Warum Kobito wichtiger für Deutschrap ist, als er zugeben würde

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Warum Kobito wichtiger für Deutschrap ist, als er zugeben würde

Wir haben uns mit dem Berliner Musiker über Schubladendenken und Politikverdrossenheit im HipHop unterhalten

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​Deutscher HipHop hat sich in den letzten zehn Jahren von einer überschaubaren, fast schon familiären Szene zu einem omnipräsenten Massenphänomen entwickelt. Zwangsläufig gibt es heute also eine riesige Bandbreite an Rap-Musikern, die so gut wie jeden Winkel der Gesellschaft abdecken. Es gibt die Gangster, die Cloud, die YouTuber, die Acapella-Battler… Ein Bereich, der heute allerdings immer noch recht überschaubar und familiär erscheint, ist der politische Rap.

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Man muss direkt sagen: es entstehen viele politische Rap-Songs—vor allem in den letzten Jahren. Rapper positionieren sich​ immer häufiger politisch: Songs wie „Schellen"​ von Audio88 & Yassin, „32 Grad"​ von Fatoni, die höchst erfolgreichenSingles​ vom K.I.Z.-Album Hurra die Welt geht unter oder Eko Freshs​ „Freestyles" gegen die AfD​ oder Frauke Petry​ zeigen, dass irgendein Knoten geplatzt sein muss.

Auf der anderen Seite haben viele Musiker im HipHop Vorbehalte, sich und ihre Musik als politisch zu bezeichnen. Das geht zumindest aus einer Diskussionsrunde aus der neuen Juice hervor, für die sich Kalusha, Megaloh, Yassin und Kobito bei ein paar Bier über Politik im Deutschrap unterhalten haben. Tl;dr: Im Land von Advanced Chemistry und Anarchist Academy möchten die Leute über politische Themen rappen dürfen, ohne so richtig als politische Rapper wahrgenommen zu werden. Einzige Ausnahme in der Runde: Kobito.

Das ist bei dem Berliner kaum eine Überraschung, schließlich hat er in seiner mittlerweile zehn Jahre, drei Solo-Alben und zwei Bands überdauernden Karriere keine Fragen an seiner politischen Gesinnung und seinem Willen, diese nach außen zu tragen, offen gelassen. Ich habe Kobito neulich am Release-Tag seines neuen Albums Für Einen Moment Perfektgetroffen, um mich mit ihm über HipHop, seine Rolle als Quoten-Polit-Rapper und die Wichtigkeit von Aussage zu unterhalten.

Wir finden uns bei strahlendem Sonnenschein am Schlesischen Tor in Kreuzberg. In ein paar Stunden soll zur Feier des Albumreleases die „Anarche"​ mit einer Handvoll geladener Gäste in See stechen, um vom Rummelsburger See in die Stadt zu fahren. Um die Hauptstadt herum wüten Gewitter—eine Bootstour klingt nach einem gefährlichen Unterfangen. Spoiler: es wird alles gut gehen, wie so oft.

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Obwohl Kobito seit über zehn Jahren Musik macht, ist Für Einen Moment Perfekt erst sein drittes Solo-Release. Im Herbst geht es auf Tour, im „echten Leben" arbeitet der Berliner als Journalist—an Interviews hat er sich also mittlerweile gewöhnt. Ich frage ihn trotzdem, was ihm bei seinem momentanen Promo-Grind durch den Kopf geht.

„Es wird manchmal ein bisschen absurd in meiner Situation, wenn ich zu so krassen Themen des Lebens befragt werde, die eigentlich jeder für sich klären sollte. Mir wurde zum Beispiel die Frage gestellt: ‚Was tust du, um nicht an der Menschheit zu verzweifeln?', ‚Was ist Freiheit und was ist Glück für dich?' Das sind so Sachen, da denke ich mir: kann ich schon beantworten, aber vielleicht bin ich da auch nicht qualifizierter als der Typ da drüben auf der Straße, wer auch immer er ist. Dass sich dann sozusagen diese Relevanz auf alle Bereiche des Lebens erstreckt. Das verstehe ich manchmal nicht so ganz."

Es gibt dieses​ allgood-Interview mit Max Herre, in dem er erzählt, Tageszeitungen wollten zu Freundeskreis-Zeiten „plötzlich druckreife Statements" von ihm. Ein bisschen muss es wohl auch Kobito so gehen. Mit politischem Rap wissen die deutschen HipHop-Medien traditionell nicht unheimlich viel anzufangen, außer ihn in die inhaltsbetonte Schublade zu stecken und den Schlüssel gut zu verstecken. Man muss allerdings sagen: mittlerweile finden Acts wie Kobito, NeonSchwarz oder Sookee, die ihre expliziten politischen Aussagen einen, auch in der Juice oder der Backspin statt. Nur was man mit ihnen anstellt, darüber ist man sich immer noch nicht sicher.

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Neben den übertrieben tiefgründigen Fragen stört Kobito eben auch „diese Schubladisierung, der man offensichtlich nicht entkommen kann. Selbst wenn Leute sagen, dass sie das unangebracht finden, benutzen sie ja immer noch die Schublade, im Sinne von: eigentlich ist er gar nicht die Schublade, an die jeder denkt. […] Das ist ja schon sehr verflacht so. Und die Leute brauchen eben das eine Schlagwort. Nur so kann ein Magazin den Aufmacher machen ‚Musik nicht nur für Steineschmeißer'. Da ist das Wort Steineschmeißer drin und man denkt halt, ‚​Steineschmeißer? Was geht?'​ Irgendwie glaube ich, das ist ein ganz normaler Reflex den Leuten was anzubieten, wozu sie ein Verhältnis haben. Und das wird natürlich einer Künstlerpersönlichkeit niemals gerecht. Ist normal."

Hört man Für Einen Moment Perfekt stellt man sich auch manchmal die Frage, wie gerechtfertigt die Schublade „Polit-Rap" heute noch für das ist, was Kobito tut. Auf dem Album finden sich größtenteils Songs ohne direkte, explizit politische Message und einige wie zum Beispiel „Schlechter Scherz" thematisieren eher das Dasein eines „Zeckenrappers" als irgendwelche tagespolitischen Prozesse. Auf die Frage, ob er sich eher als jemanden sieht, der sich Musik zu Nutzen macht, um eine politische Message zu verbreiten, oder als einen Künstler, dessen politisches Bewusstsein mit in die Musik fließt, antwortet er „definitiv Zweiteres."

„Ich hab' vor ein paar Jahren so einen Track gemacht, ‚Du gibst deiner Welt 'nen Ruck'​ hieß der. Den würde ich heute nicht mehr so machen, auch wenn der noch gar nicht so lange draußen ist." Natürlich finden sich auf seinem neuen Album auch Tracks wie „Walking Deutsch", in dem Pegida auf „The Walking Dead" trifft, und umso weiter man in seiner Diskografie zurückgeht, desto expliziter werden die Aussagen. Interessanterweise hatte sein größter Hit „Augen Zu"​, den er gemeinsam mit Sookee als Deine Elstern herausbrachte so gut wie keinen politischen Inhalt. Heute nennt er den Titel halb-ironisch „Berghain-Rap"—ist ihm „Augen Zu" rückblickend zu seicht? „Nein, ich bin bis heute sehr zufrieden. Da kamen dann plötzlich auch ganz andere Angebote, aber wir wollten da jetzt nicht zu krass drauf rumreiten. Es gab zum Beispiel nie ‚Augen Zu 2'."

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Das Treffen zeigt Kobito als einen Künstler, kaum als Kunstfigur. Er möchte sich ausdrücken, ohne sich eingrenzen zu lassen. Er erfindet sich immer wieder neu, auch wenn er für die meisten immer der Zeckenrapper bleiben wird, obwohl es natürlich deutlich zeckigere Rapper​diesseits des schwarzen Blocks gibt. Fühlt er sich denn immer noch wohl im Rap, obwohl er ja irgendwie eine verkannte Figur ist? Interessiert ihn noch, was in der Szene geschieht?

„Voll, ich bin ja auch ein riesiger HipHop-Fan. Ich liebe die Musik und ich liebe die Kultur. Ich habe nur das Gefühl, dass speziell bei so Beef-Geschichten … Da kommt dann irgendein letzter Vollhampel um die Ecke—wenn er ein Konzert geben würde, würden da vielleicht 40 Leute stehen—, schreit den anderen an und sagt „Ich ficke deine Mutter" und das ist dann mega relevant, geht überall rum. Es gibt einfach Leute, die werden in der Szene als relevant angesehen, weil die irgendwann Mal was gutes gemacht haben, leisten aber schon seit Jahren keinen wirklich coolen Beitrag mehr, aber die sind dann schonmal etabliert. Wenn jetzt MOK was sagt, dann schreiben die alle. Da frag ich mich halt so: möchte ich wirklich zu diesem Kreis dazugehören oder interessiert mich das überhaupt? Und nein, nicht mal ansatzweise. Ich habe das auch schonmal an anderer Stelle gesagt: Ich bin ja nicht alleine. Ich hab ein mega gutes Team um mich herum, die teilweise seit zehn Jahren mit mir arbeiten. Ist ja alles cool, ich habe nur ein wenig aufgegeben für diese Rap-Kiddies irgendwie relevant zu werden, weil ich glaub dafür bin ich auch nicht kontrovers genug. Dafür sage ich nicht genug krasse Sachen oder bin menschlich total der abgeklärte Typ, normal und umgänglich. Und wenn du nicht hin und wieder sagst ‚Wenn der kommt hau ich ihm auf die Fresse', dann wirst du eben kleiner sein."

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Noisey präsentiert Kobito auf Tour:

27.10.16 Nürnberg - z-bau
28.10.16 Chemnitz - Atomino
03.11.16 Marburg - Trauma
04.11.16 Essen - Weststadthalle
05.11.16 Landau - Fatal
10.11.16 Mainz - Schon Schön (+ Finna)
11.11.16 Karlsruhe - Kohi (+ Finna)
12.11.16 Konstanz - Kulturladen
17.11.16 Flensburg - Kühlhaus (+ Finna)
18.11.16 Rostock - Zwischenbau (+ Finna)
19.11.16 Kiel - Hansa 48 (+ Finna)
24.11.16 Münster - Skaters Palace (+ Finna)
25.11.16 Braunschweig - Nexus (+ Finna)
26.11.16 Bremen - Schlachthof - No Filler, All Killer (+ Neonschwarz, Waving The Guns & Finna)
02.12.16 Kassel - Schlachthof
03.12.16 Lübeck - Treibsand
08.12.16 München - Feierwerk (+ Haszcara)
09.12.16 Würzburg - Café Kairo (+ Haszcara)
10.12.16 Göttingen - T-Keller (+ Haszcara)
15.12.16 Dresden - Ostpol
16.12.16 Kobito @ Hamburg - Molotow (+ Finna. Aftershow: Lenki Balboa)
17.12.16 Berlin - Privatclub (Tourabschlusskonzert + Aftershow)