Kuba vor der ‚Amerikanisierung‘

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Kuba vor der ‚Amerikanisierung‘

„Eigentlich wollte ich vor allem schauen, wie der Guantanamo-Bay-Stützpunkt der US Navy die umliegenden Dörfer beeinflusst."

Letztes Jahr haben sich die USA und Kuba versöhnt und angekündigt, nach über einem halben Jahrhundert verhärteter Fronten die diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen. Auch Papst Franziskus gefiel das sehr und er meinte, dass sich die ganze Welt an dieser Aussöhnung ein Beispiel nehmen sollte. Zudem warfen Reiseveranstalter jauchzend die Hände in die Höhe, denn Flüge in den kommunistischen Staat waren plötzlich so gefragt wie nie.

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Diese Nachfrage hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass mehrere Websites Touristen dazu drängen, Urlaub auf Kuba zu machen, bevor das Land „amerikanisiert" wird. Dieser Faktor hat zumindest die Entscheidung des britischen Fotografen Theo McInnes beeinflusst, sich über den Großen Teich zu wagen. Ihn interessierte es, wie es wirklich um die potenzielle Globalisierung Kubas steht und wie sich das sozialistische Regime auf das Leben der dortigen Bevölkerung ausgewirkt hat. Und so kam es, dass er sich im Herbst 2015 fünf Wochen lang im Osten Kubas aufhielt.

Ich habe mich mit McInnes über seine Reise, über seine Begegnung mit der Geheimpolizei und über die auf Kuba lebenden Regimekritiker gesprochen.

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VICE: Hast du dir einen groben Plan zurechtgelegt, bevor du nach Kuba gereist bist?
Theo McInnes: Eigentlich wollte ich vor allem schauen, wie der Guantanamo-Bay-Stützpunkt der US Navy die umliegenden Dörfer beeinflusst. Nachdem mich die Geheimpolizei dann jedoch direkt einkassierte, wurde mir klar, dass das so nicht möglich ist. Deshalb begann ich stattdessen damit, mich mit den ganzen politisch Andersdenkenden zu treffen, die mir auch wirklich haarsträubende Geschichten darüber erzählt haben, wie sie Kuba verändern wollen und was die Behörden alles unternehmen, um sie davon abzuhalten.

Die Geheimpolizei? Was genau ist da passiert?
Man muss wissen, dass man auf Kuba entweder nach der Ideologie des Regimes lebt oder keine Chance hat. Die Leute, mit denen ich mich traf, befinden sich in der klaren Minderheit und sind diejenigen, die sich tatsächlich erheben und die veralteten Ansichten des Landes in Bezug auf Wirtschaft und Gesellschaft in Frage stellen.

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Die sozialistische Herrschaft hat zur Folge, dass es auf Kuba nur wenig Meinungsfreiheit gibt.
Ja. Mir wurde gesagt, dass sich die Bewohner Kubas eine Demokratie wünschen. Sie haben genug vom bereits 60 Jahre andauernden Regime der Castros. Nur wenige Leute sprechen diesen Wunsch jedoch auch offen aus. Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, erzählten mir detailreich von Polizeigewalt und davon, wie sie auf offener Straße erst mit Schlagstöcken und Steinen verprügelt und anschließend verhaftet sowie ohne Gerichtsverhandlung ins Gefängnis gesteckt wurden. Das ist die traurige Realität. Das ist das, was hinter verschlossenen Türen in der kubanischen Gesellschaft abgeht.

Kannst du mir den Zwischenfall mit der Geheimpolizei genauer schildern?
Klar. Ich bin zusammen mit meinem örtlichen Mittelsmann in einen Ort namens Caimanera gefahren. Dabei handelt es sich um das kubanische Dorf, das dem Militärstützpunkt Guantanamo Bay am nächsten liegt. Das Ganze ist mit dem Rest von Kuba überhaupt nicht zu vergleichen, weil sich zum Beispiel an jeder Ecke Überwachungskameras befinden. Man braucht sogar eine Sondergenehmigung des kubanischen Militärs, um überhaupt dorthin fahren zu dürfen. Auf dem Weg muss man dann noch drei Checkpoints passieren. Das alles haben wir auch ohne größere Probleme geschafft, aber unser Plan war ja, dort einen Regimekritiker und seine Familie zu interviewen.

Auf dem Weg zum Haus des Aktivisten wurden wir dann von einem Fahrzeug verfolgt, das wir jedoch abschütteln konnten. Wir haben das Interview schließlich ganz normal durchgezogen, noch ein paar Fotos gemacht und sind wieder abgehauen. Am darauffolgenden Morgen bin ich jedoch aufgewacht und es saß irgendein Typ in Militäruniform in meinem Wohnzimmer. Er forderte mich auf, ihn zu den Immigrationsbehörden zu begleiten. Ich rief natürlich erstmal panisch meinen Mittelsmann an, aber der beruhigte mich und meinte, dass es sich dabei um reine Routine handeln würde. Bei den Immigrationsbehörden wurde ich dann in einen Raum ohne Fenster geführt und von einem anderen Typen in Militäruniform befragt. Er wollte wissen, was ich auf Kuba machen würde. Ich gab dann vor, ein ganz normaler Tourist zu sein, der eben auch gerne fotografiert. Sie haben mir kein Wort geglaubt.

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Ich schaffte es schließlich irgendwie, so die Wahrheit zu sagen, dass meine eigentliche Intention nicht ans Tageslicht kam. Nach ein paar weiteren Stunden intensiven Verhörs ließen sie mich letztendlich gehen. Ich rief sofort wieder meinen Mittelsmann an und wir machten uns aus dem Staub. Im weiteren Verlauf meiner Reise haben wir—also ich, ein Dolmetscher, ein Aktivist und der Fahrer—dann nie länger als 24 Stunden an einem Ort verbracht.

Hast du die Interviews auch irgendwie schriftlich festgehalten, um Begleitmaterial zu den Fotos zu haben?
Mein Notizbuch hatte ich natürlich immer dabei und es wurde auch zu einem wichtigen Bestandteil meines Projekts. Ich habe viele Textausschnitte und Interviewauszüge in das Buch eingebaut, das ich letztendlich zusammengestellt habe. Die Dinge, die ich rüberbringen wollte, konnten nicht einfach so nur durch die Bilder ausgedrückt werden. Am meisten Schwierigkeiten bereitete es mir, alles in meinem Kopf zusammenzufügen. Ich wusste nicht, wie ich die ganzen Informationen zu den Bildern sinnvoll einbauen sollte. Letztendlich passte dann aber alles gut zusammen.

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Ich war selbst schon mal auf Kuba und habe dort trotz der allgegenwärtigen Armut ein überwältigend positives Lebensgefühl erleben können. Es klingt vielleicht klischeehaft, aber die Kubaner gehören wohl zu den freundlichsten und offenherzigsten Menschen, die ich jemals kennenlernen durfte.
Ja, auf jeden Fall. Ich habe noch nie so viele gastfreundliche Leute getroffen, die wirklich alles stehen und liegen lassen, um dir zu helfen, dir etwas zu Essen zu geben oder dir zuzulächeln. Man kann sich sicher vorstellen, wie schwer es die von mir interviewten Personen haben, positiv zu bleiben, aber sie schaffen es irgendwie.

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Wer ist dir bei deiner Reise am meisten im Gedächtnis hängengeblieben?
Isael, wahrscheinlich der netteste Typ, den ich jemals kennengelernt habe. Er war schon dreimal im Gefängnis, wo er aufgrund seines Aktivismus immer für elf Stunden an seinen Handgelenken an der Decke aufgehängt wurde.

Was ist mit dem Jugendlichen, der die Puma-Cap trägt?
Das ist Luis. Mein Projekt hat eigentlich zwei Seiten: Zum einen will ich Regimekritiker wie Isael zeigen, aber zum anderen auch auf die Leute aufmerksam machen, die in schlimmer Armut leben und von den Behörden schon mehrmals Hilfe versprochen bekommen haben—ein Versprechen, das letztendlich immer wieder gebrochen wurde. Wir sprachen auch mit Leuten aus der zweiten Kategorie, weil es einfach zu gefährlich war, ausschließlich mit politisch Andersdenkenden zu reden. Außerdem konnte ich so noch einen anderen Aspekt der politischen Unterdrückung darstellen.

Luis lebt auf der Mülldeponie des Ortes Camaguey. Er verdient sein Geld ausschließlich, indem er Schrott sammelt. Er hat Baumaterial beantragt, um seine Wohnung aufzubessern, aber das Ganze wurde ihm verwehrt. Er hat es so ausgedrückt: „Die helfen mir nicht, die verarschen mich nur."

Hat irgendeiner deiner Interviewpartner auch etwas Positives über die Behörden berichtet?
Ich hätte natürlich auch mit Leuten reden können, die mir etwas Schönes über Kuba erzählt hätten, so nach dem Motto „Wir lieben den Kommunismus! Viva Fidel!". Es gibt jedoch immer zwei Seiten der Medaille. Ich wollte mich mit meinem Projekt auf die noch nicht erzählten Aspekte des Ganzen konzentrieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Theo.