Die deutsche YouTuber-Szene ist schnell durchgespielt, täglich werden massenweise Let’s Plays, VLogs, Pranks, Tutorials, Unboxing-Videos und Produktvorstellungen ins Netz geladen. Formate etablieren sich rasend schnell und was gut funktioniert, wird kopiert. Bei viralen Trends hinkt die deutschsprachige Szene immer noch etwas hinterher—die beliebtesten Formate kommen meist zuerst aus den USA.
Was macht ein erfolgreiches YouTube-Video im Jahr 2016 aus? Es muss mit möglichst wenig Aufwand möglichst schnell abgedreht sein, mit möglichst wenig Post-Produktion geschnitten und gerendert werden, die Community sollte möglichst immersiv mit eingebunden sein und das Format muss sich schon längst auf YouTube etabliert haben.
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Gerade der letzte Punkt greift natürlich einen Trend auf, der sich auch außerhalb von YouTube abspielt—auch im Kino sind Prequels und Sequels von etablierten Marken wie Star Wars, Herr der Ringe, Saw oder Hangover bei Produzenten und Filmstudios beliebt. Denn wenn es eine Sache gibt, die Marketing-Experten in unserem Jahrhundert gelernt haben, dann ist es, dass man vor allem durch die Wiederholung von bereits Gesehenem nochmal richtig viel Asche machen kann. Weil man das Publikum nicht an neue Geschichten gewöhnen muss und man auf bereits vorhandene Kostüme, Sets, Effekte und natürlich auch Marketing-Strategien zurückgreifen kann.
So ist das auch bei YouTube. Über den hauseigenen Signature Move, der sich oft in der sich immer wiederholenden Begrüßung zu Beginn des Videos manifestiert, finden vor allem die leicht zu bedienenden Formate schnell weltweite Abnehmer für Wiederholung—und das oft ohne Franchise-Kosten. So wird ständig gestohlen und kopiert, was das Zeug hält. „Der amerikanische, australische, englische oder französische YouTuber hat Erfolg mit einem Video? Dann mach ich das auch für meine deutschen Abonnenten und verkaufe es im Intro als glorreichen Einfall.” Selbst Begriffe werden immer seltener eingedeutscht, damit Videos auch International gefunden werden können und funktionieren. Nennt mich zu alt, aber zu den deutschen YouTube-Unwörtern des vergangenen Jahres zähle ich definitiv den „Prank”.
Format-Recycling ist in einer Welt, in der minütlich 400 Stunden Videoaufnahmen auf YouTube hochgeladen werden, ein absehbares Phänomen. Allerdings ist das keine Entschuldigung für eine exakte Mimikry, wenn Inhalt, Kameraeinstellung, Aussage und selbst der Video-Titel komplett übernommen werden.
Vor allem „Social Experiments” florieren auf den Kanälen und lassen die Kassen der YouTuber nur so klingeln: Hier werden die Gepflogenheiten von Rollenbildern, Gesellschaftsklassen und Geschlechtern mit einfachen Mitteln in vergleichsweise kurzen Videos auf die Probe gestellt. Immer geht es um das Zeigen von Reaktionen: Wie reagieren wir, wenn man aus Versehen oder mutwillig unser Smartphone zerstört, wie reagieren Reiche oder Arme, wenn ein Blinder die falschen Banknoten hinhält, und wie reagieren wir, wenn die Person vor uns abgehobenes Geld im Bank-Automaten vergisst? Natürlich gibt es auch extremere und verstörendere Videos—so wird auch die Reaktion getestet, wenn man ein fremdes Baby stiehlt.
Die Social Experiments sind nicht repräsentativ und wollen mehr unterhalten als aufklären—sie sind das Galileo von YouTube in den Fußgängerzonen deutscher Städte. Oft bedeuten die Videos auch einen Eingriff in die Privatsphäre durch das Zurschaustellen von Passanten-Reaktionen. Wie YouTuber Intimitäten ausbeuten, haben wir an anderer Stelle schon genauer beschrieben.
Eines der sogenannten Experimente hat eine besonders große Schlagkraft: Der Bitch-Test, der auch als Gold-Digger-Prank oder Fame-Bitch-Test bekannt ist. Das Phänomen ist seit Jahren ein weltweit klickfreudiges Format, das immer wieder auftaucht und YouTubern oftmals sechsstellige Views beschert.
Leon Machére – DER BITCH TEST | mit Locke!
Die Typologie des Bitch-Tests ist schnell erklärt: Ein junger Mann in einem eher unbedarften Outfit spricht ein Mädchen an und überrumpelt sie nach kurzem Smalltalk mit der Frage nach einem Date. Das Mädchen winkt ab, der Mann wiederholt seine Frage zur Sicherheit und erhält wieder einen Korb. Die meisten weiblichen Gegenparts sagen, dass sie einen Freund haben. Daraufhin springt der YouTuber entweder in ein teures Auto, lässt sich von zufällig vorbeilaufenden Fans zum gemeinsamen Selfie überreden oder bietet ihr viel Geld für schnellen Sex an—die Reaktion ist immer die gleiche: Eben noch das vom schlechten Flirt genervte Mädchen in einer festen Beziehung, auf einmal durch das Zeigen von Wohlstand oder Bekanntheit interessiert an einem Date oder mehr. Kurz bevor die beiden in einer sündigen Affäre abtauchen, löst der ehrliche YouTuber die Situation auf und konfrontiert das Mädchen mit ihrer „billigen” Reaktion. Er bezeichnet sie als Gold Digger, Fame Bitch oder Bitch und wendet sich lachend ab. „Like a Boss.”
PrankBros – BITCH TEST !!! – FAME BITCH
Ziel dieser Videos sind heteronormative Aussagen von Schwarz-Weiß-Denken unterster Schublade: Junge Frauen haben gerade dann Interesse an einem Mann, wenn er wohlhabend oder sehr bekannt ist, und junge Männer haben vor allem Erfolg bei Frauen, wenn sie mit ihrer Bekanntheit oder ihrem Wohlstand prahlen.
Die Bilder sind in den meisten Fällen klar inszeniert. Wo YouTuber oft entspannt mit den Rechten von Passanten umgehen, werden bei den Bitch-Tests die Gesichter der Frauen oft stark verpixelt oder geblurrt, auch die Stimme wird in manchen Fällen verfremdet. Anonymisierung als stilistisches Mittel sagt uns als Zuschauer, dass das Verhalten von jemandem so krass ist, dass die Person anders als „geprankte” Passanten unkenntlich gemacht werden muss. Der Wunsch, etwas verbergen zu wollen, sagt uns oft, dass man etwas zu verbergen hat.
Das Weltbild zeichnet sich auch in den Kommentaren der Zuschauer ab, die den Fake zwar öfter auch erkennen, die Aussage des Videos allerdings weiterfortführen:
Dass Reichtum oder gesteigerte Bekanntheit in unserer Gesellschaft als Statussymbole attraktivitätssteigernd wirken können, möchte ich gar nicht verneinen. Aber gerade die simple und massenweise kopierte Form dieses Formats schafft uns eine junge, reaktionäre Gesellschaft, in der die oberflächliche Vorstellung herrscht, Frauen seien Bitches und Männer müssten vor sogenannten „Gold Diggern” auf der Hut sein.
Der Erzählfaden der meisten YouTube-Videos ist möglichst dünn gehalten, damit man die Zuschauer ja nicht überfordert oder selbst mit einer etwas abweichenden Meinung aneckt. Generische Formate überspülen den Markt und die jungen Medienmacher und ihre Agenturen greifen sich das, was beliebt ist—auch, wenn der Inhalt stark fragwürdig erscheint.
Der Journalist Dirk von Gehlen macht in seinem Buch Mashup: Lob der Kopie eindeutig klar, dass das gelungene Mashup eines Werks gerade in Zeiten des Internets ein kreatives Kompliment an den Verfasser darstellen kann. Aber unablässlich für eine gute Kopie ist auch die klar zu erkennende Eigenleistung, in Form der Verfremdung oder der Weiterentwicklung einer Idee.
Klar, YouTube ist immer noch ein sehr junges Medium und es gibt auch Ausnahmeformate und YouTuber, die ihre spezielle Lücke im Markt gefunden haben. Aber wenn aus prognostiziert wackeligen Monetarisierungsgründen fehlende Risikobereitschaft entsteht, ist das keine förderliche Atmosphäre für erzählerische Innovationskraft und eine positive Zukunft von Diversität auf YouTube.