstress, also muss ich das zu Ende bringen. Der Job in der Botschaft ist einfach eine Fortführung meiner akademischen Karriere. Ich versuche auch weiter Musik zu machen, aber leben kann ich davon momentan nicht.
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