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Sex

Konfetti in your Face!

Vollgekotzte Filztrachten, sich raufende Gummifressen, Trampeltiere mit Dauererektion. Fasnacht, das Volksfest der Schwerenöter. Wir versaufen uns den Aderlass in der Hoffnung, dass nächstes Jahr alles besser wird. Wird es nicht. Darum hasse ich sie.

Foto von Juan Antonio Capo

Ich reisse den Kindern ihr farbiges Konfetti aus den Händen. Schlitze das Schlagfell der lärmenden Pauke auf. Lecke alle Berliner, Zigerkrapfen und Schenkeli der Stadt an. Und diagnostiziere die billig kostümierte Krankenschwester mit Tripper. So, oder so ähnlich, spielen diese Tage meine Gedanken. Was aber nach aussen dringt, ist ein leises Seufzen der Erleichterung. Die Fasnacht ist vorüber.

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Endlich verstummt der Lärm der Tinnitus-Trompeten. Einzig der Bierfurz des Guggenmusikers dröhnt in die einsame Nacht. Die Saufsprüche der Midlife-Generation weichen dem leisen Schluchzen über die eigene Erbärmlichkeit und die Balzrufe junger Männer verklingen in frustrierter Masturbation.

Mein Groll gegen die Zeit zwischen November und März rührt schon von der Kindheit her. Damals, ich war ein Marienkäfer, stand ich ziemlich lässig an der Seite meiner Mutter auf der Strasse und sah den Fasnachtsumzug an mir vorbeiziehen. Mit meinen gierigen Fingerchen griff ich nach den Sugus, die wie ein bunter Regen über mich hinabprasselten, und am Mundwinkel hing noch Himbeerkonfitüre. Zuckereldorado. Und dann kamen die Arschlöcher.

Foto von kaeferchen61

In Einsiedeln nennt man sie Sühudis, im Lötschental Tschäggättä und anderswo Hexen und Teufel. So oder so, sie hatten keine Sugus und trieben mir mit ihren schaurigen Masken ordentlich die Scheisse in die Windeln.

Später versuchte ich es besser zu machen. Als Cowboy, Pirat, Zorro oder Indianer zog ich in den Krieg mit den verhassten Fasnachtstagen. Bis an die Zähne bewaffnet mit Chäpsli-Pistole und Plastiksäbel kämpfte ich gegen Guggenmusik, Konfetti und alte Rollenmuster.

Die endgültige Resignation kam mir unter einem zentnerschweren Globi-Kopf, den ich auf meinem fragilen Kindergenick balancierte. Er war das Erinnerungsstück meiner Tante an eine Zeit, als sie die Stahlstäbe des Triangels zum Schwingen brachte. Selbst gebastelt—aus Kleister, Zeitungen und Farbe - mit viel Liebe, Alkohol und etwas Kotze. So jedenfalls roch sie. Dass die Alte tatsächlich reingereihert hatte, merkte ich erst am Abend, als mir der Berliner letzten Jahres in den Haaren hing.

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Foto von angelo

Aber, Fasnacht hat Tradition, irgendwie. Auch wenn mir die Musik den Schmalz in die Ohren treibt und Fasnachtsküchlein ein mit Puderzucker kaschiertes Nichts sind, gibt es Bräuche mit Substanz. Wo ich wohne, versammeln sich jeden Fasnachtsdienstag Kinderscharen um das städtische Rathaus.

Um Punkt Viertel nach drei legen die Jungvögel ihre Köpfe in den Nacken, sperren die Schnäbel auf und schreien nach Futter: „Eis zwei Geissebei!" Je lauter die Parole, desto mehr Cervelat und Biberli fliegen aus den Fenstern. Und wenn jetzt ein Weltverbesserer mit Hungersnot in Afrika kommt, soll er die Fresse halten. Der Brauch geht auf die Belagerung und Zerstörung der Stadt zurück und war damals Rettung in der Not.

Foto von Jukka Zitting

Der Rest bleibt ein Beschäftigungsprogramm für Vollpfosten. Saufen, Ficken, Prügeln. Einmal im Jahr schleichen langweilige Mädchen in aufregenden Kostümen auf die Tanzfläche—vom Scheintod zum Partyanimal. Einmal im Jahr gehört die als Tunte, Ölscheich oder Zigeunerhure getarnte Homophobie zum guten Ton am Fasnachtsball. Einmal im Jahr wird die Bünzli-Schweiz zum Affenkäfig.

Lasst uns die übrige Zeit wieder gesittet auf die Pauke hauen:

Am Donnerstag hauen wir alles kaputt. Nimm das, Fotoatlas-Verschnitt aller Schweizer Sozialprophylaxe. Lorelle, du bist obsolet. Fick dich, faule Begierde nach Extravaganz. Ich mach dich dich tot, Arbenz, du dahin siechende Kulturhalbleiche. Behalt deine kunstklebrigen grossen Worte für dich. Stirb, du aufgeblasener, herumphüpfender Schnöselpalast.

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Oh Freitag ich verschohn dich nicht minder. Oder du mich. Eher. Ziemlich wahrscheinlich. Gibs uns, stadtflutende Museumsnacht. Gibs uns, kurdisches Neujahrsfest in der heiteren Fahne. Ja, Bern, ja. Taufe uns und alle und The Fleurs im ISC. Klibim. Hart. Und The Delorian Cloudfire. Im Royal. Baden. Dreh durch im Gonzo. Direkt durch die Ohren auf die Haut. Bitterblitzende, süss pulsierende Elektromassagen, ein Vorgeschmack auf das Electron Festival in der Zukunft.

Samstags geben wir alles. Und ziehen wir uns. Klamottentausch im Salzhaus. Plusierende, splitterfasernackte Avancen. Blaudzun im Bad Bonn, Götterspeise in der Kiste und Petting im Helsinki. Und später was nach Hause nehmen. Late night beat electronics im Mehrspur.

Am Sonntag wird es hell und grell. Blendend. Lichtspielsonntags-. Pusenlos, Atemlos. Asthma im Sud. Und für katerige Metalheads: Necros Hideout im Dynamo.

Montags knallt es. Punk, Hafenkneipe, Basta!

Der Dienstag wuchert wild. Comedy im Balz, verwachsen mit [uferlosen](http:// http://www.uferlos.lu/) Dornen, heckigen Garaschen, grasgrünen Burgundern und tränenden Palästen.

Am Mittwoch flitzen wir ins Stadtkino Basel oder nach Kapringen oder in eine Geiselnahme oder wie auch immer.

Wenn Ihr jetzt immer noch nicht zufrieden seid, gibts gehörig was aufs Maul. oder Tickets für den neuen Streifen von Quentin Dupieux (Rubber!). Wrong Cops. 3 x 2 Stück. Unplugged. Einfach eine E-Mail an till.rippmann@vice.com.