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Ich bin 32 und habe nicht mehr viel Zeit, Kinder zu bekommen

Meine Fruchtbarkeit hat ein Ablaufdatum. Bereits bei einer 35-jährigen Frau sind die Hälfte aller Eizellen defekt—und die Chance 50/50, dass man gar kein Kind mehr bekommen kann.

Illustrationen von der Autorin

Tracey Emin war jahrelang mein Idol, wenn es ums Kinderkriegen ging. Sie hat einmal in einem Interview beiläufig gesagt, dass eine exzellente Künstlerin keine Kinder haben kann. Ich war beeindruckt davon, dass sie die Eier hatte, so etwas zu sagen. Mit jugendlicher Hybris habe ich das Leben einer Jahrhundertkünstlerin auf meine eigene Laufbahn bezogen: Je großartiger diese sein würde, desto unwahrscheinlicher wäre es, sie mit Kindern zu vereinen.

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Damals wusste ich noch nicht, dass Emin dieses Thema absolut nicht leicht fällt. In fast jedem Interview, das sie in den letzten Jahren gegeben hat, spricht sie darüber—manchmal nur ganz kurz, an anderer Stelle ausführlicher. Auch wenn sie mit verdächtigem Nachdruck betont, nie Kinder gewollt zu haben, scheint es in gewisser Weise eine Geißel ihrer Existenz geworden zu sein, sozusagen ein großes Opfer, das sie für ihre Kunst bringen musste. Es ist zweifelsohne ein wunder Punkt in ihrem Leben. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.

Als meine beiden besten Freunde Väter wurden, habe ich mich natürlich sehr für sie gefreut. Aber gleichzeitig sah ich meine bisherige Lebensführung in Gefahr. Wir sind Schulfreunde, also gleich alt, und nun hatte sich ihr Alltag auf einen Schlag verändert (so empfand ich es zumindest).

Seitdem ändere ich meine Meinung zu Kindern ständig. Es ist ein unangenehmes Gedankenkarussell, dem ich schutzlos ausgeliefert bin. Mal bin ich voller Überzeugung dafür, ein kleines Wesen großzuziehen, mal kann ich mir nicht vorstellen, meine Zeit einem Kind zu opfern. Ich sehe, dass es meinen beiden Freunden damit gut geht—aber ich sehe auch, dass es mir gut geht und mir nichts fehlt. Derzeit wäre es eine rationale Entscheidung, weil ich denke, dass es in ein paar Jahren zu spät ist und ich nichts bereuen möchte.

Mir war schon vor meinem 30. Geburtstag klar, dass die Zeit erbarmungslos voranschreitet. Magazine, Fernsehen, Stars, Freunde und Verwandte suggerieren mir noch immer etwas anderes: 30 ist das neue 20, denn wir werden mittlerweile so alt, dass sich alles nach hinten verschiebt und man seinen Kinder- und Karrierewunsch ruhig angehen kann. Lass dir Zeit! Ich habe oft das Gefühl dass die Frauen in meiner Umgebung frühestens mit 34 an Kinder denken. Ich bin auch so auf- und abgeklärt, dass viele biologische Fakten gar nicht mehr in mein Weltbild passen.

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Meine Fruchtbarkeit hat ein Ablaufdatum und der Höhepunkt liegt zwischen 18 und 28 Jahren, danach geht es bergab. Mit Mitte 30 kann es durchaus passieren, dass ich sie überschätzt habe und keine Kinder mehr bekommen kann oder nur mit Unterstützung. Es ist tatsächlich so, dass bei einer 35-jährigen Frau die Hälfte der Eizellen schon defekt ist. Das heißt nicht, dass man eine 50/50-Chance hat, ein behindertes Kind zur Welt bringen wird, sondern dass es auch zu gar keiner Schwangerschaft kommen kann und dass es für gewöhnlich schon einiger Anläufe bedarf.

Fakt ist auch, dass die Qualität der Spermien in den Industrieländern rapide abnimmt und das die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, noch einmal mindert. Eine Frau, die ihr erstes Kind früh bekommt, kann auch noch später eines bekommen. Umgekehrt wird es schwieriger, sein erstes Kind spät zu bekommen.

Ich möchte Mariah Carey nicht zu nahe treten, aber wenn sie mit 40 Jahren zum ersten Mal Kinder kriegt und es Zwillinge sind, liegt die Vermutung nahe, dass die Eizellen einer jüngeren Frau dazu verwendet wurden, nach Kriterien der physiognomischen Ähnlichkeit ausgesucht. Das ist dann genetisch gesehen zu 0 Prozent ihr Kind. Das klingt banal, aber viele Frauen scheinen das nicht zu wissen und das finde ich unfair. Kinderwunschkliniken haben unzählige Paare, die mit Ende 30 in die Klinik kommen und dann enttäuscht sind, dass es nicht mehr klappt oder es erst einiger zehrender (psychisch und finanziell) Anläufe bedarf.

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Wenn ich mir allen Gegebenheiten zum Trotz aussuchen könnte, wann ich schwanger werden soll, dann wäre das auch erst mit Mitte/Ende 40. Dann könnte ich jetzt noch einige Zeit lang Laissez-faire und Selbstfindung frönen und dann gemächlich, wenn meine physische Attraktivität schwindet, einen anderen Sinn in meinem Leben entdecken. Aber so läuft das nicht. Außerdem kann auch diese Variante weniger Spaß machen, als man in meinem Alter denkt.

Es ist symptomatisch, dass meine größte Befürchtung beim Gedanken an Kinder ist, dass mein Bauch nachher scheiße aussehen wird.

Ich war letztens auf dem Vierziger einer sehr hübschen, gut situierten ehemaligen Szenemaus (kinderlos), die sich die Nacht davor die Augen aus dem Kopf geheult hat, weil sie die magische Altersgrenze durchschritten hat. Es ist egal, ob es gesellschaftlicher oder biologischer Druck ist, aber es kann passieren, dass mich auch als erfolgreiche, gut aussehende, kinderlose Frau später im Leben eine Leere befällt.

Das ist vielleicht kein guter Grund, um Kinder zu bekommen, aber was ist denn überhaupt ein Grund: Weitergabe genetischen Materials, Erhalt der menschlichen Rasse, Sinn des Lebens, Altersvorsorge, tiefe Liebe …? Ich kenne dieses überwältigende Gefühl, Mutter zu werden einfach noch nicht und vieles daran macht mir Angst.

Die Gesellschaft hat sich hier leider als nicht sehr entspannend erwiesen, und macht mir anderes schmackhaft: mich selbst zu finden und zu verwirklichen, fit zu bleiben, eine Karriere zu haben, mit dem/der Richtigen zusammen zu sein, meine Sexualität auszuleben—all das kostet wahnsinnig viel Zeit und klingt auch nach Zeit totschlagen.

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Es ist symptomatisch, dass eine meiner großen Befürchtungen bei dem Gedanken an Kinder die ist, dass mein Bauch nachher scheiße aussehen wird (mein Busen ist eh schon im Arsch) oder dass ich keine Kleidung mehr kaufen kann, die weit über meinem Budget liegt.

Außerdem ekelt mich Mutterverhalten oft an, wie sie mit ihren Kindern sprechen, wie sich alles nur darum dreht, die Fotos die sie posten, die Babysprache. Kim Kardashians Baby im Stinktier-Anzug dagegen war 2 Monate lang mein Schreibtischhintergrund. Ich musste auch weinen—heimlich natürlich, auf dem Weg nachhause—, als ich das Baby von einem meiner Freunde zum ersten Mal gehalten habe. Ob aus Rührung oder Stress, weil ich die Nächste sein könnte/muss/soll/darf, kann ich nicht mehr sagen.

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Manchmal kann ich mich mit dem Gedanken anfreunden, keine Kinder zu haben. Es gibt gute Gründe dafür: Sie verlangen Disziplin, gute Zeitplanung und ich muss mir permanent Sorgen um sie machen. Vielleicht ziehe ich grauenhafte Kinder groß, die mir das Leben erschweren. Ich kann schon verstehen, dass Tracey Emin keine hat. Trotzdem kann man gar nicht genug betonen, dass ich in genau dem richtigen Alter bin (ich bin jetzt 32), mir panisch darüber Gedanken zu machen, ob ich welche machen will oder nicht—denn ich habe, so leid mir das tut, nicht mehr lange Zeit.

Nachsatz: Ich habe in diesem Zusammenhang den so genannten AMH-Test machen lassen und weiß nun zumindest dass ich nicht zu früh in den Wechsel kommen werde. Um meine Eizellen zu spenden, bin ich aber leider schon zu alt.

Herzlichen Dank an das Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz, Wien (Kristina Berger, Dr. Andreas Obruca und im Besonderen Sonja Traunfellner), die mich bei der Recherchearbeit unterstützt und mit handfesten Informationen versorgt haben.