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Wie ich mit meiner Kippa auf dem Kopf einen Salafistenprozess besuchte

„Einer der jungen Männer, er trägt ein blaues T-Shirt mit aufgedrucktem Vollbart, flüstert mir grinsend auf Arabisch zu: ,Hanzir Jahudy.' Judenschwein."

Yonatan mit Kippa, aber ohne Salafisten

Der Imam Ismail Abdallah sorgte im Sommer 2014 mit einer Hasspredigt in der bei Salafisten beliebten Neuköllner Al-Nur-Moschee für Schlagzeilen und wurde wegen Volksverhetzung angeklagt. Ich habe den Prozess gegen ihn im Berliner Amtsgericht Tiergarten besucht.

„Oh Allah, töte die zionistischen Juden (…). Zählt und tötet sie bis zum letzten", sagte Abdallah in seiner Predigt, die vom Mediendienst „Memri-TV" ins Englische übersetzt wurde. Das Middle East Media Research Institute (MEMRI) ist eine von amerikanischen Juden gegründete Organisation zur Beobachtung der Medien im Nahen Osten, die Predigten, TV-Sendungen und Interview aus dem Arabischen übersetzt.

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Als der Skandal um Imam Ismail Abdallah 2014 publik wurde, stellten nach Angaben des Polizeisprechers Stefan Redlich zehn Personen Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Darunter der Berliner Abgeordnete Burkard Dregger (CDU) und die Direktorin des American Jewish Comitee Berlin (AJC), Deidre Berger. Nun, eineinhalb Jahre später, kommt es zum Prozess, den ich im Auftrag des AJC Berlin beobachte, um herauszufinden, was passieren wird.

Ich bin 28 Jahre alt, gebürtiger Israeli, aufgewachsen in Hertzliya, und ich bin nach Deutschland gekommen, um meine Deutschkenntnisse, die ich im Masterstudium erworben hatte, anzuwenden und im Bereich Politik zu arbeiten. Als gläubiger Jude trage ich täglich Kippa. In meiner Heimat Israel läuft jeder Dritte damit auf dem Kopf umher. Laut einer Umfrage aus dem April dieses Jahres bezeichnen sich 30% der Israelis als religiös und tragen regelmäßig Kippa. Auch ein großer Anteil der säkularen Bevölkerung trägt, vor allem zu besonderen Anlässen, die Kopfbedeckung. In Deutschland allerdings denke ich wegen der Zunahme an antisemitischer Gewalt weit öfter darüber nach als zu Hause.

Leider wurde ich auf den Straßen von Neukölln und Kreuzberg auch schon wegen der Kippa und weil ich dadurch als Jude erkennbar bin, körperlich angegriffen.

Einmal wurde mir von einem arabischen Immigranten der Durchgang auf einer Rolltreppe mit der Begründung „Ich lasse keine Scheißjuden durch" versperrt. Das führte zu einem kleinen „Schlagabtausch". Vor zwei Monaten wurde ich von vier arabischen Flüchtlingen in der U-Bahn beschimpft und angespuckt. Niemand griff ein.

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Ich weiß also, welche Risiken damit einhergehen, im Berlin von heute mit Kippa unterwegs zu sein. Dennoch ist es für mich selbstverständlich, meine Kippa jeden Tag zu tragen, erst recht während eines Gerichtsprozesses gegen einen glühenden Antisemiten.

Der Salafist und ich—welchen Ausgang würde diese Verhandlung wohl nehmen?

Ich sitze auf einem Platz auf der Zuhörerbank. Nach einigen Minuten sehe ich vier bärtige Männer den Raum betreten. Als sie meine Kippa sehen, lassen sie mich nicht mehr aus den Augen und nehmen direkt hinter mir Platz. Ich habe ein ungutes Gefühl und rutsche instinktiv ein wenig nach links. In den nächsten Minuten füllt sich der Raum mit immer mehr Bärten.

Mit Verspätung fängt die Verhandlung um 12:40 Uhr an. Ismail Abdallah sitzt mit langem Vollbart und weißem Kaftan lächelnd auf der Anklagebank.

Intuitiv weiß ich, dass mich die Vier hinter mir anstarren und ich sehe mich nach ihnen um. Prompt die Reaktion: Einer der jungen Männer, er trägt ein blaues T-Shirt mit aufgedrucktem Vollbart, flüstert mir grinsend auf Arabisch zu: Hanzir Jahudy. Judenschwein.

In meinem Kopf schrillen die Alarmglocken, hat er das gerade wirklich zu mir gesagt?

Ich denke mir: OK, ignoriere es einfach. Doch die Beschimpfungen halten an und mir reißt bald darauf der Geduldsfaden. Ich zische zurück: „Sei leise, du Terrorist!"

Die Salafisten brechen daraufhin in Gelächter aus und reden auf Arabisch über das, was in meiner Wut aus mir heraus gesprudelt ist.

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Der zweite Angriff folgt: Ich höre, wie die Worte Jahudy (Jude), katal (töten) und bahutz (draußen) geflüstert werden. Meine Kehle schnürt sich zu. „Was soll ich jetzt tun?", frage ich mich.

Ich bin allein. In einem Raum voll von Salafisten, die mich beschimpfen. Ich fühle mich massiv in meiner Sicherheit bedroht, also beschließe ich aufzustehen und der Richterbank mitzuteilen, was hier gerade vor ihren Augen geschieht.

Ich sage: „Er hat mich als Judenschwein beschimpft und mich bedroht. Es ist eine Schande, das Verfahren unter diesen Umständen weiter laufen zu lassen." Nach meiner Unterbrechung ist der Saal schockiert. Der Wachmann muss den Saal zur Ruhe auffordern, insofern man nicht den Raum verlassen wollte.

Meine Gedanken rasen: Soll ich einfach gehen? Nein, ich kann ihnen nicht einfach das Feld überlassen! Und außerdem will ich mir es ersparen, durch die Reihen der Salafisten hindurch den Raum verlassen zu müssen. Ich sollte besser bleiben. Ich muss sehen, wie sich das hier weiterentwickelt.

Es ist 13.00 Uhr. Die Richterin verliest die Hasspredigt des Imam auf Deutsch. „Zählt sie und tötet sie bis auf den letzten", zitiert sie Abdallahs Rede. Ein Sachverständiger sagt, die Tötungspropaganda des Imam sei in die Form eines Bittgebets gekleidet und reichlich mit antisemitischen Stereotypen versehen. Er zählt Beispiele auf : Juden seien „Verbrecher", „Mörder der Propheten", „töten Kinder", „verbreiten Verderbtheit, Angst und Schrecken", „betreiben Weltverschwörung", „betreiben Unzucht".

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Der Verteidiger argumentiert, dass der Imam seine Predigt lediglich als Kritik an Israel verstanden wissen wollte. Von Antisemitismus sei keine Rede. Er behauptete beispielsweise, „Zionisten" beziehe sich auf diejenigen, die Kriegsverbrechen in Gaza begangen hätten.

Tatsächlich verkleiden Antisemiten ihre offene Judenfeindschaft vermehrt als „Antizionismus". Im letzten Jahr z.B. haben junge Palästinenser auf anti-israelischen Demonstrationen im Zuge des Gaza-Krieges „Jude, Jude, feiges Schwein" skandiert. Nach dem öffentlichen Aufschrei darüber hat die Polizei die Parole für weitere Demonstrationen untersagt. Was haben die Demonstranten gemacht? Sie haben das Wort „Jude" einfach durch „Zionist" ausgetauscht. Die Bedeutung ist für sie dieselbe. Die Staatsanwaltschaft hat offenbar daraus gelernt und die Position vertreten, der Angeklagte habe mit „Zionisten" alle Juden gemeint und somit antisemitische Propaganda verbreitet.

Als ich während der Verlesung und dem Plädoyer des Verteidigers so da sitze und konzentriert meine Notizen aufschreibe, bemerke ich, dass einer der Männer hinter mir versuchte, meine Mitschrift zu entziffern. Ich fordere ihn auf, Abstand zu halten, da schleudert er mir die Worte Kus-emek und Kus-ochten entgegen. Diese arabischen Worte sind im Grunde genommen obszöne Beleidigungen gegen jemandes Familie. Sowas wie „Deine Mutter ist eine Fotze".

Und dann ein Tritt gegen die Bank, auf der ich sitze. Ich drehe mich um und sehe ihnen in die Augen. Noch ein Tritt, diesmal stärker.

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Das ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Ich halte es nicht mehr aus, packe mein Zeug, so schnell ich kann, und stürze aus dem Raum. Weg von den Salafisten, hin zu den Polizisten, die vor dem Saal stehen. Ob ich denn eine Begleitung zur Haupthalle bekäme, oder zumindest einen Sitzplatz zwischen dem Justiz-Personal und den anwesenden Journalisten, damit ich in Sicherheit der Verhandlung beiwohnen kann, frage ich. Begleitschutz und geschützter Sitzplatz werden mir verweigert, daher entferne ich mich und mir entgeht die Urteilsverkündung.

Imam Ismail Abdullah wird wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 1.000 Euro verurteilt.

Die Richterin beendet die Sitzung mit den Worten: „Zehn Prozent der Predigt rufen zu Hass und Unfrieden auf, das ist genug, um das Zusammenleben zwischen muslimischer und nichtmuslimischer Bevölkerung in Deutschland zu beschädigen."

Der Hassprediger hat den Prozess also verloren.

Mich beschleicht das Gefühl, dass die Salafisten hinter mir diesen Prozess dennoch ein Stück weit für sich entschieden haben. Sie haben mich vertrieben und niemand hat eingegriffen. Ich frage mich—wieder mal—, warum ich als Jude nicht dieselben Dinge in Sicherheit tun kann wie ein Nicht-Jude.