In Bangkok fordert eine gut organisierte Bevölkerung den Sturz der Regierung

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In Bangkok fordert eine gut organisierte Bevölkerung den Sturz der Regierung

Gäbe es die vereinzelten Terrorangriffe aus dem Hinterhalt nicht, wären die anhaltenden Proteste in Bangkok wie ein großes Volksfest.

Ich bin für eine Hochzeit nach Thailand gereist und finde mich plötzlich bei Protesten und großen Demos in Bangkok wieder. Gäbe es die vereinzelten Terrorangriffe aus dem Hinterhalt nicht, wäre das hier fast schon eine riesige Party.

Viele Tausend Thailänder biegen ihre 24 Stunden irgendwie so zurecht, dass sie sowohl ihrem Job nachgehen als auch halbe Tage und volle Nächte aktiv gegen das Thaksin-Regime protestieren. Andere wiederum kommen aus den ländlichen Teilen des Landes und leben hier seit Wochen im Ausnahmezustand. Sie haben ihr Zuhause aufgegeben, um im Protestcamp zu zelten. Ich bin mit einigen Regierungsgegnern mitgelaufen, um ihre Situation besser zu verstehen und zu erfahren, warum sie die vorgezogenen Neuwahlen in gut einer Woche ablehnen und gleichzeitig nach Demokratie streben.

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Seit Wochen herrscht der Kampf gegen die Regierung. Die Opposition weiß, dass sie die Wahlen verlieren wird. Die Regierungsgegner werfen der Premierministerin Yingluck Shinawatra und ihrer Familie Korruption im großen Stil vor. Eine Neuwahl derselben Regierung würde die Korruption demnach nur stärken. Die Protestierenden sind davon überzeugt, dass die Regierung Stimmen der bildungsschwachen Schichten kauft, um somit die nächsten Wahlen zu gewinnen. Sie kündigten deshalb einen Boykott der Wahlen an.

Seit dem 13. Januar dieses Jahres sind nun auch viele Hauptverkehrsadern Bangkoks durch riesige Zeltlager blockiert. Die Camper sind gut ausgestattet: Es gibt Bühnen, Volksküchen, mobile Sanitäranlagen, Open-Air-Waschsalons, Open-Air-Kinos, Näh- und Häkelplätze, und sogar Friseure haben ihr Plätzchen hier gefunden. „Shut down Bangkok“ fordern sie und das Regime soll einpacken. Der „Shutdown“ der Innenstadt funktioniert sogar zum Teil, doch Einpacken möchte die Premierministerin nicht. Eine Eskalation ist gut möglich, Polizei und Militär sind in Alarmbereitschaft. In den vergangene Tagen gab es immer wieder Anschläge auf die Protestcamps. Unter anderem wurden zwei Granaten in die Menge geworfen: Es gab einen Toten und viele Verletzte. Nachts werden die campierenden Regierungsgegner angegriffen, auch mit Schusswaffen. Die Regierung distanziert sich von den Attacken.

„Manche Leute sagen hier, die Thaksin-Regierung ist wie Hitler. Die Thaksin-Leute wurden genau wie Hitler an die Macht gewählt und bleiben einfach. Nun können sie machen, was sie wollen. Wir wollen die Regeln ändern: Du kannst per Wahl nicht die guten Politiker an die Macht bringen. Wir wollen ein Komitee aus allen Bereichen der Gesellschaft bilden, mit den Bauern beginnend. Die einzelnen Gesellschaftsgruppen sollen ihre eigenen Vertreter für die Verfassung wählen“, so Wachi Thanya, einer der Regierungsgegner.

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Ich habe mich heute vor Sonnenaufgang aus dem Backpacker-Moloch um die Khaosan Road aufgemacht. Bis vor Stunden grölten hier noch besoffene und knutschende Touristen durch die Straßen, dem Motorroller-Taxifahrer muss ich sehr genau erklären, dass ich nicht den Touristen-Preis zahlen möchte. Bei dem ersten Camp angekommen, folge ich einer Gruppe Bettelmönche durch den mit Sandsäcken befestigten Eingang der Anlage. Die Sicherheitsleute mit schusssicheren Westen begrüßen mich mit Handschlag. Zuerst treffe ich Wachi Thanya, der schon lange, lange wach ist und wie viele andere recht gerädert vor sich hinstarrt. Heute Nacht um 2 Uhr wurde er in seinem Camp durch Schüsse geweckt. Es war unklar, wer diese abgab. Es wurde zwar niemand verletzt, aber seitdem hat er kein Auge mehr zubekommen. Er ist, nachdem die Regierung den Notstand ausgerufen hat, ganz bewusst aus seiner Wohnung ins Camp gezogen: „Ich will ein Zeichen setzen … ich lasse mich nicht einschüchtern.“

Pakkawan Somdung Jate, Spitzname „Pad“, drückt sich etwas derber aus: „Unsere Regierung bescheißt die Leute. Ich fordere alle auf, die schlechte Frau [Premierministerin] rauszuschmeißen! … Sie hört der Opposition nie zu … Sie hat bisher nicht einmal die wöchentlichen Parlamentssitzungen besucht, daher kann sie gar nicht demokratisch denken! … Das Problem ist die Bildung: Viele auf dem Land können nicht lesen und doch haben sie das Recht zu wählen, obwohl sie nie Zeitung lesen oder andere Medien konsumieren. Thaksin [die Regierung] gab den Dorfvorstehern Geld, welches sie vorher durch Korruption eingenommen hatte. Sie haben sich ihre Stimmen erkauft. Der versprochene Reispreis wird nun nicht mehr gezahlt. Das Geld, was die Regierung nun spart, versickert.“

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Pad [links im Bild] strahlt eine Energie aus, die mich an diesem frühen Morgen erst weckt. Sie steht hinter dem von ihr organisierten Essensstand, redet und lächelt unentwegt, macht mir geschickte Komplimente, als ich erzähle, dass ich eine kleine Geschichte schreiben möchte und verteilt dabei innerhalb einer Stunde 400 Eier, Reis und Papaya an die schlangestehenden verschlafenden Camper. Sie habe 6000 Dollar von Freunden eingesammelt, um die Aktivisten zu unterstützen. „Durch das Notstandsgesetz könnte die Regierung mich nun festnehmen, weil ich hier Essen verteile. Es ist aber das Wenigste, was ich machen kann. Ich habe zwar etwas Angst, aber es ist meine Pflicht, dies für die Leute zu tun.“ Sie zeigt mir ein privates Bankdokument mit deutlich mehr Ausgaben als Einnahmen in den vergangenen Wochen. Die Regierung hat den Notstand für erstmal 60 Tage ausgerufen und räumt sich damit viele Freiheiten ein: Das Auflösen von Versammlungen ab fünf Personen, Verhaftungen ohne Anklage und noch mehr. Pad ist für das Marketing eines Frauenmagazins verantwortlich und muss auch schon wieder los zu einem Meeting. Sie organisiert ihre Termine so, dass sie fast jeden Tag im Camp sein kann. Ihr Plan: Ihre Volksküchen sollen expandieren und noch mehr Menschen in den Protestcamps versorgen. Sie hat es nun wirklich eilig und ruft mir in einer stürmischen Verabschiedung noch zu: „Wir müssen das Land auch für die armen Thailänder reformieren. Es darf nicht nur in die Taschen der Investoren und in die der Familie der Premierministerin fließen!“

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Auch Suthep Thaugsuban, der verehrte Anführer der Protestierenden und ehemalige stellvertretende Regierungschef ist wieder auf den Straßen unterwegs und sammelt von seinen Anhängern säckeweise Geld ein. Die Regierung hat nicht nur all seine Konten eingefroren, sondern auch einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Er ist immer von einer großen Gruppe sehr nervöser Bodyguards umgeben, die mit Ferngläsern und bei Dunkelheit mit Taschenlampen leer stehende Gebäude nach möglichen Attentätern absuche, sobald sich Suthep mit seiner riesigen Anhängerschaft nähert.

Kate, eine 32-jährige Sekretärin, verbringt mit ihren Kollegen ihre Mittagspause am Straßenrand und wartet auf ihren Star Suthep. Mit ihren Kollegen hat sie eine Kette aus Geldscheinen gebastelt, um sie Suthep zu überreichen. „Wir wollen vor den Wahlen eine Reform“, fordert sie wie viele ihrer Gesinnungsgenossen. Die Wahlen finden am 2.2.2014 statt.

Auf der Rama-VIII-Brücke, einem gigantischen Bauwerk, haben die Protestierenden den wohl schönsten Ort besetzt. Hoch über der Stadt—für Bangkoker Verhältnisse ein Luftkurort. Die Solidarität unter den Regierungsgegnern ist beeindruckend. Wachi Thanya hat es so ausgedrückt: „Die Art des Zusammenlebens ist, wie Buddha sie uns gelehrt hat: zu geben.“ Ich selber habe hier eine Nacht ausprobiert und bin mit einer Decke schlafen gegangen und mit drei Decken aufgewacht. Was bei dem Wind eine Wohltat meiner Nachbarn gewesen sein muss.“

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Auf dieser Brücke engagiert sich seit Eiod eine ehemalige Krankenschwester aus dem Süden Thailands. Vor zwei Monaten kam sie nach Bangkok, um die Regierungsgegner medizinisch zu versorgen, wenn nötig.

„Die meisten Leute hier oben sind Bauern aus dem Süden. Sie sind so arm, dass sie sich keinen Arzt leisten können, wenn sie krank werden. Bei uns ist alles privat gespendet und kostenlos.“ Eiod verdient ihr Geld zu Hause als Nachhilfelehrerin in Englisch. Hier arbeitet sie—wie alle anderen in den Camps—unentgeltlich. „Wir sind nicht die Opposition, wir sind einfach Menschen, die was ändern möchten. Wir akzeptieren Wahlen, aber die Regierung ist so mächtig, dass sie alles kontrollieren kann. Sie können sich die Stimmen kaufen, die sie zum Gewinnen brauchen.“ Das habe ich heute schon einmal gehört.

Auf meine Frage, ob sich hier oben etwas geändert hätte, seitdem der Notstand in Kraft ist, antwortet Eiod: „Ja, wir haben gestern die Brücke verlassen, sind zum Polizeirevier gelaufen und haben denen gesagt: ,Wir werden jeden Tag verarscht; aber heute fordern wir euch auf, zu uns zu stehen, und nicht zur Regierung.'“

Pad, eine Karrierefrau, die nebenbei noch ein paar Volksküchen betreibt und finanziert.

Mr. Kittipong bringt es auf den Punkt: „Ich hasse die Regierung!“ Dann drückt er mir einen Kuss auf die Wange.

Ob „Keep calm“ auch zur Neuwahl am 2.2.2014 gelingt, bleibt zu hoffen.

Kate genießt die stimmungsvolle Mittagspause mit Kollegen und ihrem persönlichen Star.

Unter anderem wurden zwei Granaten in die Menge geworfen: ein Toter, viele Verletzte.

Seit zwei Monaten ist Eiod ihrer Arbeit und Heimat fern, um die Aktivisten zu unterstützen.

Die Rama-VIII-Brücke—der schönste Campingplatz meines Lebens!

Sobald der Medienfokus von Suthep Thaugsuban weicht, wirkt er erschöpft. Er leidet seit Wochen unter Dauerstress und rennt ständig einem Haftbefehl davon.

Viele Stadtautobahnen sind wegen der Blockaden derzeit wohl die größten und einsamsten Fußgängerzonen der Welt.

Wachi Thanya hat kaum geschlafen, Schüsse haben ihn schon früh geweckt.