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„Blinde finden sich plötzlich im Nirwana wieder“

Deshalb wehrt sich der Schweizerische Blindenbund gegen die Entfernung der Sicherheitslinien am Zürcher Hauptbahnhof.
VICE Media

Am Zürcher Bahnhof Löwenstrasse sollen Teile der Sicherheitslinien für Sehbehinderte entfernt werden. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) erklärte am Sonntag in den Medien, dass im neuen Bahnhofsteil zu viele dieser Markierungen angebracht worden seien.

Das Thema wurde medial breit aufgegriffen und auf Facebook und Twitter heiss diskutiert. Beinahe alle Artikel vom Sonntag nutzten zur Illustration Bilder von Sicherheitslinien, die parallel zu den Gleisen verlaufen—von eben jenen Linien, die ohnehin bleiben werden. Es entsteht der Eindruck, dass niemand so recht weiss, um welche Linien es nun genau geht. Trotzdem sollen die fraglichen, für Sehbehinderte angebrachten Linien sehende Zugreisende angeblich zu sehr irritieren.

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Diese Linien sind gemeint. Foto von der Autorin

Das BAV begründete diesen Entscheid mit einer Studie, die zum Schluss kam, dass zu viele taktile Linien die sehenden Reisenden verunsichern würden. „Die wichtigen Sicherheitslinien—jene, welche die Perronkante abgrenzen—werden nicht mehr genügend wahrgenommen", erklärte BAV-Sprecherin Olivia Ebinger am Sonntag der SDA. Deshalb wies das BAV die SBB an, dafür zu sorgen, dass die Sicherheitslinien wieder entfernt werden. Blindenverbände hatten schon Anfang Januar Beschwerde gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht.

Am Montag reagierte das BAV prompt auf den öffentlichen Druck und schreibt in seiner Mitteilung, die entsprechende Verfügung werde einer Wiedererwägung unterzogen und anschliessend eine neue erlassen. Weiter hält das BAV fest: Die Sicherheitslinien entlang den Perronkanten seien „zu keinem Zeitpunkt bestritten" gewesen.

Der Schweizerische Blindenbund weiss, dass die Sicherheitslinien der Perronkanten nicht entfernt werden sollen. Aber auch die Entfernung der bedrohten Linien sorgt hier für Kopfschütteln. Es handelt sich nämlich um die oberflächensensiblen Linien, welche den Weg von den Perronkanten zu den Treppen und Liften weisen. Der Schweizer Blindenbund sorgt sich darum, dass Blinde die Orientierung verlieren könnten.

Jvano Del Degan, Mitarbeiter der Selbsthilfeorganisation Blindenbund Schweiz, erklärt mir, dass diese strittigen, taktilen Linien für Blinde eben doch äusserst relevant sind: „Die Perrons im Bahnhof Löwenplatz sind breiter, als im älteren Bahnhofsgebäude. Wenn diese kurzen Linien entfernt werden, finden sich Blinde plötzlich im Nirwana wieder. Das bedeutet eine immense Einschränkung in ihrer Selbstständigkeit und in ihrer Mobilität." Die Begründung des BAV kann er nicht nachvollziehen.

Weiter erzählt mir Del Degan, dass es auch um eine prinzipielle Sache gehe: „Wenn man sich in diesem Fall nicht wehrt, dann wird der Bahnhof Löwenplatz zum Standard und die Orientierungshilfen werden auch an anderen Bahnhöfen weggelassen." Am 2. und 3. März wird nun das BAV mit Mitarbeitern des Blindenbundes und Betroffenen zusammensitzen, um eine gemeinsame Lösung zu entwickeln.

Update: Das BAV wird nach eigenen Aussagen verfügen, dass die Orientierungshilfen für Sehbehinderte nun doch bleiben sollen. BAV-Direktor Peter Füglistaler verspricht zudem, Interessengruppen für Sehbehinderte künftig stärker in Planungsverfahren zu involvieren.

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