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Fleischskandale und Massentierhaltung

Glückliche Hennen findest du nicht im Supermarkt

Und wie abartig selbst „Bio“-Hennen gehalten werden, erzählt uns Umweltaktivist Marcus Müller.

Foto von ariwa.org

Marcus Müller ist Mitbegründer des SOKO Tierschutz e. V., einem gemeinnützigen Verein in Deutschland, der sich für die Rechte der Tiere, der Umwelt und des Verbraucherschutzes einsetzt. Marcus und seine Kollegen arbeiten mit moderner Technologie, Undercover-Einsätzen und Tipps von Whistleblowern. Für unsere Doku Sonderkommando Tierschutz, die ihr ab dem 07.08. auf VICE.com sehen könnt, haben wir sie in eine Geflügelfarm begleitet, .

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Vor 20 Jahren änderte ich mein Leben, vor 20 Jahren wurde ich vegan und beendete meinen Konsum aller Tierprodukte. Warum habe ich keinen anderen Weg eingeschlagen, warum zum Beispiel habe ich nicht zum reichhaltigen Bio-Sortiment gegriffen?

Zum einen war dieses Sortiment damals nicht so reichhaltig wie heute. Unter anderem weil Supermärkte noch nicht bemerkt hatten, wie profitabel die gesamte Bio-Masche überhaupt ist.

Zum anderen war ich auch damals schon Tierschutzermittler, wenn auch mit begrenzten Mitteln—neben der Schule und mit dem Fahrrad statt mit dem Auto—, und wollte hinter die Kulissen der Tierhaltung schauen. Was ich auch tat.

Eine meiner ersten Recherchen führte mich 1999 zu einer Kükenbrut für Bio-Haltung in Süddeutschland. Dort besuchte ich unter dem Vorwand, für ein Schulprojekt Fotos zu machen, eine Geflügelbrüterei. Ich wurde Zeuge, wie die Hühner in gewaltigen Brutschränken automatisch gedreht und gewendet wurden.

Vorbei war es mit meiner Illusion, das Küken hätte noch etwas mit der brütenden Henne zu tun. Am Schlupftag wird geschlüpft und, wie ich mit Entsetzen feststellen musste, auch sofort getötet.

Foto von SOKO Tierschutz

Die Tiere wurden nach dem Schlüpfen von speziellen Trupps sofort gesext—das heißt nach Geschlecht getrennt und entweder rechts oder links auf ein Fließband geworfen.

Rechts bedeutete: Repetierspritze für die Impfung. Links wurden die männlichen Hühner direkt ins Gas geschickt. Da sie keine Eier legen, sind sie relativ nutzlos für die Eierindustrie.

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Sie werden also vergast—oder, wie in vielen anderen Fällen, in Industriemaschinen zerhackt. Das nennt man auch Homogenisieren, erklärte mir ein Arbeiter. Auch für andere Tiere endete der Tag im Reißwolf—ich meine natürlich: Homogenisator. Jedes Tier, das zu langsam aus der Schale kam, zu schwach oder nicht „schön genug“ war, wurde zusammen mit den Eierschalen zerkleinert.

Neugierig fragte ich, woher denn die ganzen „Bruteier“ kommen. Von einem Elterntierbetrieb in der Nähe. Aber den können sie momentan nicht sehen, denn die sehen gar nicht gut aus, sind schon recht alt … meinte der Brütereichef.

Was „gar nicht gut“ und „alt“ bedeutet, das lernte ich auf meinen nächsten Recherchen.

Die Elterntiere, bei denen in der Regel noch nicht einmal Bio-Standards vorgeschrieben sind, leben in riesigen Hallen in Masse zusammengestopft. Das konnte ich nur durch den Belüftungsschacht beobachten, denn der Landwirt war über meine Neugierde weniger begeistert.

Sind diese Tiere ein Jahr alt oder älter, blickt man auf eine Masse nahezu federloser, teils verletzter, geschundener Kreaturen. Die Hennen waren nur noch Schatten ihrer Selbst, wandelnde Skelette mit Haut und etwas Federn. Bilder, die ich bisher nur aus den Käfigen der Legebatterien gewohnt war.

Foto von SOKO Tierschutz

Ich fragte nach dem Grund, die Bäuerin antwortete ehrlich und meinte, das wäre immer so. „Am Ende sind die alt und sehen eben nicht mehr gut aus.“ Ich recherchierte den Hintergrund und fand heraus, dass auch bei Bio-Hennen dieselben intensiven Hybridhuhn-Rassen eingesetzt werden, die einen auch durch die Gitter der Legebatterien anblicken. Völlig überzüchtete Hühner, auf maximale Legeleistung getrimmt, beste Legehennen Qualität „Made in Germany“. Die Rasse heißt LSL (Lohmann selected leghorn) und ist ein Exportschlager.

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Foto von 

Nun wollte ich natürlich noch das Ende der Bio-Hennen sehen. Immerhin könnte man erwarten, dass  diese Tiere ein besseres Schicksal haben als ihre konventionellen Artgenossen. Ich sah Farmen, bei denen sich die Klappen in den Außen- und Freilandbereichen selten öffneten. Mal war es zu nass, zu kalt, zu warm oder der Bauer hatte keine Lust. Freilandhaltung bedeutete nicht automatisch, dass die Hühner davon auch etwas haben. Denn fehlen zum Beispiel die Büsche und Bäume als schützende Deckung, bleiben die Hennen lieber im Massenstall.

Bei dem so genannten Ausstallen, dem letzten Weg der Bio-Hennen, bekam ich keine Besuchserlaubnis mehr. Also war ich im wahrsten Sinne des Wortes Zaungast, gut getarnt hinter dem Stacheldrahtzaun. Ich sah den üblichen Ablauf der Dinge. Greifertrupps, rekrutiert aus Osteuropa, fallen über die Farm her und stopfen die Legehennen in enge Käfige.

Hier wird endgültig die Bio-Maske fallengelassen, diese Hühner sind jetzt nur noch wenige Cent wert, zukünftige Suppenhühner. Im Ausland, wo die ausgemergelten Suppenhühner kein verwertbarer Artikel sind, ist man dazu übergegangen, die Tiere vor Ort bei der Farm in einen Reißwolf zu werfen. Ist der Tiertransporter voll mit Tausenden federlosen und abgemagerten Hennen, geht es auf die letzte Fahrt in einen ganz normalen Schlachthof.

Wenn du dir ein Bio-Suppenhuhn genauer anschaust, siehst du das herausstehende Brustbein—wie auf dem Bild der federlosen Legehenne, mit genau diesem nur knapp mit Haut bedeckten herausstehenden Brustbein—und weißt, was du isst.

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Marcus

Von der Idee „Bio“ ist nicht viel übrig geblieben außer teures biologisch produziertes Futter und Bilder vom lächelnden Bauer mit Strohhut auf der Packung. Vor den Bio-Farmen stehen genauso die Kadavertonnen aufgereiht, und so mancher Hühnerbaron, der vorher über ein Imperium aus Käfigbatterien herrschte, hat Bio- und Freiland für sich entdeckt. Denn die Labels mögen sich ändern, die Mentalität der Leute im Hintergrund hat sich nicht geändert. Auch Bio-Haltung bedeutet Ausbeutung bis zum Letzten.

Das Bio-Siegel ist ein gigantisches Ablenkungsmanöver, das den Leuten ihr schlechtes Gewissen nehmen soll. Kratzt man an der Oberfläche, kommen trotzdem Tierleid, Umweltverschmutzung und Raubbau an den Ressourcen unserer Erde zum Vorschein.

Die gleiche Geschichte erlebte ich auch bei Bio-Milch. Ich folgte den ihrer Mutter entrissenen Kälbern auf langen Tiertransporten, sah Bio-Kühe in Kettenhaltung. Bio-Fisch in Massentierhaltungen auf hoher See oder Bio-Schweine in Tierfabriken, die zum Himmel stinken.

Und nur mal ganz grundsätzlich, „Bio“ heißt eigentlich Leben. Bio-Tierprodukte bedeuten aber ein Leben weniger. Ein Leben eines geschredderten männlichen Kücken, eines Kälbchens, einer für Biomilch geschwängerten Kuh auf den Weg in den Schlachthof, eines Tierlebens, über das wir uns anmaßen, entscheiden zu dürfen.

20 Jahre später bin ich froh, damals den konsequenten Weg gegangen zu sein, egal wie extrem und unverständlich das für viele war. Heute ist Veganismus aus dem besten Weg zum Mainstream. Artfremde Tiermilch wird durch zahlloses Pflanzenmilchsorten, Sojajogurt oder Pflanzenkäse  (ja, mein Soja kommt aus Österreich, dein Futtersoja aus Brasilien) überflüssig. Und ich esse nach wie vor gerne Fleisch—aber eben aus Weizen, Soja, Lupinen oder Tempeh.