Nach dem Sturm ist vor dem Sturm in Thailand

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Nach dem Sturm ist vor dem Sturm in Thailand

Seit 1932 hat Thailand 18 Putsche oder Putschversuche erlebt. Auch wenn sich heute die Gemüter auf den Straßen Bangkoks etwas abgekühlt haben, ist es wohl nur eine Verschnaufpause. Der Fehler liegt im System. 

Die derzeitigen Massenproteste in Thailand nahmen ihren Lauf, nachdem die Regierung von Premierministerin Yingluck Shinawatra ein umstrittenes Amnestiegesetz beschlossen hatte, das ihrem Bruder Thaksin Shinawatra, der 2006 als Premier durch einen Putsch abgesetzt wurde und seitdem im Exil lebt, die Rückkehr nach Thailand ermöglicht hätte.

Nach Tagen der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der regierungsnahen Polizei strömten heute Vormittag Hunderte Oppositionsanhänger der „Gelbhemden“ in Bangkok auf das Gelände des Amtssitzes von Regierungschefin Yingluck Shinawatra. Nachdem sich die Polizei als Maßnahme der Deeskalation zurückgezogen hatte, durchbrachen Demonstranten und Anhänger ein Tor und drangen auf das Gelände vor. Yingluck selbst befand sich jedoch nicht in ihrem Büro, das seit Freitagabend geschlossen ist.

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Mittlerweile hat sich die Lage vor dem Amtssitz entspannt. Die Demonstranten haben den Garten wieder geräumt. Vereinzelt befinden sich noch Leute vor dem Zaun, aber der Mob hat sich zum Democracy Monument in der Nähe der Khao San Road zurückgezogen, wo sich Demonstranten und Polizei gestern noch Straßenschlachten geliefert hatten.

Die Polizei ist immer noch in großer Zahl in der Stadt präsent, hat sich aber weitestgehend zur Ananta-Samakhom-Thronhalle zurückgezogen und ruht sich vor dem Gebäude aus. Derzeit gibt es keine ernstzunehmenden Konfrontation zwischen Demonstranten und Polizei. Thailändisches Militär sieht man überhaupt nicht auf den Straßen.

Obwohl der Anführer der Demonstration, Suthep Thaugsuban, der mittlerweile wegen „Anstiftung zu einer Revolte“ per Haftbefehl gesucht wird, vergangene Woche ein Ultimatum gestellt hat, dass die Regierung bis Dienstag zurücktreten soll, ist dies nicht passiert.

Regierungschefin Yingluck Shinawatra verkündete stattdessen am Montag, dass sie jede friedliche Lösung ausloten will. Diese derzeitige Strategie der Deeskalierung wird jedoch vor Ort als taktisches Manöver gewertet, um zu verhindern, dass das hauptsächlich oppositionelle Militär einschreitet und die Regierung unter dem Vorwand der „Herstellung der inneren Ordnung“ durch einen Putsch entmachtet.

Seit 1932 hat Thailand 18 versuchte oder durchgeführte Staatsstreiche erlebt. Der letzte Putsch durch das auf Seiten der Gelbhemden stehende Militär führte 2006 zur Absetzung und zum Exil des damaligen Regierungschefs Thaksin Shinawatra und wirkt noch bis heute nach.

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Thaksin genießt auf dem Land und unter den armen Teilen der thailändischen Bevölkerung sowie innerhalb der Polizei, die sich in Thailand eher aus der Unterschicht rekrutiert, hohes Ansehen. Unter anderem führte er eine flächendeckende Krankenversicherung ein, die vergleichbar mit „Obamacare“ auch für die ärmeren Teile der Bevölkerung erschwinglich ist.

Seine Gegner rekrutieren sich hingegen aus den Zirkeln der Macht in Thailand. Unter ihnen finden sich hochrangige Generäle, Beamte, Royalisten und Angehörige der städtischen Mittelschicht. Sie warfen Thaksin vor, ein korrupter Kapitalist zu sein, der die Massen mit Zuwendungen manipuliert hätte und eine Gefahr für die in Thailand hochgeschätzte Monarchie darstellen würde.

Die Demonstranten damals und heute, auch gerne als „Gelbhemden“ zusammengefasst, setzen sich aus Royalisten, Studenten und Unterstützern der Oppositionspartei People’s Alliance for Democracy zusammen, die jedoch aufgrund ihrer geringeren Anhängerschaft seit 20 Jahren keine Wahl mehr auf demokratischem Wege gewinnen konnte.

Der Anführer der Demonstration, Suthep Thaugsuban, war 2010 Vizepremierminister und ein erbitterter politischer Gegner Thaksins. Er war es, der das auf Seiten der Gelbhemden stehende Militär damals anwies, die Pro-Thaksin-Demonstrationen der Rothemden gewalttätig niederzuschlagen. Knapp 90 Menschen kamen damals ums Leben.

2011 wurde er schließlich bei einem Erdrutschsieg von Yingluck Shinawatra abgewählt. Yingluck, die nun aus Angst vor einem Putsch des Militärs eine Politik der Deeskalation betreibt, ist jedoch auch bewusst, dass ihre Partei, alleine durch die zahlenmäßige Überlegenheit, wohl jede Neuwahl problemlos gewinnen würde.

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Suthep verlangt unterdessen neben dem Rücktritt der Regierung die Einsetzung eines „Volkskomitees“, für das er 37 Männer auserkoren und sich selbst zum Generalsekretär ernannt hat. Dieses Komitee soll eine neue Verfassung ausarbeiten, doch gleichzeitig würde die Einsetzung dieses Gremiums gegen die derzeitig gültige Verfassung Thailands verstoßen.

Im derzeitigen politischen System Thailands liegt irgendwo ein gravierender Fehler begraben und nur durch Putsch auf Putsch auf Putsch wird dieser wohl kaum korrigiert werden können …

Fotos: Michael Hübner, Text: Felix Nicklas