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Homophobe Hexenjagd: Wie vier Frauen unschuldig für satanischen Kindesmissbrauch verurteilt wurden

Die vier lesbischen Frauen aus Texas wurden im Zuge der zutiefst homophoben 'Satanic Panic' der 90er ungeheuerlicher Verbrechen beschuldigt—nun kämpfen sie für einen Freispruch.

Von links nach rechts: Elizabeth Ramirez, Kristie Mayhugh, Anna Vasquez und Cassandra Rivera | Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Deborah S Esquenazi Productions, LLC

Es gibt vermutlich wenige falsche Anschuldigungen, die so schlimm sind, wie die des sexuellen Kindesmissbrauchs—vor allem wenn man deswegen auch noch für mehr als ein Jahrzehnt unschuldig ins Gefängnis muss.

Diese Hölle mussten ein paar Dutzend Menschen in den USA im Zuge einer Massenhysterie wegen angeblicher Kindesmissbrauchsfälle durch Satanisten in den 1980ern und 90ern durchmachen. Unzählige Gerüchte und eine mediale Hexenjagd—gefolgt von wilden und oft komplett absurden Anschuldigungen seitens kleiner Kinder, die falsche Experten ihnen methodisch entlockt hatten—schickten Erzieherinnen und Erzieher aus den gesamten Vereinigten Staaten ins Gefängnis. Von der Vorschule der Familie McMartin in Los Angeles—damals der längste Strafprozess der US-Geschichte, der fast ausschließlich mit Freisprüchen endete—bis zur Saga um die Kindertagesstätte der Amiraults in Malden, Massachusetts, wo den Staatsanwälten zufolge rund 40 Kinder "an Bäume gebunden, mit Messern penetriert und von einem 'bösen Clown' in einem 'Geheimzimmer' gefoltert wurden"—es war eine finstere Zeit in den USA.

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Oft war die Panik von Homophobie durchzogen. Da gab es zum Beispiel den Prozess gegen Bernard Baran: Der junge Erzieher hatte gerade erst in seiner kleinen Gemeinde in Massachusetts sein Coming-out gehabt, als eine homophobe Familie ihn beschuldigte, ihr Kind vergewaltigt zu haben. (Er verbrachte 21 Jahre im Gefängnis, bis er entlassen und schließlich freigesprochen wurde.) Oder nehmen wir die Erzieherin Kelly Michaels, die zu 47 Jahren Haft wegen sexuellen Missbrauchs von 20 Kindern in 115 Fällen verurteilt wurde. Michaels sagte, als die Polizei ihre Wohnung betreten und gesehen habe, dass sie sich mit ihrer Mitbewohnerin ein Bett teilte, habe sie gewusst, dass sie in Schwierigkeiten steckte.

Homophobie steckte auch hinter den Anklagen gegen Elizabeth Ramirez, Kristie Mayhugh, Cassandra Rivera und Anna Vasquez, vier lesbische Latinas, die kaum aus ihrer Teenagerzeit heraus waren und von denen zwei selbst kleine Kinder hatten. Sie wurden 1994 festgenommen, weil ihnen satanistisch motivierter sexueller Kindesmissbrauch vorgeworfen wurde—und das in San Antonio, einer Stadt, die selbst im südlichen Texas der 90er durch ihre Homophobie hervorstach. Wie schon in früheren Fällen von Lesben und Schwulen, denen satanistischer Kindesmissbrauch vorgeworfen wurde, wurden die Angeklagten laut Kritikern von den etablierten LGBT-Organisation hängengelassen. Wie der aktuelle Verteidiger der vier Frauen, Mike Ware, mir erklärte: "Damals waren die meisten LGBT-Gruppen selbst noch stark an den Rand der Gesellschaft gedrängt, zumindest in San Antonio und Umgebung. Darum war man auch sehr widerwillig, sich in etwas einzumischen, das mit einer Sexualstraftat zu tun hatte."

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Die Vorwürfe gegen die vier Frauen (Ramirez und Mayhugh wohnten zusammen, Vasquez und Rivera waren mit ihnen befreundet) kamen von Liz Ramirez' beiden Nichten, sieben und neun Jahre alt. Ihre Geschichten, wie die vieler Kinder in diesen Fällen, waren in sich extrem widersprüchlich. Die Mädchen hatten Berichten zufolge einige Jahre zuvor bereits ähnliche Anschuldigungen gegen eine andere Person gemacht, während sie bei ihrer Mutter lebten und der Vater versuchte, das Sorgerecht einzuklagen. Zusätzlich behauptet Liz Ramirez, der Vater habe ihr Jahre zuvor Avancen gemacht und gedroht, ihr und ihrer Familie zu schaden, als sie ihn zurückwies (der Vater streitet dies ab; diese Drohung hätte als mögliches Motiv für eine falsche Anschuldigung mithilfe der beiden Töchter gedient). Diese Hintergrundinformationen wurden allerdings nicht als Beweismittel zugelassen—doch eine der inzwischen erwachsenen Nichten zog ihre Anschuldigung vor wenigen Jahren zurück und bestand darauf, ihre ältere Schwester habe ebenfalls nicht die Wahrheit erzählt.

Verteidiger Mike Ware vom Texas Innocence Project steht im Fall der "San Antonio Four" vor Gericht

Was die Inhaftierung der vier Angeklagten endgültig besiegelte, war unseriöse Wissenschaft. Eine medizinische Gutachterin, Dr. Nancy Kellogg, sagte aus, das Hymen eines der Mädchen habe eine Narbe, das ein deutliches Anzeichen eines physischen Traumas sei—eine Behauptung, die von neuerer Forschung seither völlig auseinandergenommen wurde, da die feine weiße Linie, die als Narbe interpretiert worden war, zum normalen Erscheinungsbild eines Hymens gehört (was Dr. Kellogg dazu brachte, ihre Aussagen zurückzuziehen). Als im September 2013 ein neues Gesetz verabschiedet wurde, das es Häftlingen ermöglichte, gegen fragwürdige Gutachteraussagen vorzugehen, wurden die drei noch inhaftierten Frauen—Anna Vasquez war bereits auf Bewährung frei—ein paar Wochen später freigelassen.

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Letzten Mittwoch habe ich mich mit den sogenannten "San Antonio Four" getroffen, während sie zur Premiere einer neuen Doku über ihren Leidensweg, Southwest of Salem, in New York waren. Bei einer Veranstaltung in einem Buchladen an der Lower East Side, die von einer NGO für vermutlich fälschlich Angeklagte namens National Center for Reason and Justice finanziert wurde, richteten die vier starken Frauen das Wort an ein Publikum, das mit ihnen lachte und weinte.

Sie erzählten von Leben, die nicht zerstört, aber völlig aus der Bahn geworfen worden waren. Ramirez (die zum Zeitpunkt der angeblichen Tat schwanger war) und Rivera wurden von ihren kleinen Kindern getrennt. Kristie Mayhugh war in das renommierte Veterinärstudium der Texas A&M University aufgenommen worden, doch sie verdient sich ihren Lebensunterhalt inzwischen in einer Autofabrik: "Eine etwas andere Art von Arbeit", wie sie trocken bemerkt.

Während ihrer gesamten Leidensgeschichte standen die vier einander immer treu zur Seite. "Ich habe mich so verantwortlich und schuldig für all das gefühlt—ich bin sehr dankbar, Freundinnen zu haben, die mir nie einen Vorwurf gemacht haben", sagte Ramirez dem Publikum unter Schluchzen. Die Staatsanwaltschaft hatte versucht, sie von den anderen drei abzuspalten und sie als die Drahtzieherin darzustellen, und das in einem Prozess, der von Homophobie und mittelalterlicher Denkweise durchzogen war. "Der Staatsanwalt versuchte es hinzustellen, als hätte ich das Mädchen geopfert", sagte sie. "Er versuchte, mich wie eine Person hinzustellen, die ständig Ärger hat, und als Satanistin, die ihr eigen Fleisch und Blut missbraucht!"

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Trotz des himmelschreienden Unrechts, das die vier überlebt haben, schaffen sie es irgendwie, mit einem gewissen Sinn für Humor auf einige Momente zurückzublicken. Sie lachten mit dem Publikum im New Yorker Buchladen darüber, wie ihr Verteidiger vergeblich versuchte, die Homophobie im Gerichtssaal zu neutralisieren, indem er darauf bestand, dass sie—vor allem Vasquez und Mayhugh, die kurzes Haar hatten und sich nicht feminin schmückten—Rüschenkleider und eine Menge Make-up zu den Terminen trugen. "Und in dem Film könnt ihr sehen, wie lächerlich wir aussehen", sagte Mayhugh lächelnd. "Weißt du noch, wie ich dir die Haare gemacht habe?", fragte Rivera.

Inzwischen hat man ihre Urteile annulliert, doch die Frauen sind noch nicht offiziell freigesprochen worden. Ihr Verteidiger Ware, der auch geschäftsführender Direktor des Innocence Project of Texas ist, zeigte sich optimistisch, auch wenn der Staat Texas ein finanzielles Motiv dafür hat, den Freispruch nicht durchzuführen—die Regierung schuldet jeder Freigesprochenen dann 80.000 Dollar für jedes Jahr in Haft. Die rechtlichen Bedingungen für den Nachweis ihrer Unschuld—denn auf dieser Seite des Prozesses ist es die Unschuld und nicht die Schuld, die nachgewiesen werden muss—sind sehr streng. Wie Ware dem Publikum im Buchladen sagte: "Es ist sehr schwierig, etwas zu beweisen, das nie passiert ist."

Anna Vasquez im Gefängnis

Bevor die Diskussionsrunde anfing, schaffte ich es, den Frauen ein paar Fragen zu stellen, um mir ein besseres Bild ihrer persönlichen Erfahrungen jenseits der Gerichtsdokumente und Schlagzeilen zu machen. Verurteilte Sexualstraftäter gegen Kinder sind, zumindest laut Popkultur, hinter Gittern die ultimativen Zielscheiben für Angriffe seitens anderer Häftlinge. Glaubten ihre Mitinsassinnen ihnen, dass sie unschuldig waren? "Ja, das taten sie tatsächlich", sagte Vasquez mir. "Laut ihnen passte ich nicht ins Profil." Kristie Mayhugh sprach ebenfalls völlig ohne jede Verbitterung von ihren ehemaligen Mithäftlingen. "Du baust mit den Leuten dort eine Beziehung auf, fast wie eine Familie", sagte sie.

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Ich fragte Vasquez auch, ob sie in irgendeiner Form dafür bestraft worden sei, dass sie die Teilnahme am Therapieprogramm für Sexualstraftäter des Gefängnisses abgelehnt hatte—eine trotzige Beteuerung ihrer Unschuld (die Frauen hatten bereits die Verständigung im Strafverfahren, bei der ein Geständnis zu geringeren Strafen führen kann, abgelehnt). "Es gab wirklich heftige Folgen für mich. Sie nahmen mir meine Privilegien weg—Einkaufsprivilegien. Sie nahmen mir auch die Kontaktbesuche mit meiner Familie, sodass ich nur noch meine Mutter sehen konnte, und zwar durch eine Glasscheibe", sagte sie. "Als ich dann auf Bewährung war, wurde ich ins Sexualstraftäterverzeichnis eingetragen und sie wollten, dass ich eine Therapie für Sexualstraftäter mache, aber mithilfe einer Reihe von Tests konnte ich beweisen, dass ich in diese Kategorie nicht reinpasse. Etwa anderthalb Jahre nach meiner Entlassung wurde ich dann aus dem Verzeichnis gestrichen."

BROADLY: Meine Eltern haben versucht, mir meine homosexuellen Dämonen auszutreiben

Wenn du dich gerade fragst, ob der Staatsanwalt Philip Kazen jemals die Konsequenzen dafür tragen musste, dass er eine homophobe Panik lostrat, um seine Verurteilungen zu sichern: Die Antwort lautet Nein. Tatsächlich wurde Kazen zum Richter ernannt, nachdem er eine stattliche Zahl von Verurteilungen in die Wege geleitet hatte. Er wird niemals irgendeine Art Strafe dafür erhalten, dass er diese vier Frauen unschuldig hinter Gitter gebracht und den Müttern unter ihnen die Gelegenheit genommen hat, ihre Kinder aufwachsen zu sehen. Wie Mike Ware mich erinnerte: "Die Staatsanwaltschaft von Bexar County hat ja bisher noch nicht einmal zugestimmt, dass meine Mandantinnen unschuldig sind." (Staatsanwalt Nico LaHood sagte im Februar allerdings: "Ich habe ernsthafte Vorbehalte, was diese Fälle angeht, und eine weitere Verfolgung würde meiner Meinung nach nicht der Gerechtigkeit dienen.")

Doch Ramirez, die als angebliche Haupttäterin nicht wie die Anderen 15, sondern ganze 37,5 Jahre erhielt, ist zu Recht fassungslos, dass sie und ihre Freundinnen noch nicht vollständig freigesprochen worden sind.

"Die Frage ist dieselbe wie schon ganz zu Anfang—wie könnt ihr mich eines Verbrechens verurteilen, das niemals passiert ist?", sagte sie. "Wie können sie uns denn nicht freisprechen? Seit 1994 sind 20 Jahre vergangen, und unsere Geschichte ist immer noch dieselbe wie damals—genau wie wir auch dieselben Menschen sind wie damals."

Auf der Website ihrer Doku gibt eine Liste von Dingen, die du von zu Hause aus tun kannst, wenn du Elizabeth Ramirez, Kristie Mayhugh, Anna Vasquez und Cassandra Rivera im Kampf um ihren Freispruch und ihre Entschädigung für die vielen verlorenen Jahre helfen möchtest.