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Wir haben nervöse britische Wahlberliner zum Brexit befragt

Es überrascht kaum, dass die meisten von ihnen sich wünschen, dass Großbritannien in der EU bleibt.

Alle Fotos von Mirko Lux

Ein Gespenst geht um in Europa: der Brexit. In den britischen Umfragen zum EU-Austritt wird es immer enger und die Spannung steigt. Dabei spüren Briten in Städten wie Berlin eine viel akutere Angst vor dem Ausstieg als solche in Bristol oder Brighton. Die Hauptstadt der Bundesrepublik ist die Wahlheimat von geschätzten 5.600 Britinnen und Briten—das sind eine ganze Menge britische Ärsche, die angesichts der drastischen Änderungen, die der Brexit für ihre Lebens- und Arbeitssituation bedeuten könnte, langsam auf Grundeis gehen.

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Ein Mann, der sich noch mehr Sorgen macht als der Durchschnitt, ist der Expat-Journalist und Aktivist Jon Worth. Er hat in einem Pub in Berlin Mitte ein Treffen zum Thema Brexit organisiert. Die Idee dahinter war einfach: „Ich kenne nicht viele britische Leute in Berlin", sagte er mir. „Ich wollte wissen, wie sie das sehen. Haben sie Angst? Sind sie wütend? Sind sie bereit, aktiv zu werden? Oder wollen sie sich wenn nötig deutsche Pässe besorgen, weil Berlin ihnen mehr zur Heimat geworden ist als alles ‚zu Hause'?" Um das herauszufinden, versammelte Jon letzte Woche mehr als hundert Menschen im Keller eines Pubs, um eine Podiumsdiskussion abzuhalten und einigen großen britischen Traditionen zu frönen: trinken, sich Sorgen machen und auf äußerst höfliche Art wütend werden.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen waren pro EU, was in einem Raum voller Expats nicht weiter verwundert, und bei einer schnellen Umfrage am Schluss gab es nur eine Stimme für den Brexit. Doch die angespannte Stimmung war nicht von der Hand zu weisen, weswegen VICE sich mit einigen Berliner Briten unterhalten hat, um herauszufinden, wie sich der Brexit auf ihre Beziehungen zu ihren Mitberlinern auswirkt, was sie zur Teilnahme an dem Treffen motiviert hat und was sie den Inselbewohnern in der alten Heimat zu sagen haben.

Helen Turek aus Essex

VICE: Was, denkst du, würde passieren, wenn es zum Brexit käme?
Ich denke, das ist das eigentliche Problem: Es gibt so viel Ungewissheit und niemand weiß es so recht. Es könnte passieren, dass mir meine Arbeitserlaubnis entzogen wird, aber ich denke, dass es stattdessen aufwändige bürokratische Vorgänge und neue Abkommen geben wird. Ich nehme an, dass ich weiter hier bleiben dürfte, aber es würde alles komplizieren.

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Wie sollten die deutsche Regierung deiner Meinung nach darauf reagieren, dass die britische Regierung eine Volksabstimmung zum Ausstieg abhält?
Meiner Meinung nach hat jedes Land das Recht, seine eigene Position in der EU und sein Verhältnis zum Vertrag von Lissabon neu zu verhandeln. Jedes Land hat das Recht dazu, und es sollte zugehört werden, wenn ein Land Bedenken hat. Aber aus meiner Sicht denken die Deutschen, die Briten würden sich selbst das Leben schwermachen.

Welche Botschaft hast du für die Menschen in Großbritannien?
Ich weiß, dass die meisten, die für einen Verbleib in der EU stimmen werden, eine ähnliche Erfahrung gemacht haben werden wie ich. Viele der Leute hier verstehen, welch ein Privileg das ist, und ich möchte die Menschen in Großbritannien daran erinnern, was für ein großes Privileg das ist. Ich bin für sechs Monate hierher gekommen und sechs Jahre später bin ich immer noch hier.

Tamarlane aus London

Was denken die Deutschen deiner Meinung nach über den Brexit?
Ich schätze, das Problem ist, dass die Experten auf keiner Seite der Debatte wissen, was passieren wird. Einerseits meinen die Leute, dass es der EU großen Schaden zufügen wird, wenn Großbritannien aussteigt. Zumindest kurzfristig würde es dazu führen, dass mehr Menschen den Glauben an die EU verlieren. Aber andererseits kann ich verstehen, wenn viele Deutsche sauer auf die Briten sind, weil die so viele Sonderbedingungen verlangen, und dass deswegen viele vielleicht finden, dass es der EU ohne die Briten besser gehen würde, weil dann die Länder dabei sind, die sich dem Projekt auch wirklich verschrieben haben.

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Will aus Cheshire

Wie wirkt sich der drohende Brexit auf deine Beziehungen zu Deutschen aus?
Aus europäischer Perspektive ist die britische Debatte keine wirkliche Debatte. Wir sprechen dauernd von Ausstieg oder kein Ausstieg, aber wir sprechen nicht über die wirklich wichtigen Probleme in Europa, und das ist für mich der Hauptpunkt. Es verschleiert die eigentliche Debatte und was wir [Briten] Positives zur Europäischen Union beitragen können.

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Was würde im Falle des Brexit mit dir persönlich passieren?
Ich denke, es gibt viel Ungewissheit und niemand weiß es wirklich, aber ich lebe hier schon seit fünf oder sechs Jahren, also würde es mit einer deutschen Staatsbürgerschaft versuchen, um die Ungewissheit eines Visums zu vermeiden.

Wie sollten die Deutschen deiner Meinung nach darauf reagieren, dass die britische Regierung eine Volksabstimmung zum Ausstieg abhält?
Es ist verwirrend, denn Deutschland hat eine ganz andere Beziehung zur EU. Es ist viel integrierter. Deutsche sind sehr frustriert darüber, dass Großbritannien aussteigen will, weil das sich auch die Beziehung zur EU, vor allem auf das Verhältnis zur EU-Außenpolitik, auswirkt. Großbritannien müsste immer noch auf vielen Ebenen mit der EU verhandeln, und im Hinblick auf Umwelt- und Konsumpolitik haben die Mindeststandards der EU Großbritannien wirklich geholfen.

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Daniel aus Middlesborough

Wie hat die Volksabstimmung zum Brexit deiner Meinung nach die deutsche Wahrnehmung der Briten beeinflusst?
Jedes Mal, wenn irgendwo der Brexit vor Deutschen erwähnt wird, lachen sie einfach nur.

Welche Botschaft würdest du für den Menschen in Großbritannien senden?
Ich würde ihnen gerne klarmachen, dass diese ganze Einwanderungssache in beide Richtungen geht. Ich bin nach Berlin gekommen, weil ich die Nase voll von der britischen Mentalität hatte. Die Leute sind nur glücklich, wenn sie etwas haben, worüber sie sich beschweren können.

David aus Devon

Was würde im Falle des Brexit mit dir persönlich passieren?
Es wäre sehr viel schwieriger, hier zu bleiben, also wäre die egoistische Option für mich, dagegen zu stimmen. Aber ich bin trotzdem unentschlossen. Deswegen bin ich auch heute Abend hier.

Welche Botschaft würdest du den Menschen in Großbritannien gerne senden?
Ich würde den durchschnittlichen Briten raten, für das zu stimmen, was ihrer Meinung nach im besten Interesse Großbritanniens ist, und dass sie sich keine Gedanken um uns Expats machen sollen. Wenn wir gerne hier leben und schon lange genug hier sind, dann sind wir ja auch glücklich mit der deutschen Staatsbürgerschaft. Ich komme aus einer Gegend, wo Fischfang und Landwirtschaft betrieben werden. Mein ganzes Leben lang war ich nur von Leuten umgeben, die gegen die EU waren, und wenn sie das glücklicher macht, dann sollen sie so abstimmen.